Am Samstag kam es bundesweit zu Kundgebungen der Seebrücke. Am Sonntag fand die große Abschlusskundgebung vor dem Roten Rathaus in Berlin statt. Zentrale Forderungen der mit Atemmasken ausgerüsteten und weit auseinanderstehenden Demonstrierenden: #EvacuateNow – alle Flüchtlingslager jetzt evakuieren, die Menschen dezentral und menschenwürdig unterbringen und ihnen echte Bleibeperspektiven eröffnen. Migration ist ein globales Phänomen und das gleiche gilt für damit einhergehende soziale Kämpfe. Unter dem Hashtag #LibertadNoDetención hatten vor wenigen Wochen mexikanische und zentralamerikanische zivilgesellschaftliche Organisationen die Evakuierung der mexikanischen Flüchtlingslager gefordert. Hier wie dort wird seit langem gegen die menschenunwürdige Lagerunterbringung von Geflüchteten mobilisiert. Hier wie dort hat sich die Situation in den überfüllten Lagern angesichts der globalen Corona Pandemie weiter zugespitzt. Social Distancing und die Einhaltung von Hygienemaßnahmen sind dort schlicht nicht möglich.
Haftanstalten für Migrant*innen
Ein zentrales Element von Grenzregimen ist die Unterbringung und Isolation von Migrant*innen in Sammelunterkünften. De facto kommt das oft einer Inhaftierung gleich. Zusammengepfercht in engen, prekären Behausungen und zu Untätigkeit gezwungen, den Ausgang langwieriger Asylverfahren abwartend, werden nicht wenige von ihnen zermürbt. Das spricht sich herum und soll abschreckend wirken. Die Ausprägungen der Maßnahmen variieren dabei freilich von Land zu Land. In den Lagern auf den griechischen Inseln sitzen die Menschen fest, da sie schlicht keine Möglichkeit haben, das europäische Festland zu erreichen. In Deutschland sind Geflüchtete vielfach an abgelegenen Orten mit schlechten Anbindungen an den ÖPNV in Sammelunterkünften (etwa den sogenannten Ankerzentren) untergebracht. In Ungarn oder den USA sitzen sie ganz sinnbildlich hinter Stacheldraht und verschlossenen Toren. Auch in Mexiko werden die überwiegend aus zentralamerikanischen Ländern stammenden Migrant*innen in sogenannten „Migrationsstationen“ untergebracht. Diese, auch euphemistisch als „Herbergen“ bezeichneten Einrichtungen, sind von dicken Mauern umgeben und werden streng bewacht. Raus kommt man hier meist nur in einem der unzähligen Abschiebetransporte.
Auswirkungen der Corona Pandemie auf Migrant*innen und ihre Familien
Corona spitzt die Situation in diesen Sammelunterkünften beziehungsweise Haftanstalten zu. Die Migrant*innen sind einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt und die Gesundheitsversorgung ist defizitär. Mexiko hat seine Haftanstalten inzwischen zu großen Teilen geleert. Allerdings wurden den Migrant*innen kein rechtsstaatliches Asylverfahren und eine menschenwürdige Unterbingung zuteil. Vielmehr wurde die allermeisten von ihnen schlicht nach Zentralamerika abgeschoben. Auch auf anderer Ebene trifft Corona Migrant*innen hart. In den Amerikas hat Corona das geschafft, was Trumps Mauer, der Einsatz von Militär und eine extrem restriktive und durch die USA erwirkte mexikanische Migrationspolitik nicht zu schaffen vermochten: die Migrationsströme sind seit Beginn der Pandemie und im Zuge der Schließung aller Grenzen auf der Route nach Norden um etwa 85% zurückgegangen. Dabei ist es nicht so, dass die Menschen nun auf einmal keinen Grund mehr hätten zu gehen. Im Gegenteil, die Gewalt in der Region spitzt sich weiter zu und Corona wird teilweise durch staatliche und private Akteure ausgenutzt, um ihre Interessen durchzusetzen. Menschenrechtsverletzungen nehmen in der Folge zu. Migrant*innen, die es bereits über die Grenze geschafft haben, sind keineswegs sicher. Washington und Mexiko-Stadt haben Abschiebungen als systemrelevant eingestuft. Aus den USA sind seit Beginn des Jahres 300 Abschiebeflüge registriert worden. Mexiko soll Abschiebungen in den letzten Wochen sogar noch ausgeweitet haben. Zu den Abgeschobenen kommt eine große Zahl „freiwillig“ aus den USA zurückkehrender Migrant*innen. Viele von ihnen haben illegalisiert und in prekären Jobs gearbeitet. Diese sind im Zuge der schweren Corona-Krise in den USA nun weggefallen. Da sie über keinerlei soziale Absicherung verfügen und sich ohne Einkommen die teuren Lebenshaltungskosten nicht leisten können, sind sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Damit verschärfen sich die ohnehin harten sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie für die armen, oft indigenen Herkunftsgemeinden der Migrant*innen massiv. Viele der dort lebenden Familien hängen von den Rücküberweisungen aus den USA ab.
Ein neuer Projektpartner von Brot für die Welt in Südmexiko
Im Zuge des Aufbaus des Migrationsprogramms für die Region Zentralamerika und Karibik wird durch Brot für die Welt nun eine neue Partnerorganisation in die Förderung aufgenommen. Das Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova in der mexikanischen Grenzstadt Tapachula bietet ankommenden Migrant*innen eine Rechtsberatung und begleitet ihre Fälle mit einem interdisziplinären Team aus Jurist*innen, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen. Durch das von Brot für die Welt finanzierte Projekt soll die Menschenrechtssituation in den Haftanstalten für Migrant*innen beobachtet und dokumentiert werden. Außerdem wird ein Fokus auf den Nexus aus genderbasierter Gewalt und Migration gelegt. Viele Frauen und LGBTIQ Personen müssen fliehen, da sie aufgrund ihres Geschlechts Gewalt erfahren und verfolgt werden. Ziel ist es, juristische Präzedenzfälle zu schaffen und das bisher weitgehend unsichtbare Thema, im öffentlichen Diskurs zu platzieren. Die Arbeitsumstände der gut 20 Mitarbeitenden der Menschenrechtsorganisation sind dabei nicht einfach. Im Zuge der Zuspitzung und Verhärtung der Migrationspolitik der letzten Jahre haben auch die Angriffe und Diffamierungen gegenüber NGOs zugenommen, die für die Rechte von Migrant*innen eintreten. Seit Beginn der Corona-Epidemie sind die Übergriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen in Mexiko noch einmal angestiegen (seit dem 15. März 2020 wurden vier Menschenrechtsverteidiger*innen und zwei Journalist*innen aufgrund ihrer kritischen Arbeit ermordet). Es zeigt sich einmal mehr, Corona schlägt global zu, aber der Virus trifft bestimmte Gruppen ungleich härter.