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Politisches Engagement der Zivilgesellschaft ist gemeinnützig

Ein Jahr nachdem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Gemeinnützigkeit von Attac wies am 26. Februar 2020 das Hessische Finanzgericht in Kassel die Klage von Attac ab. Allerdings kritisiert es auch das BFH-Urteil und lässt eine weitere Revision vor dem BFH zu. Deutschland braucht endlich ein modernes Gemeinnützigkeitsgesetz, das zivilgesellschaftliches Engagement fördert und nicht behindert.

Von Christine Meissler am
Auch Brot für die Welt bezieht bei Demonstrationen zu politischen Themen Stellung.

Brot für die Welt bei der Demo #unteilbar im Oktober 2019

 

Urteile zur Gemeinnützigkeit von Attac verunsichern die Vereine in Deutschland

Genau ein Jahr nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) sein Urteil zur Gemeinnützigkeit verkündete, gab nun das zuständige Hessische Finanzgericht sein Urteil bekannt. Denn das Verfahren war mit dem BFH-Urteil nicht abgeschlossen.

Die Entscheidung des BFH zur Gemeinnützigkeit hatte große Verunsicherung in zivilgesellschaftlichen Organisationen verursacht. Denn seit der Veröffentlichung des Urteils im Sommer 2019 wurde es auch auf andere Vereine angewandt. So wurde u.a. auch bekannt, dass campact und das Demokratische Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung (DemoZ) die Gemeinnützigkeit aberkannt wurden. Eine mögliche erneute Revision gäbe dem BFH nun die Gelegenheit, sich den Fragen politischer Einmischung durch gemeinnützige Organisationen umfassend und fundiert zu widmen.

Das Urteil des Bundesfinanzhofs im Februar 2019

Der BFH hatte sich in seinem Attac-Urteil vor allem mit der Interpretation des gemeinnützigen Zwecks der (politischen) Bildung beschäftigt. Dabei legte er unter anderem fest:

• Politische Bildung müsse in „geistiger Offenheit“ erfolgen. Was genau diese Offenheit bedeutet, ist unklar. Der Präsident des BFH erklärte Anfang des Jahres 2020 in einem Interview mit der FAZ, dies bedeute parteipolitische Neutralität.

• Unter dem Zweck der Volksbildung dürften zwar politische Forderungen erarbeitet werden. Es dürften jedoch nur bildungspolitische Forderungen in den Prozess der politischen Willensbildung eingebracht werden.

• Bildung dürfe nicht dazu dienen, "die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen".

Das Urteil des Finanzgerichts in Kassel hat nun bestätigt, dass das Attac-Urteil des BFH lückenhaft und unzureichend ist. Denn bei der Verhandlung in Kassel ging es juristisch unter anderem darum, ob die Tätigkeiten von Attac auch anderen gemeinnützigen Zwecken als dem der (politischen) Bildung zuzuordnen sind und ob die eingeschränkte Interpretation von Bildung durch das BFH Attac-Urteil, das von anderen BFH Urteilen abwich, rechtmäßig war.

Nachteile durch den Verlust der Gemeinnützigkeit

Die Nachteile durch den Verlust der Gemeinnützigkeit beschränken sich nicht auf den Verlust von steuerlichen Vorteilen für die Organisationen bzw. die Spender*innen: Die Gemeinnützigkeit gilt als quasi-Siegel in Deutschland und als Voraussetzung für finanzielle Förderung. Ortsverbände von Attac können häufig seit dem Verlust der Gemeinnützigkeit auf kostenlose oder vergünstigte öffentliche Veranstaltungsräume nicht mehr zurück gegreifen, denn in vielen Kommunen sind sie ausschließlich gemeinnützigen Organisationen vorbehalten. Infoständen in Fußgängerzonen werden in manchen Orten die Genehmigungen verweigert, weil der Verein nicht mehr als gemeinnützig anerkannt ist. Die Vereinigungsfreiheit und das Recht sich zu engagieren wird so entschieden beeinträchtigt.

