Es ist unglaublich, wie sehr ich mich hier in Yorkín eingelebt habe. Das Leben und Arbeiten ist hier so spannend, dass ich sogar die Reiselust verloren habe. Das einzige, was ich noch machen möchte, ist die Überquerung der Bergkette zu Fuß mit einem Bribri- Guide, der sich sehr gut auskennt, und wenn meine Familie mich fast am Ende des Einsatzjahres besuchen kommt, werde ich mit ihnen herumreisen. Abgesehen davon kommt mir die Zeit ohnehin schon viel zu kurz vor da es so vieles zu lernen und zu tun gibt!
So abgeschieden, wie ich in Yorkín lebe, fühle ich mich stärker in Yorkín und bei den Bribris als in Costa Rica. Und ich wurde und werde sehr gut in die Gemeinschaft eingebunden. Meine Gastfamilie ist mittlerweile für mich wie ein Teil meiner Familie in Deutschland, ich verstehe mich sehr gut mit ihnen und lerne immer mehr der großen Verwandtschaft kennen. Zu meinen Mitarbeitern habe ich ebenfalls sehr gute Kontakte und ich lerne von vielen unterschiedlichen Menschen viele Dinge. So habe ich gelernt, wie man eine Hängematte knüpft, Körbe aus speziellen Lianen flechtet und andere Kunst aus Naturmaterialien herstellt. Und natürlich lerne ich nach und nach sehr viel über die Bribri-Kultur, Kosmovision und Traditionen.
Dabei hilft es mir viel, dass ich je nach Notwendigkeit mit Besuchergruppen mitgehe, um zu übersetzen. Da je nach Guide und je nach Interessen der Besucher die Gespräche und Erklärungen in unterschiedliche Richtungen führen, lerne ich immer mehr und entdecke bei jeder Tour mehr der reichen Kultur, obwohl es immer das gleiche Programm ist. Abseits von den Übersetzungen ist mein Aufgabenbereich immer vielseitger geworden. Anfangs habe ich einige Wochen nur bei der Buchhaltung mitgeholfen. Als diese so gut wie abgeschlossen war, habe ich angefangen, die Regeln für die Besucher zu übersetzen. Von da an kamen immer mehr Ideen und Aufgaben hinzu, sowohl von Stibrawpa aus, als auch von mir. Die Organisation lässt mir den Freiraum und begegnet mir mit großem Vertrauen. Mittlerweile packe ich Schokolade für den Verkauf ein, habe das Logo von Stibrawpa auf ein Schild gemalt, ein Konzept für einfachere Koordinierung der Touren entworfen, was von Stibrawpa angenommen wurde, habe Umfragebögen für die Besucher entworfen, ... Meine Liste mit Aufgaben und Ideen füllt schon eine A4-Seite und wird immer länger
Womit ich noch nicht so viel Erfolg habe, sind die Deutsch- und EDV-Kurse. Das Problem ist, dass hier Pünktlichkeit nicht von höchster Priorität ist und meinem einzigen Deutschschüler oft Arbeit in der Organisation dazwischen kommt oder es schlicht vergessen geht. So ähnlich läuft es mit den Computerkursen. Rolando, mein Kollege im Büro war diesen Monat fast nur auf Versammlungen verschiedenster Organisationen, sodass wir kaum Zeit hatten. Aber das Interesse ist da und mit viel Geduld und Zeit bleib doch etwas Wissen hängen.
Vor kurzem war ein Deutscher für kurze Zeit als Freiwilliger hier und hat mir viel geholfen. Mit ihm konnte ich trotz oft sehr langsamem Internet in knapp zwei Wochen eine Internetseite von Stibrawpa aufbauen, auch eine Englische Version ist schon in Vorbereitung. Letzte Woche war eine weitere deutsche Freiwillige da, mit der ich eine Karte von Yorkín erstellt habe. Fast den ganzen Februar über war außerdem eine Französin hier zu Besuch, die gerade 8 Monate Sabbatjahr macht. Sie hat mir die Arbeit sehr erleichtert, indem sie für viele französische Besuchergruppen übersetzt hat und ich in der Zeit vielen anderen Aufgaben nachgehen konnte. Insgesamt hat sich mein Einsatz aus meiner Sicht ideal entwickelt. Es ist und bleibt ein Lerndienst, da ich hauptsächlich von den Menschen hier lerne, aber ich kann dennoch der Organisation und den Menschen vor Ort etwas zurückgeben und sie sagen mir auch immer wieder, dass ich ihnen weiterhelfe. So verliere ich nicht die Lust am Arbeiten, habe im Gegenteil immer mehr Ideen und beide Seiten profitieren davon.
In die Ruhe und Gelassenheit im Dorf habe ich mich mittlerweile gut eingelebt. Ich arbeite viel, sogar in der Summe etwas mehr als acht Stunden am Tag, einfach, weil mir die Arbeit Spaß macht. Aber ich kann mir meine Arbeitszeiten selbst legen, habe einen Büroschlüssel und mache manchmal ein langes Wochenende zum Ausgleich. Ein Mitarbeiter von Stibrawpa hat mal gesagt:
„Hier habe ich keinen Zeitdruck durch Arbeitgeber von außen, Verkehr und so weiter. Ich habe aber Arbeit durch Stibrawpa und meine Finca, es ist also immer etwas zu essen da. Wieso sollte ich mir also Stress machen?“
Natürlich sind gibt es auch hier Sorgen. Das Wetter entscheidet über die Ernte, die Arbeit auf den Feldern ist hart, die Einkünfte hängen vom schwankenden Tourismus ab. Aber dennoch spürt man hier eine allgemeine Gelassenheit und Freundlichkeit, die wahrscheinlich auf dem Zusammenspiel von Zugang zu Lebensmitteln, moderne Dinge wie Handys und der Bewahrung der Kultur und Abgeschiedenheit beruhen. Das „pura vida“, das man häufig in Costa Rica hört, erlebe ich hier auf noch grundlegendere Art.
Für die nächste Zeit habe ich ein paar spannende Themen, über die ich hier schreiben möchte. Ich muss noch ein paar Informationen sammeln, aber so melde ich mich hoffentlich etwas öfter als bisher. Falls ich über ein spezielles Thema oder über einen bestimmten Teil des Lebens und der Kultur hier schreiben soll, bin ich für Fragen sehr offen!
Viele Grüße,
Michael