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„Weltrecht in Deutschland? Der Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Erstes Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch“

Von Gastautoren am

13 Jahre Freiheitsstrafe für Ignace Murwanashyaka und acht Jahre für Straton Musoni: Damit endete im September 2015 der Prozess gegen die zwei ruandischen Anführer der Hutu-Miliz Forces démocratiques de libération du Rwanda (FDLR) am Oberlandesgericht in Stuttgart. Sie waren wegen Massaker an der Zivilbevölkerung im Osten der Demokratischen Republik Kongo angeklagt. Es war das erste Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch, das 2002 eingeführt wurde und das deutschen Gerichten ermöglicht, Völkerrechtsverbrechen zu untersuchen. Zu diesem Anlass haben das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Brot für die Welt am 8. Juni 2016 zu einer Veranstaltung eingeladen, die Fragen nachgehen sollte: Taugt der Prozess als Modell für weitere Verfahren in Deutschland? Wie kann die Justiz die Defizite in der Aufarbeitung von Völkerstraftaten, vor allem bei Vorwürfen sexualisierter Gewalt, beheben? Welche Bedeutung hat das Völkerstrafrecht im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit?

Der Prozess

Das ECCHR hat den FDRL-Prozess seit seinem Beginn im Mai 2011 beobachtet. Der ECCHR-Mitarbeiter Dr. Patrick Kroker stellte den Abschlussbericht „Weltrecht in Deutschland? Der Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Erstes Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch“ zu Beginn der Veranstaltung vor. Die Schwierigkeiten lagen seines Erachtens von Anfang an auf der Hand: Die strafrechtliche Aufarbeitung massiver Menschenrechtsverletzungen und Gewalt in einer Bürgerkriegssituation auf einem anderen Kontinent, ca. 5000 km entfernt, war eine riesige Herausforderung für das Oberlandesgericht in Stuttgart. Die Hauptverhandlung umfassten zwischen Mai 2011 und September 2015 320 Verhandlungstage.

Die Anklageschrift gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, ruandische Staatsbürger, die sich schon seit den 80ziger Jahren in Deutschland aufhielten (Murwanashyake genoss von 2000 bis 2006 sogar Asylrecht) enthielt 26 Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Kriegsverbrechen und Vergewaltigung, begangen im Osten der DR Kongo in einem Zeitraum zwischen 2008 und 2009. Nur fünf Punkte führten dann allerdings zu einer Verurteilung. Der wohl schwerste Fall für den Murwanashayaka und Musoni als Mitglieder der Führungsspitze verantwortlich gemacht wurden, war der von Human Rights Watch dokumentierte Angriff auf das Dorf Busurungi am 10. Mai 2009, der als Vergeltungsschlag gegen die kongolesische Armee gewertet wird. In der Nacht überfielen FDLR -Milizen das Dorf Busurungi, eröffneten scheinbar wahllos das Feuer, stecken Häuser in Brand, vergewaltigen Frauen und Mädchen. Mindestens 96 Menschen wurden getötet, das Dorf vollständig zerstört. Das Gericht verurteilte Murwanashyaka am 28. September 2015 wegen Beihilfe zu fünf Kriegsverbrechen mit 181 Toten in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, zu 13 Jahren Haft. Musoni wurde wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.

Keine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit

In ihrer Begrüßung machte Dr. Julia Duchrow (Brot für die Welt) deutlich wie wichtig die Rolle der Zivilgesellschaft bei solchen Verfahren sei. Vor der Prozessaufnahme unterstützenden zivilgesellschaftliche Organisationen wie das ÖNZ (Ökumenisches Netz Zentralafrika) die Bundesstaatsanwaltschaft mit Informationen für die Ermittlungsaufnahme. Vor Ort waren Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch bei der Beweisaufnahme aktiv. Dass keine kongolesischen Menschenrechtsorganisationen hinzugezogen wurden, ist dabei sicherlich ein Versäumnis.  

Im Anschluss an die Begrüßung diskutierten Christian Ritscher (Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof), Silke Studzinsky (Rechtsanwältin und Senior Legal Expert, Council of Women's Rights in International Criminal Law), Géraldine Mattioli-Zeltner (Human Rights Watch) und Wolfgang Kaleck (ECCHR) über den FDLR-Bericht und den Stand des Völkerstrafrechts in Deutschland.

Dass es nicht zu einer Verurteilung wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gekommen sei, bedauerte Christian Ritscher. Dafür müssen gezielte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung nachweisbar sein. Obwohl der ermittelnde Richter einen dringenden Tatverdacht als gegeben sah, konnte dies trotz umfangreicher Beweisaufnahmen nicht zweifelsfrei festgestellt werden.  Auch dass Murwanashyaka nicht als Täter, im Sinne einer Vorgesetztenverantwortung, sondern nur der Beihilfe verurteilt wurde, stellte Christian Ritscher nicht zufrieden. Die Frage, ob Murwanashyaka militärischer Befehlshaber und somit Befehlsgewalt und Kontrolle über die Untergebenen, die die Taten begangen haben hatte, war einer der Schwerpunkte des Verfahrens. Auch hier wich die Ansicht der Richter von der Anklage ab. Eine tatsächliche Führungsgewalt Murwanashyakas wurde von ihnen in Zweifel gezogen.