Politisches Engagement dient dem Gemeinwohl

Die Zivilgesellschaft ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens. Darüber gibt es einen breiten Konsens. Konsens ist ebenfalls, dass politisch aktive Organisationen für die Gesellschaft unverzichtbare Funktionen übernehmen: Sie sind Anwalt für gesellschaftliche Themen, engagieren sich gegen Rassismus und Gewalt, dokumentieren Missstände und schaffen Transparenz, in dem sie für die breite Erörterung in Medien und Gesellschaft sorgen. Auch so dienen sie der politischen Willensbildung und unserer Demokratie. Denn nicht nur soziale Dienstleistungen dienen dem Gemeinwohl. Bessere Bedingungen für Bedürftige einzufordern ist genauso wichtig für die Gesellschaft wie Bedürftigen direkt zu helfen. Sich für effektive Umwelt- und Klimapolitik einzusetzen ist mindestens genauso bedeutend für unsere gemeinsame Zukunft wie selbst Naturschutz zu betreiben. Und an vielen Stellen in Politik und Regierung sind die Debatten und Einlassungen der Zivilgesellschaft erwünscht: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden von Ausschüssen des Bundestages als Sachverständige eingeladen, Ministerien konsultieren Expert*innen der Zivilgesellschaft. Parteien und Stadtverwaltungen laden zu runden Tischen ein.

Deutschland kann sich sein antiquiertes Gemeinnützigkeitsrecht nicht mehr leisten

Nach den schrecklichen Anschlägen rechtsextremer Gewalt in den letzten Monaten erkennen nun auch Vertreter*innen der Regierungsparteien an, dass rechtsextremer Hass und Gewalt die größte Gefahr für unser Land darstellen. Dabei ist es unumstritten, dass Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren, entscheidende Arbeit leisten. Doch sind es auch Vereine von schwarzen Menschen und People of Color, die inzwischen Briefe vom Finanzamt bekommen, weil die Frage nicht geklärt ist, ob ihr Engagement gegen Rassismus und Empowerment für Minderheiten gemeinnützig sei, so Ferda Ataman im Februar 2020 bei einer Rede in der Frankfurter Paulskirche. Organisationen und Vereine, die sich für ein friedvolles Miteinander, gegen Gewalt, Hass und Diskriminierung einsetzen, müssen um ihre Gemeinnützigkeit bangen. Uns allen muss klar sein: Deutschland kann sich sein antiquiertes Gemeinnützigkeitsrecht nicht mehr leisten.

Rechtssicherheit der Zivilgesellschaft - Was es jetzt braucht:

Der Bundestag, das Bundesfinanzministerium und die Finanzminister*innen der Länder sollten jetzt handeln und nicht auf die nächste BFH-Entscheidung verweisen: 

1. Mit einem Erlass sollte das Bundesfinanzministerium und die Länderministerien eine erklärende Interpretation des BFH Urteils nachholen und Entscheidungen in kritischen Fällen aufschieben bis das Gesetz angepasst ist.

2. Die Regierungskoalition und die Länder müssen sich auf Ergänzungen zur Abgabenordnung als Sofortmaßnahmen einigen, damit die zivilgesellschaftliche Arbeit zu Menschenrechten, Klimaschutz, Frieden, sozialer Gerechtigkeit endlich ausdrücklich als gemeinnützig gelten können. Es braucht Klarheit darüber, dass sich gemeinnützige Vereine für ihre Zwecke selbstverständlich politisch einmischen dürfen, so lange sie keine Parteien unterstützen. Außerdem müssen Vereine auch für andere gemeinnützige Zwecke tätig werden dürfen. Auch der Gesangs- oder Sportverein muss sich für Umweltschutz oder gegen Rassismus engagieren können, ohne die Gemeinnützigkeit zu riskieren.

Langfristig jedoch braucht Deutschland einen angemessenen und zeitgemäßen Rechtsrahmen für zivilgesellschaftliche Organisationen, der auch die politische Rolle von Vereinen anerkennt: Dazu sollte der Bundestag langfristig, parteiübergreifend und orientiert an Leitfragen, zusammen mit Vertretern von Wissenschaft und Zivilgesellschaft arbeiten. 

 

Brot für die Welt unterstützt seit einigen Jahren die Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung.

 

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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