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Give Peace a Chance: 75 Jahre Vereinte Nationen

Heute vor 75 Jahren wurde die Charta der Vereinten Nationen (VN) unterzeichnet. Nach zwei Weltkriegen verpflichteten sich die Mitglieder zur friedlichen Beilegung von Konflikten. Heute gehören 193 Staaten dazu. Bilanz und Perspektiven des VN-Systems werden kontrovers diskutiert. Im Zuge der Corona-Pandemie droht ein Verlust an Akzeptanz und Handlungsspielraum. Dem muss man mit Reformen begegnen.

Von Dr. Martina Fischer am
Imagine. Gedenktafel für John Lennon im New Yorker Central Park

Gedenktafel für John Lennon im New Yorker Central Park

Die Charta der Vereinten Nationen wurde 1945 auf der Konferenz von Jalta erstellt und  am 26. Juni in San Francisco von 50 Staaten unterzeichnet. Sie trat am 24. Oktober desselben Jahres in Kraft, nachdem die Vereinigten Staaten, die Volksrepublik China, Frankreich, die Sowjetunion, das Vereinigte Königreich und weitere Gründungsstaaten die Charta ratifiziert hatten. Darin wurden als Hauptaufgaben der VN die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen und internationale Kooperation bei der Lösung globaler Probleme definiert.

Ein Meilenstein für den Weltfrieden und die Menschenrechte

Im Dezember 1948 wurde die Charta um die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erweitert. Diese wurden als universal und zugleich für jeden Menschen individuell gültig erachtet. Die Erklärung hatte zwar keinen bindenden Charakter für die Mitgliedstaaten, dennoch bildete sie einen wichtigen Meilenstein im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Menschenrechte und ein wichtiges rechtliches Referenzdokument, das weitere Abkommen und die Gründung eines VN-Menschenrechtsrats nach sich zog. Zudem wurden im Rahmen der VN wichtige völkerrechtliche Normen und Grundlagen geschaffen.

In der Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung von internationalen Konflikten werden die VN häufig auf einen ganz bestimmten Ausschnitt reduziert: die Blockaden, die sich regelmäßig zwischen den Großmächten auftun, wenn es um den Umgang mit aktuellen Krisen und Gewaltkonflikten geht. Diese Einschätzung verkennt, dass der Geist der VN nicht darin besteht, eine Koalition von gleichgesinnten Staaten oder Akteuren in einer Allianz zusammenzubinden, sondern Staaten, die höchst unterschiedliche Interessen haben, dazu zu bewegen, trotz aller Differenzen miteinander im Gespräch zu bleiben und ihre Interessen auszubalancieren. Das gilt auch und gerade für die Groß- und Atomwaffenmächte, die als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat vertreten sind. Dem Trend zum „UN-bashing“ sollte man entgegenhalten, dass die UN-Charta zur friedlichen Streitbeilegung verpflichtet und ausdrücklich diplomatische Wege (Gute Dienste und Mediation) und juristische Mittel dafür vorsieht. Sanktionen und militärische Zwangsmaßnahmen werden allenfalls als letztes Mittel – also im Ausnahmefall – in Erwägung gezogen.

Die Etablierung des Vetorechts für die ständigen Mitglieder folgte der Logik, die Groß- und Nuklearmächte an einen Tisch zu holen und sicherzustellen, dass nicht eine Mehrheit der Mitglieder gegen die Interessen eines anderen den Gewalteinsatz beschließen. In einer Weltlage, die von atomarer Hochrüstung und Polarisierung geprägt war, sollten die VN vor allem einem neuen Weltkrieg vorbeugen. Seit ihrem Bestehen bot die UNO den Mächtigen also ein Gesprächsforum. Auch wenn das Gewaltverbot keineswegs umfassend befolgt wurde, so stellte der Sicherheitsrat doch "gewissermaßen eine institutionelle Nötigung zum Reden dar - dieser Umstand hat dazu beigetragen, dass nunmehr zwei Generationen ohne Großmachtkrieg leben durften", so die Einschätzung des Friedensforschers Harald Müller. Man solle die VN nicht mit überzogenen Erwartungen überfrachten und sie nicht mit einer Instanz für "Global Governance" verwechseln. Ihre Aufgabe sei die Einhegung von Gewalt. Die Existenz der UNO habe dazu beigetragen, dass das globale Gewaltniveau gesunken sei und "der zwischenstaatliche Krieg eine aussterbende Institution zu bilden scheint." (Harald Müller in IPG 8.6.2019)

