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Einschätzungen zum Migrationspakt - Interview

Die internationale Gemeinschaft hat heute mit großer Mehrheit den Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration offiziell angenommen. Im Vorfeld sprachen wir mit dem Migrationsforscher Dr. Stefan Rother über die Bedeutung des Pakts und seine Einschätzungen zur zukünftigen Umsetzung.

Von Nils Utermöhlen am

Dr. Stefan Rother

Brot für die Welt: Die große Mehrheit der Staaten wird heute voraussichtlich den Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration (GCM) im Rahmen einer zwischenstaatlichen Konferenz in Marrakesch annehmen. Auch von weiten Teilen der Zivilgesellschaft und vielen MigrantInnenorganisationen wird der Pakt unterstützt, manche sprechen sogar von einem "Meilenstein" in der internationalen Migrationspolitik. Ist dieser Enthusiasmus gerechtfertigt, angesichts der Tatsache, dass der Pakt für die Staaten völkerrechtlich nicht bindend sein wird?

Dr. Stefan Rother: Eine völkerrechtlich bindende Regelung wäre besser gewesen, aber wenn man pragmatisch ist, kann man sagen: Lieber ein Compact in der Hand, als eine Konvention auf dem Dach. Angesichts des hochgradig politisierten und negativen Umfelds ist es schon beachtlich, dass es überhaupt so ein Dokument gibt. Damit wird anerkannt, dass die Herausforderung Migration besser in Kooperation als von Staaten ohne Absprache, in Isolation angegangen wird. Es wird zudem anerkannt, dass diese Kooperation nicht nur Staaten, sondern auch andere Akteure wie die Zivilgesellschaft miteinbezieht. So gesehen kann man von einem Meilenstein sprechen – aber der Weg ist noch viele Meilen lang… So sollte die Zivilgesellschaft weiterhin drauf drängen, dass die UN Konvention ratifiziert wird oder es ein bindendes Folge-Instrument gibt.

BfdW: Der Globale Pakt für Migration ist nicht der erste Versuch, auf internationaler Ebene Standards im Umgang mit Migration zu setzen. Bereits 1990 haben die Vereinten Nationen eine Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen verabschiedet. Bislang wurde diese Konvention allerdings fast ausschließlich von klassischen Herkunftsländern der Migration ratifiziert, Zielländer der Migration lehnen die Konvention größtenteils ab. Wie spiegelt sich der Interessensgegensatz zwischen Herkunfts- und Zielländern in dem Migrationspakt wider? 

S.R.: Ganz so klar ist die Trennlinie nicht – so wie es ja durchaus Zielländer von MigrantInnen gibt, die sich für deren Rechte einsetzen, gibt es auch Herkunftsländer, denen die Finanztransfer ihrer Bürger im Ausland wesentlich wichtiger sind.  Weiterhin gibt es Herkunftsländer, die mit einer Ratifizierung der UN-Konvention gezögert haben, weil sie zwar gerne die Rechte für „ihre“ MigrantInnen haben, aber die gleichen Rechte nicht unbedingt MigrantInnen, die zu ihnen kommen, gewähren können oder wollen. Manche sind auch noch Transitländer… Aber sehr generell lässt sich sagen, dass Punkte wie Grenzsicherung, Klärung von Identitäten und mehr oder minder „freiwillige“ Rückkehr vor allem von Zielländern betont wurden. Gerade Deutschland hat sich sehr für den letzten Punkt stark gemacht. Herkunftsländer haben sich beispielsweise für geregelte und günstigere Rücküberweisungen, aber auch den Schutz von MigrantInnen ausgesprochen. Viele Punkte kann man aber gar nicht so einfach zuordnen, und das ist ein gutes Zeichen: Die Anerkennung von Qualifikationen und die Portabilität von Leistungen wie Renten betreffen offenkundig Herkunfts- wie Zielländer.

BfdW: In vielen Regionen gibt es bereits Ansätze, die Freizügigkeit von Arbeitskräften zu erleichtern bzw. Mindeststandards zu setzen. Beispiele hierfür sind die ASEAN, die eine gemeinsame Deklaration zum Schutz von MigrantInnen verabschiedet haben oder der Abu Dhabi Dialogue zwischen Ländern Asiens und den Golfstaaten. Werden solche regionalen Ansätze in Zukunft weiterhin noch eine Rolle spielen?

S.R.: Ja, das ist ja kein Widerspruch – ganz im Gegenteil: Alle sind sich einig, dass die Rolle der Regionen bei Umsetzung und Überprüfung des Migrationspakts gestärkt werden soll. Tatsächlich haben die genannten Prozesse ja zwar Potential, es besteht aber noch sehr viel Raum zur Konkretisierung. So hat man sich in der ASEAN rund zehn Jahre um ein Instrument zum Schutz von MigrantInnen bemüht, heraus kam dann aber nur eine recht vage, allenfalls „moralisch bindende“ „Manila Declaration“. Mehr Potential sehe ich beim ASEAN Forum on Migrant Labour (AFML), das nach dem Modell der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Vertreter von Staaten, Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie der Zivilgesellschaft zusammenbringt. Beim Abu Dhabi-Dialogue gibt es zumindest einige Pilotprojekte; wenn das Forum langfristig für bessere Arbeitsrechte in den Golfstaaten sorgt, kann das nur recht sein. Gestern erzählte eine Vertreterin von Sri Lanka, dass sie sich in dem Dialog künftig auf den Migrationspakt berufen wollen – ein Beispiel dafür, wie die nationale, globale und regionale Ebene zusammenhängen.

