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Nähe allein schafft noch keine Entwicklung

Die vergangenen vier Jahre waren von intensivem Interesse der Bundesregierung an Afrika geprägt. Es mangelte nicht an Ideen und Initiativen zur Förderung von privatwirtschaftlichen Investitionen und wirtschaftlichen Wachstum. Dennoch ist die Poltik in weiten Zügen gescheitert. Jetzt ist die Zeit, tatsächlich zu handeln.

Von Helle Dossing am
Die Mauerin Esthere Matutina machte im Ausbildungszentrum CAPA in der Demokratischen Republik Kongo eine Maurerlehre. Seither arbeitet sie erfolgreich als Maurerin im Wohnungsbau.

Die Nachricht von der Flut im Ahrtal war nur wenige Stunden alt, als uns in der Afrika-Abteilung von Brot für die Welt die ersten sorgenvollen Nachfragen, solidarischen Gedanken und Gebete von Partnerorganisationen für die Menschen in den Flutgebieten erreichten. Soviel Empathie und Gerechtigkeitsgefühl.

Die Partnerorganisationen, die uns nach der Flut schrieben, arbeiten unter anderem im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Erst vor wenigen Wochen mussten Hunderttausende aus der Millionenstadt Goma vor einem Ausbruch des Vulkans Nyiragongo fliehen. Dazu kommt noch die Corona-Pandemie. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – fanden unsere Kolleginnen und Kollegen in den Partnerorganisationen die Zeit, an die Betroffenen der Flutkatastrophe in Deutschland zu denken. Eine Geste, die sehr berührt. Im aktuellen Wahlkampf zur Bundestagswahl fehlen uns solche Gesten der Empathie gerade im Blick auf die Menschen in anderen Ländern oft. Auch die realpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre ließen das häufig missen. Als Afrika-Abteilung fragen wir uns, welchen Raum globale Gerechtigkeit und Mitgefühl in der Politik der neuen Bundesregierung in Hinblick auf den afrikanischen Kontinent einnehmen und wie sie das zukünftige Handeln bestimmen werden?

Blick zurück: Keine gute Note für die Afrikapolitik

Die vergangenen vier Jahre sind von einem intensiven Interesse der regierenden Parteien an Afrika geprägt gewesen. Afrika, der Kontinent der Hoffnung, der aufstrebenden Wirtschaft und schnellen Digitalisierung. Die Bundesregierung hat viel unternommen, das klassische Afrika-Narrativ zu verändern. Es mangelte nicht an Ideen und Initiativen, vor allem Initiativen zu Förderung von privatwirtschaftlichen Investitionen und wirtschaftlichen Wachstum. So lud Kanzlerin Merkel regelmäßig Regierungs- und Staatschefs zu G20 Compact with Africa-Treffen ein, um die Wirtschaft anzukurbeln, Bundesminister Müller legte Programme mit ausgewählten Ländern für seinen Marshall-Plan mit Afrika auf und die Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung wurden ressortübergreifend überarbeitet. Auch die Wiedergutmachung kolonialer Ungerechtigkeiten startete. Dennoch ist die Bundesregierung aus unserer Sicht in weiten Zügen mit ihrer Afrikapolitik gescheitert – leider.

Trotz all der neuen Ansätze sehen wir keine wirkliche Veränderung in den politischen Entscheidungen. Programme werden immer noch ohne die Beteiligung der eigentlich Betroffenen gemacht und richten sich eher an afrikanische Eliten. Die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen in Afrika ist nach wie vor nicht gestiegen, zum Teil bedingt durch die negativen wirtschaftlichen Wirkungen der COVID-19-Pandemie. In den zwölf afrikanischen Ländern, die sich an der Compact-Initiative beteiligen, sind ausländische Direktinvestitionen im Jahr 2020 sogar gesunken. In vielen dieser Länder hat die Covid-19 Pandemie vor allem einen großen Mangel in den öffentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge, besonders bei der Gesundheitsversorgung, sozialen Sicherungssystemen und Überbrückungshilfen, aber auch bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in Zeiten verschärfter Lockdowns gezeigt. Die Pandemie hat wie ein Brennglas deutlich gemacht, dass die Ansätze der Bundesregierung nicht greifen, weil die Rahmenbedingungen für sichere Investitionen in den meisten Partnerländern noch nicht gegeben sind.

