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Entwicklung braucht Zivilgesellschaft

Neue Studie der ACT Alliance zeigt Zusammenhänge zwischen Shrinking Space und dem Erreichen der SDGs

Von Christine Meissler am
Menschen demonstrieren

Um die Wirkung von Shrinking Space auf das Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele zu untersuchen, hat Brot für die Welt zusammen mit dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche Schweiz und dem Hilfswerk der Dänischen Kirche eine Studie beim Institute of Development Studies (IDS), Sussex, in Auftrag gegeben. Sie zeigt, dass es dort, wo es keine  unabhängigen kritischen zivilgesellschaftlichen Akteure gab, die eine Watchdogrolle einnahmen, Rechte von Benachteiligten einforderten, die öffentliche Politik kritisierten und die Regierung zur Rechenschaft ziehen konnten, in vielen Fällen zu steigender Marginalisierung und Verarmung kommen konnte. Grundlage waren zwölf Deskstudien und vier Länderstudien in Brasilien, Kambodscha, Nepal und Simbabwe.

Arbeitsbedingungen zunehmend erschwert

Seit einigen Jahren betrachtet Brot für die Welt mit zunehmender Sorge, dass sich in vielen Ländern die Arbeitsbedingungen seiner Partner wie auch anderer zivilgesellschaftlicher Akteure zunehmend erschwert haben oder ganz unmöglich gemacht werden: sie dürfen kein ausländisches Fördergeld mehr annehmen, verlieren ihren Status oder werden einfach verboten. Dieses Phänomen wird seit einigen Jahren auch als Shrinking Space bezeichnet. Daten von CIVICUS, die Brot für die Welt im Atlas der Zivilgesellschaft veröffentlicht, zeigen, dass zwei Milliarden Menschen in Staaten leben, wo zivilgesellschaftliches, d.h. bürgerschaftliches, Engagement durch staatliche Gewalt vollständig unterbunden wird. Nur vier Prozent der Menschen genießen uneingeschränkte Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und können ihre Anliegen frei äußern, an Demonstrationen teilnehmen oder eine zivilgesellschaftliche Organisation gründen. Brot für die Welt ist, wie auch andere Nichtregierungsorganisationen, die mit lokalen Partnerorganisationen arbeiten, operationell stark von den Einschränkungen und Repressionen gegen seine Partner betroffen. Wir begreifen die Unterdrückung von kritischer und unabhängiger Zivilgesellschaft auch als Angriff auf ein Entwicklungsideal, das im Sinne des Prinzips der UN-Nachhaltigkeitsziele „niemanden zurücklässt“, das menschenrechtsbasiert ist und arme und benachteiligte Menschen befähigt, ihre Lebenssituation zu verbessern.

Ohne gesellschaftliche Freiheiten keine Transparenz und Korruptionsbekämpfung

Die Einschränkungen der Finanzierungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Ausland wirkten sich unmittelbar auf die Überlebensfähigkeit und Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus: Es sind vor allem Organisationen betroffen, die sich kritisch gegen ungerechte Strukturen, Verantwortungslosigkeit, uneingeschränkten Machtausbau oder Selbstbereicherung engagierten. Dies trifft im besonderen Maße benachteiligte Gruppen und Minderheiten, für die sich die Organisationen zuvor einsetzten. Der Bericht zeigt auch, dass Zensur und Überwachung, die Bestrafung von Kritik, Verstöße gegen Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit, die oft auch mit einer abhängigen Justiz einhergehen, Folgen haben: Regierungen können dann für Korruption und Missmanagement, inkompetente Verwaltung und unzureichende soziale Dienstleistungen nicht verantwortlich gemacht werden.

Auswirkungen von Shrinking Space auf Nahrungsmittelkrisen

Die Beschränkung zivilgesellschaftlichen Engagements wirkt sich besonders dramatisch aus, wenn es zu Nahrungsmittelkrisen kommt, von denen arme und benachteiligte Gruppen am meisten betroffen sind. In Simbabwe z.B. behinderte die Regierung soziale Dienstleistungen durch zivilgesellschaftliche Organisationen für Gemeinden in Matabeleland, da die Region als Oppositionsgebiet betrachtet wurde. Diese Behinderung sowie das Verbot einer zivilgesellschaftlichen Kontrolle der politischen Macht haben zu sinkender Resilienz dieser Region und zur Dramatik der Nahrungsmittelkrisen beigetragen. So haben in Simbabwe aufeinander folgende Dürreperioden, makroökonomische Krisen und die Unfähigkeit des Staates, sich auf solche Krisen vorzubereiten und damit umzugehen, Millionen von Menschen tiefer in die Armut getrieben. Während der sogenannten Regierung der Nationalen Einheit (von 2009 bis 2013) zeigte sich dagegen wie mehr Freiheit mehr Fortschritte in der Armutsreduzierung erreichen konnte.

Partizipation der Zivilgesellschaft kann Hunger und Armut bekämpfen

Dagegen reduzierte Brasilien in den Nullerjahren den Anteil der Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze lebte, durch breit angelegte, institutionalisierte Formen von Bürgerbeteiligung und Programme wie den Mindestlohn und das Familienbeihilfeprogramm Bolsa Familia. Dies geschah auch durch die Einflussnahme der Zivilgesellschaft, ihr Monitoring und die Möglichkeit Regierungsbehörden zur Rechenschaft zu ziehen. Besonders in den benachteiligten, historisch armen, nichteuropäischen Regionen im Norden und Nordosten des Landes kam es zu einer drastischen Verringerung der Armut. Dies war gleichzeitig ein Beitrag zur Reduzierung der nationalen Ungleichheit. Der Mindestlohn stieg von 2004 bis 2014 um 250 Prozent, der Anteil der Armen im Land sank von 25 Prozent im Jahr 2003 auf sieben Prozent im Jahr 2014. Es ist zu befürchten , dass die nunmehr veränderte politische Situation in Brasilien, die auch eine Beschränkung der Grundfreiheiten nach sich zieht, frühere Fortschritte bei der Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit zunichte machen wird.

Zivilgesellschaft weltweit braucht Unterstützung

Staatliche Geber der Entwicklungszusammenarbeit wie Deutschland sollten die Prinzipien der inklusiven und nachhaltigen Entwicklung anwenden, fördern und einfordern. Wenn das Prinzip der UN-Nachhaltigkeitsziele „niemanden zurück zu lassen“ von staatlichen Gebern wirklich ernst genommen wird, dann müssen sie sich entschieden und wirkungsvoll für die Freiräume der Zivilgesellschaft stark machen.

Die menschenrechtsorientierte Verantwortung sollte bei der Gestaltung der eigenen Politik anfangen. Politikfelder wie Migrations- oder Sicherheitspolitik und Außenwirtschaftsförderung  dürfen Menschenrechte und zivilgesellschaftliches Engagement nicht beeinträchtigen oder gar schaden: Staatliche Geber sollten verbindliche Prüfverfahren einführen, damit politische Entscheidungen und Maßnahmen anderer Politikfelder keinen negativen Einfluss auf die Menschenrechte und Freiräume der Zivilgesellschaft in anderen Ländern haben. Geber müssen sich gegen einschränkende repressive Gesetze und Gesetzesinitiativen einsetzen. Sie müssen Verhandlungen mit Drittländern nutzen, um wirkungsvoll gegen die Einschränkung von gesellschaftlichen Freiheiten einzutreten. Darüber hinaus sollten sie sich für den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und die Bekämpfung von Straflosigkeit stark machen.

Eine verkürzte deutsche Fassung der Studie wird in den nächsten Monaten erscheinen.

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