Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Umweltaktivisten, Frauengruppen, Studenten und linken Parteien bereitet in der Hauptstadt Buenos Aires eine globale Aktionswoche gegen Freihandel und für mehr soziale Gerechtigkeit vor. Parallel zur 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation sind Workshops, ein Gegengipfel, Straßenaktionen und mehrere Demonstrationen geplant. Alle Themen, die unter dem Motto „Raus mit der WTO“ diskutiert werden, haben einen engen Bezug zur aktuellen Lage im Land: Es geht um Arbeitsrechte, um die Rechte von Migranten, um die Rolle des Staates beispielsweise bei der öffentlichen Bildung oder um Souveränität bei Ernährung aber auch im Finanzsystem. Über 200 Organisationen haben bereits einen Aufruf unterzeichnet, der zum Protest gegen die Mammutveranstaltung Mitte Dezember mobilisiert.
Die umstrittene neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung von Mauricio Macri und die ökonomischen Leitlinien der WTO sind nach Meinung von Mitorganisator Leandro Morgenfeld eng miteinander verknüpft. „Die WTO verteidigt in erster Linie die Interessen von großen transnationalen Konzernen. Ihre Richtlinien gehen dabei weit über Fragen des Freihandels hinaus: Die Staaten sollen daran gehindert werden, Umweltschutzregeln aufzustellen und die Rechte von Arbeitnehmern zu sichern“, kritisiert der Sozialwissenschaftler, der an der Universität von Buenos Aires (UBA) lehrt. Ein Beispiel sei das Patentrecht, in dem Gewinninteressen der Pharmaindustrie über die Bedürfnisse des öffentlichen Gesundheitssystems gestellt würden. „Oberstes Ziel der WTO-Regeln in einem Land wie Argentinien ist, ausländischen Investoren optimale Bedingungen anzubieten.“ Dies sei genau die Politik, mit der Macri ohne Rücksicht auf soziale Probleme das Wirtschaftswachstum ankurbeln wolle, kritisiert Morgenfeld.
Lokale Protestbewegung in den Startlöchern
Schon bald nach Macris Amtsantritt vor knapp zwei Jahres begannen die Proteste. Die Argentinier wehrten sich gegen Massenentlassungen, immense Preissteigerungen, Austeritätspolitik und Reformen im Arbeitsrecht. Gewerkschaften legten das Land mit Streiks lahm. Es ist eine Protestwelle, die sich oft an lokalen Konflikten entzündet und bisher auf den nationalen Kontext beschränkt ist. Doch auch wenn sich viele in Argentinien noch nicht mit der Welthandelsorganisation beschäftigt haben, sei davon auszugehen, dass sich dieser Unmut auch bei der geplanten internationalen Aktionswoche zeigen werde, sagt Morgenfeld voraus: „Die Kritiker der WTO sind die Gleichen, die schon jetzt gegen Macris Wirtschaftspolitik auf die Straße gehen.“ Dabei ist die WTO-Konferenz nur die erste Etappe – im kommenden Jahr wird Argentinien Gastgeber des G20-Gipfels sein, der bestimmt Anlass für weitere Mobilisierungen sein wird.
Doch nicht nur Gewerkschaften und soziale Bewegungen stehen in den Startlöchern. Ein Wahlerfolg gibt Macri Rückenwind, mit seiner Sparpolitik fortzusetzen. Bei Nachwahlen zu Teilen des Kongresses am 22. Oktober ging seine Regierung als deutlicher Sieger hervor, was der Präsident guten Gewissens als Bestätigung seines bisherigen Kurses werten kann. „Das Wahlergebnis bedeutet für Macri grünes Licht, die Reformen des Sozialsystems fortzusetzen und weiter eine unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik zu betreiben“, sagt Morgenfeld. Es sei davon auszugehen, dass sich die sozialen Konflikte in Argentinien weiter zuspitzen.
Wahlerfolg stärkt die konservative Regierung
Für seine Gastgeberrolle bei der Ministerkonferenz kommt der Wahlerfolg Macri sehr gelegen. Er untermauert auch sein Versprechen an internationale Kapitalgeber, dass Argentinien ein sicherer Hafen für Investitionen in Unternehmen und in den Bau von Infrastruktur sei. Auf Seiten der Protestbewegung hingegen wird befürchtet, dass die Stärkung seiner Regierung sich auch in ein kompromissloses Vorgehen gegen Demonstranten übersetzen werde. Die Sicherheitskräfte haben ohnehin den Ruf, wenig zimperlich mit Protestierenden umzugehen.
Zugleich gelang es aber auch Macris wichtigster Gegenspielerin, Ex-Präsidentin Cristina Kirchner, bei den Wahlen in den Senat aufzurücken. Kirchner und Teile ihrer peronistischen Bewegung stehen für mehr Sozialpolitik und eine stärkere Rolle des Staates in der Wirtschaft, gelten vielen Argentiniern aber als korrupte Clique. Durchaus möglich, dass diese politische Strömung samt ihr nahestehender Gewerkschaften in die Mobilisierung gegen die WTO einsteigen wird.
Leandro Morgenfeld, Spezialist für internationale Wirtschaftsbeziehungen, ist optimistisch. Seiner Meinung nach wächst im Vorfeld von WTO-Tagung und G20-Gipfel eine Allianz verschiedener politischer Kräfte zusammen, die eine Art Bollwerk gegen einen beschleunigten Rechtsruck in der Region bilden werde. „Wichtig ist, dass diese Allianz nicht nur in Argentinien entsteht, sondern in der gesamten lateinamerikanischen Region, die von dem konservativen Rollback und dem Zurückdrängen einer regulierenden Rolle des Staates betroffen ist“, erklärt Morgenfeld. „Unser Ziel ist, wie einst bei der erfolgreichen Kampagne gegen die Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA, eine länderübergreifende Zusammenarbeit von fortschrittlichen Kräfte voranzubringen, um die Deregulierung der Wirtschaft zu stoppen und soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen.“