In einem Seminar wurde es mir damals ungefähr so erklärt (natürlich ein wenig pauschalisiert): In Deutschland strukturieren Menschen ihre Zeit eher sequentiell. Das bedeutet, dass die verfügbare Zeit geplant wird und z.B. im Laufe eines Tages Termine, die anstehen, vor allem pünktlich eingehalten werden sollen.
In vielen unserer Gastländern (auf Sambia trifft es für mein Empfinden auf jeden Fall zu) wird die Zeit nicht in solchen Abschnitten strukturiert, sondern „synchron“ erlebt. Synchrones Zeiterleben zeichnet sich dadurch aus, dass für diese Menschen die Beziehung zu anderen im Vordergrund steht und Terminplanungen auch gut und gerne über Bord geworfen werden können, wenn etwas in dem Moment wichtigeres dazwischen kommt.
Am Anfang stand ich dem noch ein wenig skeptisch gegenüber, doch je länger ich in Sambia war, desto öfter kam es vor, dass mein sequentielles Zeiterleben mit dem synchronen anderer Personen kollidiert ist. So zum Beispiel einmal, als ich eine Verabredung mit einem jungen Mann im Jugendzentrum hatte. Ich arbeite, zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Susanne, in einem kleinen Dorf Sinazeze im Jugendzentrum der Organisation „Kaluli Development Foundation“, das letztes Jahr von unseren Vorfreiwilligen aufgebaut wurde. Es kommen so gut wie immer unterschiedliche Leute an den verschiedenen Öffnungstagen und so kam es, dass eines Tages ein Tänzer namens Dala vor unserer Tür stand und erklärte, dass er gerne Tanz- und Schauspieleinheiten mit den Kindern und Jugendlichen machen würde. Er selbst ist auch ein Jugendlicher, Anfang 20. Ich fand die Idee klasse und wir vereinbarten ein nächstes Treffen bei uns im Jugendzentrum.
Es kam also, wie es kommen musste: Dala erschien nicht zum ausgemachten Termin. Ich war ein wenig frustriert und auch wütend, weil er nicht gekommen war. Zu meiner Frustration hat auch beigetragen, dass ich mir zu der Zeit gewünscht habe, ein paar neue Ideen zu bekommen und Dala meines Erachtens nach das Talent besitzt, Leute zu motivieren und zusammen zu bringen, ich mich also darauf gefreut habe, von ihm und seinen Methoden zu lernen. Daher war für mich auch den Rest des Tages die Enttäuschung noch zu spüren.
Tatsächlich kam er zwei Wochen später wieder ins Jugendzentrum und als ich ihn gefragt habe, warum er nicht gekommen sei, sagte er, er war beschäftigt. Das war Anfang November. Jetzt weiß ich, dass er Taxi fährt und womöglich noch mehr Gelegenheitsjobs macht, um ein bisschen Geld zu verdienen. Wenn ihn da spontan jemand beauftragt, ihn von A nach B zu bringen, wird das unserem ausgemachten Termin natürlich bevorzugt, da es für ihn in dem Moment einfach wichtiger ist.
Mittlerweile stecke ich in solche Verabredungen nicht mehr all zu viele Erwartungen, denn wenn es dann klappt, ist die Freude umso größer. Dazu kommt, dass Dinge in Sambia ganz grundsätzlich einfach mehr Zeit beanspruchen und lange Wartezeiten damit einhergehen. Ob man nun auf die Personen wartet, ohne die das Meeting nicht beginnt oder darauf, dass der Minibus sich endlich mit Menschen füllt und losfährt, es dauert einfach. Nicht umsonst ist das Warten eine anerkannte Aktivität und scheint manchmal schon so etwas wie ein Lebensgefühl zu sein; man spürt das Gemütliche in den Dingen, die die Sambier tun, im alltäglichen Zusammenleben, was oft auch mit dem Warten zusammenhängt.
Für mich hat sich vor allem am Anfang häufig die Frage gestellt, was ich in dieser „verlorenen Zeit“ alles hätte schaffen oder erledigen können. Ich weiß nicht, ob sich SambierInnen manchmal auch so fühlen, man merkt es ihnen zumindest nicht an. Mit der Zeit habe ich gelernt, mich auf das Warten als Aktivität einzulassen und nicht mehr „hätte, könnte, würde...“ dominieren zu lassen. Es hat sich bewährt, denn schon oft habe ich so meine Umgebung viel intensiver wahrgenommen oder es ergaben sich unerwartete Aktivitäten, wie z.B. auf unserer drei-tägigen Zugfahrt nach Tansania im Dezember, als wir 14 Stunden wegen eines entgleisten Zuges in einem kleinen tansanischen Dorf feststeckten. Wir haben zusammen mit der Crew des Zuges zu Mittag gegessen und mit unseren MitfahrerInnen, die aus aller Welt kamen, gequatscht und einen schönen Tag auf den Gleisen verbracht.
Manchmal geht es mir natürlich auch einfach nur auf den Keks, ewig zu warten und dabei häufig nicht mal zu wissen warum. Aber darin steckt womöglich auch die Kunst; ruhig zu bleiben, sich entweder anderweitig zu beschäftigen oder sich der Aktivität des Wartens einfach mal völlig hinzugeben.
Text und Bilder: Pia Schülke