Sieben Jahre schon tobt Krieg in Syrien. Was bedeutet das für die Menschen, die immer noch in diesem Land leben? Lassen sich die allgegenwärtige Angst, der Tod und Terror beherrschen? Kann es einen Alltag geben? Wie sieht er aus? Ein eindringlicher Spielfilm führt uns ganz nah heran an das Leid und die Hoffnung, derjenigen, die zwischen die Fronten geraten sind, und lässt uns betroffen zurück.
Die französisch-belgisch-libanesische Filmproduktion „Innen Leben“ (im Original unter dem Titel „Insyriated“ veröffentlicht), die ab dem kommenden Donnerstag in deutschen Kinos gezeigt wird, führt die Zuschauer unmittelbar hinein, in dieses Leben im Krieg. Die Handlung beschränkt sich auf nur einen Tag im Leben der noch verbliebenen Bewohner eines Stadthauses, das im Visier von Scharfschützen liegt. Vom Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit, immer begleitet vom nah und fern klingenden Kugelhagel und Explosionen, die keinen Zweifel an der unmittelbaren Bedrohung lassen, erleben wir wie sich zwei starke Frauen und ihre Familien im Krieg behaupten müssen.
Angstvoll aber zuversichtlich plant das junge Paar, Halima und Samir, mit dem gemeinsamen Baby die Flucht, die am Abend endlich in ein Leben in Sicherheit führen soll. Die junge Familie hat Obdach bei ihrer Nachbarin Oum gefunden, nachdem die eigene Wohnung bei Kamphandlungen zerstört wurde. Oum bemüht sich für den alten Vater und ihre Kinder den Anschein eines normalen Alltagslebens zu wahren. Ohnehin eine extreme Herausforderung in einem Haushalt, in dem es kein fließendes Wasser mehr gibt und auch der Strom abgeschaltet ist, die Kinder längst nicht mehr in die Schule gehen können und Zerstörung und Unsicherheit allgegenwärtig sind. Doch Samir wird beim Verlassen des Hauses von Schüssen niedergestreckt. Oum und das Hausmädchen wissen, dass es unmöglich ist, den Körper zu bergen ohne sich selbst in Lebensgefahr zu begeben. Sie verbergen das tragische Ereignis deshalb zunächst vor Halima. Die Spannung, die sich im Film von Beginn an aufbaut ist bereits zum Zerreißen gespannt als fremde Männer in die Wohnung eindringen und Oum dazu zwingen, eine Entscheidung zu treffen, mit der sie Schuld auf sich lädt.
Die beeindruckende Schauspielkunst von Hiam Abbas und Julietta Navis, die die beiden Frauen in ihrem Schmerz und mit unvermittelter Stärke so glaubhaft verkörpern, machen den Film auch künstlerisch zu einem sehenswerten Meisterwerk. Mit der dichten Handlung ist es dem Filmemacher Philippe Van Leewou gelungen, den Zuschauern im fernen Europa das Leben in Extremen nahe zu bringen. Während wir uns in den Medien schon fast an die schlechten Nachrichten aus den Krisenregionen gewöhnt haben, schafft es der Film zu berühren. Er hat den Publikumspreis der diesjährigen Berlinale auch deshalb zu Recht gewonnen.
Auch wenn der Film keine unmittelbaren Bezüge zur Flüchtlings- und Migrationspolitik Europas zieht, so wächst doch die Empörung angesichts der unerträglichen Situation, in der sich die Familienmitglieder wiederfinden. Flucht ist keine selbstverständliche Option, Flucht bedeutet Lebensgefahr, das Aufgeben von Heimat und Aufbruch ins Ungewisse.
„Innen Leben“ lässt keinen anderen Schluss zu, als dass viel deutlichere Anstrengungen geleistet werden müssen, die Gewalt zu beenden. Die Menschen in Syrien – und an allen anderen Orten, wo sie unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind – brauchen sichere Fluchtmöglichkeiten, Schutz und Sicherheit gemäß dem internationalen Völkerrecht.
Statt sich darum zu Sorgen, wie die Fluchtbewegungen Richtung Europa unterbunden werden können, muss die Europäische Union dem politischen Gebot folgen, Gewalt und Krieg zu beenden und Schutzsuchenden zur Seite stehen.