Positivbilanz - trotz zahlreicher Defizite

Zur Positivbilanz der VN gehören zahlreiche Menschenrechtsverträge, erfolgreiche Friedensmissionen, die z.B. in den 1990er Jahren zu einem erheblichen Rückgang von Gewaltkonflikten beitrugen, weltweites Engagement im Flüchtlingsschutz (durch den UNHCR), sowie der Einsatz für Abrüstung, Klimaschutz (Pariser Abkommen) und nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals; UN Development Programme) und Gesundheit (durch die WHO). Zudem hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen oft normsetzend gewirkt, etwa bei der Nichtweiterverbreitung von Material für Atomwaffen und bei der Eindämmung von Kleinwaffen; auch die Idee der internationalen Schutzverantwortung ("Responsibility to Prevent, to React und to Rebuild") und das Konzept der "Menschlichen Sicherheit" (Human Security) entstanden in diesem Kontext. Trotz aller Begrenzungen bilde die UNO heute „ein System kollektiver Sicherheit, das weit über die Kant’schen Vorstellungen einer Friedensordnung hinausgeht“, schlussfolgerte der Völkerrechtler Hans Joachim Heintze in einem Beitrag zur Friedenskonsultation der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST). Und dieses System unterliege der Kontrolle durch die Zivilgesellschaft, die die Staaten an ihre Versprechen aus dem Gründungsvertrag kontinuierlich erinnern müssen: "zukünftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren".

Häufig wird ein Versagen der Staaten in der Friedenssicherung oder Bewältigung humanitärer Katastrophen der UNO als solches angelastet. Das ist ungerecht und verdeutlicht ein Missverständnis. Wenngleich der UN-Generalsekretär normsetzend handeln kann, so sind die VN doch kein eigenständiger Akteur mit einem eigenständigen Budget, sondern eine Staatenorganisation, und diese kann immer nur so stark und wirksam sein, wie die Mitgliedstaaten sie haben wollen. Man sollte sich vor Augen führen, dass UN-Institutionen angesichts von Katastrophen und internationalen Problemlagen regelmäßig bei den Mitgliedstaaten auf Betteltour gehen und unaufhörlich Mittel einwerben müssen, um ihren Aufgaben nachkommen zu können.

Vor allem die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die angesichts der gegenwärtigen Corona-Pandemie dringend gestärkt werden müsste, wird von den Mitgliedstaaten seit einiger Zeit sehr nachlässig behandelt und aktuell auch noch vom zahlungskräftigsten Beitragszahler USA massiv unter Druck gesetzt. Neben zahlreichen anderen mulitateralen Verträgen z.B. in den Bereichen Klima und Rüstungskontrolle hat die US-Regierung nun auch den Rückzug aus der WHO beschlossen. Dies ist - neben dem Ausbruch der Pandemie und ihren verheerenden wirtschaftlichen Folgen - eine der schlechtesten Nachrichten im Jahr des VN-Jubiläums. Dass die deutsche Bundesregierung der WHO nun Mittel zur Verfügung stellen will, um den Wegfall der amerikanischen Beiträge teilweise auszugleichen, ist eine gute Nachricht. Allerdings bildet diese Dynamik nur ein Element in einer viel umfassenderen Krise, denen sich die VN aktuell gegenübersehen.

Die Pandemie als Existenzrisiko für den Multilateralismus und das UN-System

Die Pandemie fordere die Staaten, Bündnisse und das Weltsystem auf eine sehr massive Weise heraus, die mit der Situation vor hundert Jahren vergleichbar sei, so die Einschätzung des UN-Diplomaten Matthias Leitner. Die Europäische Union und die G-20 Staaten hätten Initiativen für Stabilisierung unternommen, jedoch sei die Gestaltung der finanziellen Kooperation im Euroraum weiterhin umstritten, und die latente Konfrontation zwischen den USA und China habe sich verschärft. Die Krise bilde daher eine existenzielle  Herausforderung für die multilaterale Zusammenarbeit. Auch wenn man noch nicht klar erkennen könne, wie sich die Pandemie auf akute oder latente Konflikte auswirke, bestehe die Gefahr, dass sie den Nationalismen einen Schub verleihe.

