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Zivilgesellschaft in Ungarn unter Druck

"Ungarn ist ein Musterbeispiel für die Rückentwicklung von Demokratie". Die 6. Werner Lottje Lecture beschäftigte sich mit Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidiger_innen in Ungarn.

Von Ehemalige Mitarbeitende am

Die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft in Ungarn werden von Jahr zu Jahr stärker eingeschränkt, was sowohl die ungarische Demokratie als auch die Menschenrechte bedroht. "Ungarn ist ein Musterbeispiel für die Rückentwicklung von Demokratie", betonte Márta Pardavi, die Co-Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Ungarisches Helsinki-Komitee. Sie war vom Deutschen Institut für Menschenrechte und von Brot für die Welt als Redner_in zur diesjährigen Werner Lottje Lecture am 21. Februar nach Berlin eingeladen worden. Die Veranstaltung, die bereits zum sechsten Mal stattfand, beschäftigt sich mit den Herausforderungen des Menschenrechtsschutzes in einem bestimmten Land.

Bereits in der Einführung in den Abend hob Julia Duchrow, die Leiter_in des Referats Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt, hervor, wie sich die Rahmenbedingungen für Zivilgesellschaft weltweit verschlechtern und verdeutlichte, dass diese Entwicklung auch in Europa zu beobachten sei. Vor dem Hintergrund der richtungsweisenden Europawahlen in diesem Jahr sei daher der Blick auf ein EU-Mitgliedsland wie Ungarn besonders interessant. Denn die Aussage von Ministerpräsident Viktor Orbán, "die liberale Demokratie zu Grabe tragen zu wollen" zeige autoritäre Tendenzen auf, die das gesamte europäische Projekt bedrohten.

Die realpolitischen Auswirkungen auf die ungarische Gesellschaft beschrieb Márta Pardavi in ihrem Vortrag. Sie ging dabei vor allem auf praktische Beispiele ein, die dem Publikum ein Bild von den Zuständen in Ungarn geben sollten. So würden ungarische Menschenrechtsverteidiger_innen und zivilgesellschaftliche Organisationen nicht nur mit erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten und staatlichen Restriktionen kämpfen, sondern sie seien auch massiven Hetzkampagnen und einer extrem negativen Berichterstattung ausgesetzt. Zudem berichtete Pardavi von einigen Fällen, in denen Geflüchteten von staatlicher Seite Nahrung verweigert wurde, was die menschenrechtswidrigen Zustände in den Internierungslagern belege. Als kleinen Lichtblick gab sie jedoch an, dass ein verhältnismäßig großer Teil der Bevölkerung die Arbeit von NGOs unterstütze. "Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich 80 Prozent der Ungarinnen und Ungarn eine starke Zivilgesellschaft", so Pardavi.

Zivilgesellschaftliche Arbeit kann die ungarische Demokratie stärken

In einer Podiumsdiskussion vertiefte Pardavi gemeinsam mit Dora Kanizsai-Nagy von der ungarischen Flüchtlingsorganisation Kalunba und dem Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik der Grünen, das Thema. Kanizsai-Nagy berichtete aus erster Hand von ihren Erfahrungen mit der Arbeit mit Geflüchteten in Ungarn. So habe die Organisation Kalunba ihre Aktivitäten nur mithilfe der finanziellen Unterstützung kirchlicher Partner aus ganz Europa fortsetzen können, nachdem sich 2015 der nationale gesetzliche Rahmen für die Flüchtlingshilfe fundamental geändert habe. Neben der Finanzhilfe schätzt Kanizsai-Nagy vor allem das ideelle Engagement: "Die Solidaritätsbesuche befreundeter Organisationen zeigen uns immer wieder, dass wir in Ungarn nicht isoliert sind."

Die Unterstützung durch ausländische Träger ermutigt auch Márta Pardavi. Um in Ungarn Stiftungen und Organisationen nachhaltig aufzubauen und zu stärken wünscht sie sich, dass auch die EU vermehrt finanzielle Mittel einsetzt. Denn ein entschlossenes zivilgesellschaftliches Engagement sei unabdingbar für den Erhalt einer demokratischen Kultur. Manuel Sarrazin sieht die Handlungsmöglichkeiten der EU hingegen begrenzt, da die institutionellen Instrumente fehlten. Eine Möglichkeit der Einflussnahme bestehe allerdings in der Kürzung von Geldern, mit denen die ungarische Regierung beispielsweise zahlreiche Infrastrukturprojekte finanziere. Wolfgang Heinz, ehemaliger Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte und Moderator der Diskussion, verwies abschließend mit Blick auf den Handlungsspielraum der EU auf die laufenden rechtsstaatlichen Verfahren gegen Ungarn und Polen: Hier könnte als weiteres Druckmittel der Entzug des Stimmrechts im Europäischen Rat ins Spiel gebracht werden, so der Menschenrechtsexperte.

(Text: DIMR)

 

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