BfdW: Die Mehrzahl der Länder, die im Vorfeld der Staatenkonferenz angekündigt haben, den GCM nicht mitzutragen, sind Mitglieder der Europäischen Union. Blickt man auf die gemeinsame Migrationspolitik der EU in den vergangenen Jahren, die wesentlich  durch Abschottung und Kontrolle von Migrationsbewegungen geprägt ist, dann gewinnt man eher nicht den Eindruck, dass unmittelbar ein Kurswechsel bevorsteht. Wird der Global Compact on Migration dennoch zu einer Neuorientierung beitragen können?

S.R.: Unmittelbar steht in der EU sicher kein Kurswechsel bevor, die Situation ist sehr zerfahren. Nach der Einigung auf den Compact werden aber vielleicht auch die ablehnenden Staaten bald merken, dass sie nur kurzfristig populistisch punkten konnten – insbesondere, wenn sich die anderen effektiv an die Arbeit machen. Auf die Abschottungspolitik wird der Compact zunächst keinen Einfluss haben, vielleicht trägt er aber doch mittelfristig zu einer pragmatischeren Einwanderungspolitik im Bereich der Arbeitsmigration bei. Fürs erste muss man aber sagen, dass die EU bei dem Thema ein trauriges Bild abgegeben hat.

BfdW: Nach der Verabschiedung geht es um die Umsetzung des Migrationspakts. Die Bundesregierung hat erklärt, dass Deutschland einen großen Teil der Verpflichtungen des GCM bereits erfüllt, der Pakt sich vorrangig an Länder des Globalen Südens richte. Hat Deutschland seine Hausaufgaben tatsächlich bereits gemacht?

S.R.: Natürlich gibt es auch für Deutschland einiges Potential bei der Umsetzung. Ein vergangene Woche veröffentlichter Bericht vom Deutschen Institut für Menschenrechte hat aufgezeigt, wie Menschen mit irregulären Arbeitsverhältnissen auch in Deutschland ausgebeutet werden. Wenn man dafür sorgt, dass Arbeitsmigration - ich spreche nicht von Flucht - soweit wie möglich regulär, entsprechend internationalen Standards, am Bedarf des Arbeitsmarkts orientiert und unter Einbeziehung von Partnern wie etwa den Gewerkschaften erfolgt, wäre sowohl den Migranten als auch dem sozialen Frieden hierzulande geholfen. Entsprechende Initiativen laufen, etwa mit den Philippinen, es sind aber noch recht kleine Fallzahlen. Konkret wichtiger für Deutschland wäre aber endlich ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, das Möglichkeiten zur regulären Arbeitsmigration bietet, Anerkennung von Qualifikationen regelt etc. Auch bei Integration, Kampf gegen Rassismus und politischer Beteiligung von MigrantInnen gäbe es mittels eines nationalen Aktionsplans einiges zu verbessern. Wichtig ist, dass in diesem Prozess eine Vielzahl von Akteuren wie der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Arbeitgebern beteiligt sind – natürlich auch Organisationen wie Brot für die Welt.

BfdW: "Don´t talk about us without us" forderte Eni Lestari, Vertreterin der International Migrants Alliance, im September 2016 auf dem UN Gipfel zu Flucht und Migration. Kann der Global Compact for Migration diese Forderung einlösen und MigrantInnen im Umsetzungsprozess eine Stimme geben?

S.R.:Die Beratungen zum Migrationspakt sind hier ein durchaus gutes Beispiel, denn der Prozess war – entgegen der anderslautenden Propaganda – überdurchschnittlich transparent und offen. Organisationen von und für MigrantInnen konnten viele wichtige Punkte einbringen, die sich insbesondere im ersten Draft fanden, danach wurde von den Staaten einige abgeschwächt. Wichtig ist, dass die MigrantInnen als direkt Betroffene der Politik auf allen Ebenen der Umsetzung eingebunden sind – beim globalen Review- und Monitoring-Prozess, vor allem aber auf der nationalen und lokalen Ebene, wo sie ihre Erfahrungen einbringen können. Das wäre eine inklusivere und letztlich auch demokratischere Politik.

Dr. Stefan Rother forscht als Senior Research Fellow am Arnold-Bergstraesser-Institut an der Universität Freiburg und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen der zivilgesellschaftlichen Partizipation an internationalen Politikprozessen, insbesondere im Bereich der Migrationspolitik. Privater Weblog von Stefan Rother: http://gfmd-blog.com

 

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