Die Reaktionen der VN im Rahmen der WHO, mit dem Aufruf des Generalsekretärs für eine weltweite Waffenruhe, der Etablierung eines Nothilfefonds für humanitäre Krisen, wie auch die  Mittelbereitstellung durch den Weltwährungsfonds und die Weltbank seien wichtige Schritte. Gleichzeitig fehle es angesichts der Polarisierung im Sicherheitsrat an Einigkeit, um die Hilfsleistungen wirklich effektiv zu steuern. In dem Maße, wie die globale Vermittlerrolle der VN in Frage gestellt wird, werde es schwieriger, deren Instrumentalisierung zu verhindern und akute Problemlagen zu bewältigen. Zudem sei absehbar, so meint UN-Experte Leitner, dass angesichts der umfassenden finanziellen Rettungsmaßnahmen in Asien und beiderseits des Atlantik die regelmäßigen Beitragszahlungen an die VN in den kommenden Jahren geringer ausfallen werden. Auch die freiwilligen Leistungen würden vermutlich eingeschränkt - was wiederum die WHO besonders hart treffen könnte. Im nächsten Haushaltsplan müsse die UNO mit Notmaßnahmen rechnen. So bestehe ein hohes Risiko, dass die Weltorganisaton nur noch improvisiert weiterarbeiten könne und nachfolgend immer mehr an Akzeptanz verliere: "Kollektive Führung auf Weltebene und gemeinsame Entscheidungen zu Frieden und Sicherheit könnten dabei verlorengehen und ein Vakuum hinterlassen. das noch mehr Instabilität produziert."

Dringender Reformbedarf - Chance für den deutschen Vorsitz im Sicherheitsrat

Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken solle die Bundesregierung ihren Vorsitz im Sicherheitsrat im Juli 2020 nutzen und sich für Reformen des UN-Systems einsetzen. Leitner schlägt vor, ein "Forum für UN-Reformen" zu gründen, in dem Thinktanks aus Deutschland und den EU-Staaten, ExpertInnen aus dem Auswärtigen Dienst der EU, sowie PraktikerInnen aus UN-Missionen wissenschaftliche Analysen und praktische Vorschläge für strukturelle Reformen erarbeiten. Die Ergebnisse sollten noch während der deutschen Mitarbeit im Sicherheitsrat bis Ende 2020 mit reformwilligen Mitgliedsstaaten geteilt und vorangetrieben werden (Matthias Leitner, PeaceLab-Blog 16.4.2020):

"Thematische Cluster zur UN-Reform (...) sind der Bereich Personalwesen, Zusammenarbeit/Subsidiarität mit den Regional Economic Commissions (RECs) und EU-Partnerschaft sowie Rule of Law und globale digitale Standards bzw. Technologietransfers für Krisenvorsorge und Bekämpfung von künftigen Pandemien. Auch globale Gesundheitssicherheit sollte dabei eine zentrale Rolle spielen. Denn nie war klarer, dass die Welt globales Handeln braucht, als in diesen Zeiten einer handfesten planetaren Krise. Reformen in dieser Krise könnten die letzte Gelegenheit für „build back better“ sein. Nur so haben die Vereinten Nationen die Chance, ihrer zentralen Rolle für die Wahrung globaler Ordnung gerecht zu werden, die ihnen 1945 nach dem 2. Weltkrieg zugedacht war. Deutschland hat daran ein fundamentales Interesse."

Diese Ideen erscheinen konstruktiv und folgerichtig. Allerdings werden die VN, um langfristig glaubwürdig und akzeptiert zu sein, auch um eine Reform des Sicherheitsrats nicht herumkommen. Bezüglich der aktuellen Zusammensetzung und häufig kritisierten Veto-Möglichkeit schlussfolgert der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze (Zur Friedensfähigkeit von Systemen Kollektiver Sicherheit, in I. J. Werkner und M. Fischer, Hg., Europäische Friedensordnungen und Sicherheitsarchitekturen, Berlin 2017, S. 143-162):

„Das System ist nicht falsch, entspringt es doch der Erkenntnis, dass der Weltfrieden nicht gegen Großmächte gesichert werden kann, sondern nur mit ihnen. Falsch ist allerdings, dass die Großmächte dieses System nicht – wie zugesagt – im Interesse des Weltfriedens genutzt haben, sondern vielfach zur Durchsetzung ihrer nationalen Interessen. Damit haben sie die UN-Charta verletzt und einem System kollektiver Sicherheit zuwider gehandelt. Der Sonderstatus der fünf Großmächte, die permanente Mitglieder im Rat sind, war historisch sicher gerechtfertigt. Mittlerweile hat sich die Kräftekonstellation auf der Welt aber grundlegend verändert und muss sich auch in der Struktur des Sicherheitsrates widerspiegeln.“

So ist es 75 Jahre nach der Etablierung des VN-Systems einfach nicht mehr hinnehmbar, dass ganze Kontinente - wie Afrika und Lateinamerika - nicht als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat vertreten sind, ebenso wenig wie Indien, das mehr als eine Milliarde Menschen repräsentiert. Eine solche Reform ist ein ambitioniertes Projekt, dass sich während der deutschen Präsenz im UN-Sicherheitsrat gewiss nicht realisieren wird. Aber es sollte nicht in Vergessenheit geraten und stetig vorangeschoben werden.

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