Keine Verurteilung sexueller Gewalt

Dass die Anklagen wegen sexuellen Verbrechen und Vergewaltigung auf Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof zurückgezogen wurden, sahen alle Diskutanten als großes Defizit des Prozesses an. "Wir wollten keinen Freispruch riskieren", erläuterte Christian Ritscher. Die Anhörungen der 10 anonymen OpferzeugInnen stellten sich als sehr problematisch heraus. Die Frauen, die eingewilligt hatten wegen Vergewaltigung auszusagen, wurden unter den Bedingungen der Zeugenschutzmaßnahmen anonym an unbekannten Orten verhört. Nicht nur dass es für die Frauen ohnehin schwierig war sich an die traumatisierenden Geschehnisse zu erinnern, was immer auch die Gefahr der Retraumatisierung in sich birgt, die Aussagen, die sie machten, enthielten aus Sicherheitsgründen keine zu genauen Angaben, was Ort und Zeit des Verbrechens betraf. Dies hatte allerdings zur Folge, dass die Aussagen nicht gehaltvoll genug waren, so konnten keine Namen der Täter und genauer Tathergang geklärt und die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen nicht eindeutig gesichert werden. Dies ist sicherlich auch auf die große kulturelle Distanz zwischen den Ermittlern und den Zeuginnen zurückzuführen. Besonders zu schaffen machte den Zeuginnen aber der Umgang mit der Verteidigung und deren Vernehmungsmethoden. Diese seien für die Opfer entwürdigend und äußerst belastend gewesen, so dass einige der Zeuginnen dann auch die weitere Zusammenarbeit mit dem Gericht verweigerten. Angesichts des Ausmaßes sexueller Gewalt im Bürgerkrieg in der DR Kongo ist das besonders enttäuschend. Silke Studzinski stellte die These auf, dass man ohne eine sorgfältigere Ermittlungsstrategie und Prüfung der Beweislage, habe wissen können, dass die Ermittlungen zu nichts führen und die Zeuginnen umsonst aussagen. Géraldine Mattioli-Zeltner von Human Rights Watch machte deutlich, wie wichtig es sei die Zeuginnen gut vorzubereiten und ihnen psychologische Begleitung zur Seite zu stellen. Aber auch in Verfahren in der DR Kongo werden häufig nur niedrig ranginge Soldaten verurteilt, die zuvor eindeutig von den Opfern wiedererkannt wurden. Auch habe es an einer den Prozess begleitenden Öffentlichkeitsarbeit gemangelt, die die Bevölkerung über das Verfahren habe informieren können.

Welches Fazit kann aus dem Verfahren gezogen werden?

In der anschließende Diskussion, äußerte Dominic Johnson, TAZ-Redakteur und einer der Autoren des gerade erschienen Buchs: „Tatort Kongo – Prozess in Deutschland“ dann auch sein Unverständnis darüber, dass keine Zeugen der von den Gewalttaten betroffenen Zivilbevölkerung der DR Kongo im Laufe des Prozesses angehört wurden. Angehört wurden in erster Linie FDLR Soldaten. Auch habe es an Kenntnissen über die Wirklichkeit vor Ort gefehlt und an den Bedingungen unter der die Zivilbevölkerung lebt, gemangelt. Neben der TAZ, die regelmäßig über das Verfahren berichtete und auch eine Prozessbeobachterin vor Ort hatte, war das Interesse der deutschen Medien an dem Prozess nur zu Prozessbeginn vorhanden. Es wäre gut gewesen, wenn sowohl die medien als auch die Nichtregierungsorganisationen mehr über den Prozess berichtet hätte und so auch das Völkerstrafrechtsverfahren mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestellt hätten. Alle Beteiligten stimmten in ihrem Fazit darin überein, dass Verfahren, wie der FDLR Prozess wichtig sind für die Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen, für die Bekämpfung der Straflosigkeit und somit auch einen Beitrag leisten zur Vermeidung weiterer Gewalttaten. Schwerste Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht länger ungesühnt bleiben, dies ist die Idee hinter dem Universellen Völkerstrafrecht. Um dem gerecht zu werden müssten aber auch in Deutschland die zur Verfügung stehenden personellen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen deutlich verbessert werden. Auch der Zeugenschutz und die Beteiligung der Opfer müsse zukünftig verbessert werden.

Das schriftliche Urteil wird vermutlich erst im Frühjahr 2017 vorliegen. Erst dann können Staatsanwaltschaft und Verteidigung in Berufung gehen. Ob es dann zu einer Aufnahme der verhandlungen kommt bleibt abzuwarten.

 

 

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