Rund zwei Millionen Palästinenser leben seit Jahren im völlig überbevölkerten Gaza-Streifen auf engstem Raum unter extrem schwierigen Bedingungen. Durch Sanktionen und Kriegsfolgen sind Infrastruktur seit 2014 zerstört, die Wirtschaft am Boden. Armut und Arbeitslosigkeit grassieren.
Ein Großteil der Bevölkerung lebt auch zwei Jahre danach immer noch bei Verwandten und Freunden sowie in Zelten und Wohnwagen als Vertriebene, wie das Komitee für Flüchtlingsarbeit des nahöstlichen Kirchenrats (NECC) berichtet. Etwa 75.000 intern Vertriebene zählte der Partner von Brot für die Welt im Jahr 2016 als Folge des Konflikts. Ohnehin lebt fast die Hälfte der Bevölkerung des Gaza-Streifens seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern. In diesen prekären Verhältnissen sind nach Einschätzung des NECC besonders Frauen und Kleinkinder gefährdet.
Dazu zählt auch der zwei Jahre alte Watan. Der jüngste Sohn der achtköpfigen Familie Al-Eid litt unter starker Mangelernährung. Die Familie lebt in äußerst beengten und einfachen Verhältnissen im Flüchtlingslager Shabora. Deshalb war Watans Mutter glücklich, als ihr Sohn im Rahmen des Programms für „Unterernährung und Blutarmut“ von NECC mit Erfolg behandelt werden konnte. Dessen Einrichtungen sind oft die einzige Anlaufstation. „Ich kann mir das Leben nicht vorstellen ohne die NECC-Klinik. Ich wüsste nicht, wohin ich mit meinen Babys hingehen könnte“, sagt die Mutter. Dies ist nur eines der Programme des von palästinensischen Christen 1952 gegründeten NECC. Die Organisation hat heute 94 Mitarbeitende, von denen die Hälfte Frauen sind. Ziel der humanitären Hilfe von NECC ist es, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen zu verbessern. Die Hilfsmaßnahmen erstrecken sich auf die Bereiche Gesundheit, berufliche Bildung, Entwicklung des Gemeinwesens und Advocacy.
Mit seiner Sozialarbeit für Flüchtlinge zählt der nahöstliche Christenrat zu den ältesten und erfahrensten Organisationen im Nahen Osten. Die Unterstützung zielt vor allem auf Frauen und Kinder, die der Situation weitgehend schutzlos ausgeliefert sind. Najah Mahani zum Beispiel benötigte psychologische Behandlung. Die 43-Jährige litt an einer Depression. Ihr Mann musste seit Jahren wegen einer Arteriosklerose behandelt werden. Ebenso wie ihr schwer kranker Vater benötigt er teure Medikamente. Dafür hatte sie schon all ihr Gold verkauft. „Ich konnte es mir nicht mehr leisten, neue Kleider für die Kinder zu kaufen“, klagte die Mutter. Ihre psychische Situation hat sich verbessert, seitdem die Familie im Rahmen des Gesundheitsprogramms von NECC unterstützt wird. Najah Mahani hat wieder Hoffnung geschöpft. Einen Schwerpunkt bei der Gesundheitsversorgung bildet die Geburtsvorbereitung sowie die Aufklärung der Frauen über Gesundheitsrisiken und über Familienplanung. Dazu kommen die Behandlung der Mangelernährung von Kleinkindern sowie die psychische Behandlung von Frauen und Kindern, die durch die Erlebnisse von Krieg, Gewalt und Armut traumatisiert sind. Nach NECC-Angaben benötigen im Gazastreifen rund 225.000 Kinder psychologische Hilfe.
Die Zahlen der Menschen, die NECC durch seine soziale Arbeit erreicht, sind beeindruckend. Allein 2016 wurden in den Gesundheitszentren von NECC mehr als 35.000 Familien registriert. Knapp 2.500 schwangere Frauen wurden begleitet. Fast 1.300 Geburten gab es. Und etwa 1.200 Frauen wurden bei der Familienplanung beraten. Angestiegen ist die Zahl kranker und mangelernährter Kinder. Rund 3.300 Kinder wurden neu registriert. Insgesamt behandelten die Ärzte von NECC 2016 rund 15.000 Kinder.
Eine Perspektive eröffnet der NECC Jugendlichen, wie Iyad Salah Al-Basoos, durch seine Ausbildungsprogramme. Der 20-Jährige hat die Schule abgebrochen. Im Ausbildungszentrum des NECC in Gaza City konnte er eine Lehre in Metallbearbeitung machen. Nach Beendigung seiner Lehre konnte er eine Anstellung finden bei einem Zimmermann. „Für die Zukunft hoffe ich, dass ich ein eigenes Geschäft gründen kann, um ein selbstständiges Leben führen zu können“, sagt Iyad. Er ist ein Beispiel dafür, wie in den NECC-Kursen die wirtschaftlichen Bedingungen von an den Rand gedrängten Jugendlichen verbessert werden. NECC bietet für Mädchen zum Beispiel eine Ausbildung im Nähen oder im Umgang mit Computerprogrammen an. Die Möglichkeit, selbst etwas zu verdienen, zum Beispiel als Schneiderin oder Sekretärin, ermöglicht unverheirateten Frauen eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit. Jungs können begeistert werden für eine Lehre als Schreiner oder Automechaniker.
Nach der Ausbildung werden sie unterstützt, wenn sie sich selbstständig machen wollen. Fast 400 junge Menschen waren 2016 in den NECC-Ausbildungszentren. Advocacy ist eine weitere Säule des Programms von NECC, wodurch die Betroffenen dabei unterstützt werden, für ihre Rechte einzutreten. Konkret werden Palästinenser mit diesen Programm befähigt, sich für gerechte soziale und wirtschaftliche Verhältnisse einzusetzen. Unter der radikal-islamistischen Partei Hamas, die seit 2007 den palästinensischen Gaza-Streifen beherrscht, erfordert dies Mut. „Wir arbeiten hier auf zwei Seiten: Einerseits versuchen wir die Menschen zu befähigen, ihre Rechte einzufordern, andererseits sehen wir uns als Anwalt für die Rechte der Palästinenser auf nationaler Ebene“, heißt es beim NECC.
Ein weiterer Aspekt ist die Beteiligung der Bevölkerung an den Programmen im Rahmen der Entwicklung des Gemeinwesens. Dabei werden die Betroffenen bei der Planung, Durchführung und Auswertung der Projekte mit einbezogen. Sozial engagierte Bürger können mithelfen. Auch Vorschläge aus Gemeinden fließen als Impulse in die Arbeit ein. Gemeinden werden auch bei Infrastrukturmaßnahmen, Trainingsprogrammen, sportlichen Aktivitäten und kulturellen Einrichtungen unterstützt durch Koordination und Beratung.
Ansprechpartner: Jens Halve
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