Es ist dringend Zeit zu handeln

  •  Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere die obengenannten privilegierten Partnerschaften (Marshallplan/Compact with Africa) soll einen klaren Fokus auf Fragen von Governance und Menschenrechte haben. Investitionsabkommen müssen die Einhaltung der Menschenrechte sowie Umwelt- und sozialen Schutzmaßnahmen garantieren, entsprechend der UN Guiding Principles on Business and Human Rights. Alle Investmentinitiativen und Prozesse sollten unter Leitung der Gastländer/-Regionen stattfinden, in einem demokratischen, transparenten und inklusiven Prozess, der die betroffenen Gemeinden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parlamentsabgeordnete, Arbeitgeber:innen und Gewerkschaften einbezieht. Vor allem Investitionen zur Nutzung natürlicher Ressourcen müssen die Rechte der lokalen Gemeinschaften respektieren und auf dem freien, rechtzeitigen und informierten Einverständnis (free, prior and informed consent-FPIC) basieren. Statt Fonds zur Förderung der Privatwirtschaft in Deutschland aufzulegen, für die sich auch afrikanische kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bewerben dürfen, sollte die neue Bundesregierung öffentliche Programme der Partnerstaaten unterstützen, die Investitionskredite an KMUs vor Ort vergeben. Die staatliche Wirtschaftsförderung sollte primär auf eine Steigerung der lokalen Wertschöpfungs- und Beschäftigungsförderung ausgerichtet sein.
  • Deutschland soll im Einklang mit der EU den Prozess der afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) unterstützen, indem sich die neue Bundesregierung dafür einsetzt, die bisherigen bilateralen Handels- und Investitionsabkommen (inklusive Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) bzw. Economic Partnership Agreement, EPAs), die eher zur Zersplitterung der Handelsbeziehungen und Wirtschaftsregionen führen, aufzugeben. Dabei gilt ein besonderes Interesse der Stärkung kleinbäuerlicher Erzeuger:innen als entscheidender Baustein langfristiger Ernährungssouveränität.
  • Investitionen und Handel alleine reichen nicht aus und können gravierende ungewünschte Konsequenzen haben. Um Ungleichheit zu reduzieren und eine armutsreduzierende Wirkung zu erzielen, müssen Investitionen mit sozialen Grunddiensten, funktionierenden Fiskalsystemen sowie mit der arbeitsintensiven Produktion und der Ausweitung agrarökologischer Landwirtschaft einhergehen. Dabei spielen „öffentliche Mittel der EZ für öffentliche Leistungen“ eine zentrale Rolle. Deshalb soll die neue Bundesregierung in den bilateralen Beziehungen den Schwerpunkt auf den Wiederaufbau und die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur, der gesetzlichen Rahmensetzung, das Gesundheits- und Bildungswesen, Regierungsführung und ein öffentliches Banken- und Kreditwesen das lokale Investoren fördert, legen.
  • Ein starkes - dem Prinzip „Vorrang für Zivil“ folgendes – Engagement für Friedenssicherung. Weltweit gibt es mehr Konflikte und diese sind zunehmend vernetzter. Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung muss sich deshalb am UN-Konzept der „menschlichen Sicherheit“ orientieren, welches mit hoher Konfliktsensibilität vorgeht. Der Ursprung der Gewalt liegt häufig in sozialen Missständen, Fragilität und Repression der staatlichen Sicherheitskräfte. Konflikte müssen in ihrer Grundproblematik verstanden werden, um dauerhafte Lösungen zu finden. Mit der Unterstützung ziviler Ansätze der Krisenprävention, gespeist aus den Ressourcen und Erfahrungen lokaler Akteure, kann Friedensförderung nachhaltiger gelingen und damit eine Grundlage für stabile Entwicklungsprozesse werden. Geschlechtergerechtigkeit muss im Hinblick auf Friedenssicherung, aber auch allgemein auf demokratische Teilhabe kontinuierlich mitgedacht und eingefordert werden. Frauen, vor allem auch Frauen in Führungspositionen, brauchen eine konsequente Unterstützung.

Sowohl die Agenda 2030 der Vereinten Nationen als auch die Agenda 2063, der in 2013 verabschiedete und auf 50 Jahre angelegte Plan der Afrikanischen Union für eine sozial-ökonomische Transformation des Kontinents, sollen weiterhin den Handlungsrahmen für die Bundesregierung bilden. Sie stellen die Ärmsten der Armen in den Fokus ihrer Bemühungen. Bei der Umsetzung der politischen Programme müssen bei der Verhandlung, der Planung, der Umsetzung und dem Monitoring stets regionale, afrikanische Organisationen und die Zivilgesellschaft eingebunden werden. Nur das sichert, dass Menschen Verantwortung übernehmen, Selbstwirksamkeit empfinden und langfristig funktionierende Strukturen aufbauen.

Für einen neuen Beginn

Die Corona- und Klimakrise haben einmal mehr deutlich gemacht, dass alles miteinander verbunden ist. Nur globales Denken und Handeln wird uns ermöglichen, diese und folgende Krisen anzugehen. Deshalb begrüßen wir es, dass die jeweiligen Parteiprogramme keine neuen Sonderinitiativen für den afrikanischen Kontinent parat haben, sondern die historische und geographische Verbundenheit in den Vordergrund stellen. Die Corona- und Klimakrise zeigen auch die Notwendigkeit von starken öffentlichen Rahmensetzungen, Prioritätensetzung, sozialen Grunddienste, wirtschaftlicher Unterstützung und nicht zuletzt von einem solidarischen Miteinander und einer Rücksichtnahme auf schwache Bevölkerungsgruppen. Bisher wurden diese Prinzipien überwiegend in Deutschland und Europa angewendet; Bevölkerungen in Afrika und anderen Regionen der Welt haben nicht von der Solidarität und Rücksichtnahme profitiert. In den letzten 18 Monaten, als Deutschland sehr mit sich beschäftigt war, sind multiple Krisen ausgelöst durch Krieg, Klima, politische Instabilität und Pandemien auf unserem Nachbarkontinent weitgehend unerkannt geblieben. Die Anteilnahme unserer Partner im Fall von Flut im Ahrtal zeigt uns, das es möglich ist die Solidarität zu erweitern. Wir plädieren weiterhin für eine Partnerschaft auf Augenhöhe, die es ermöglicht, die globalen Herausforderungen emphatisch und mit Gerechtigkeitsgefühl anzugehen – für ein solidarisches Zusammenleben weltweit.

Heide Wegat, Imke-Friederike Tiemann-Middleton und Helle Døssing

 

Dieser Text ist ein Beitrag in der Reihe #brotfürdiewahl im Vorfeld der Bundestagswahl 2021. Alle weiteren Beiträge finden Sie hier.

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