Ich gehe in die Knie, hole noch einmal tief Luft und springe. Ich habe den Absprung ins Unbekannte und Neue geschafft und falle nicht, sondern fliege! Ich fühle mich leicht und kann die Dinge von hier aus einer anderen Perspektive betrachten. Und doch weiß ich, dass mein Flug zeitlich begrenzt ist, und hoffe, dass der Aufprall auf den Boden nicht all zu hart wird.
Es ist Ende September. Zwei Monate Kambodscha liegen hinter mir. Vor zwei Monaten bin ich mit meinen vier Mitfreiwilligen ins Flugzeug gestiegen mit dem Ziel: Phnom Penh. Wir wussten zwar, wo wir hin fliegen und wo wir zumindest am Anfang wohnen werden, doch hatten wir keine Ahnung, was uns erwarten wird und was zwölf Monate Kambodscha wirklich bedeuten. Das ist nämlich die Frage: Was bedeutet entwicklungspolitischer Freiwilligendienst wirklich? Es heißt, dass man die Möglichkeit bekommt, in eine fremde Kultur einzutauchen. Wir erleben unheimlich viel hier und lernen fast täglich etwas Neues dazu. Wir kommen in den Genuss von kambodschanischem Essen und probieren das ein oder andere, von dem wir vorher nicht gedacht hätten, dass es schmecken könnte. Es ist gut, manchmal Dinge zu tun, vor denen man vorher Respekt hatte. Man wächst über sich hinaus und lernt sich selber als Person von einer anderen Seite kennen.
Mein Jahr hat gerade erst begonnen; aber es fühlt sich so an, als ob ich das Land schon vorher gekannt habe. Nach einiger Zeit weiß man, wo man am besten Obst und Gemüse kauft, und man hat gelernt, die rufenden Tuk-Tuk-Fahrer einfach auszublenden. Ich kenne Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas, inzwischen etwas besser, nicht zuletzt wegen langen Spaziergängen durch die Stadt, und habe eine Vorstellung davon, wo sich was auffinden lässt. Kurz gesagt, ich bin hier zu Hause. Vielleicht ist das auch die Antwort. Während eines entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes findet man ein neues Zuhause. Man findet einen Ort, an dem man sich wohl fühlt, auch wenn der Weg dorthin an manchen Stellen nicht ganz einfach ist. In dieser neuen Heimat konnte man Fuß fassen und sich in seiner Organisation mit eigenen Projekten beteiligen. Ich hoffe, dass ich am Ende meines Jahres zurückblicken kann und zufrieden mit mir und meinem Jahr bin.
Ich könnte einen ganzen Roman über meine bisherige Zeit hier schreiben und wahrscheinlich eine ganze Buchreihe über mein gesamtes Jahr. Aber ich versuche, mich auf einen kleinen Blogeintrag zu beschränken und werde nun etwas über meine Arbeit berichten. Ich arbeite bei Mlup Baitong, einer Nicht-Regierungsorganisation, die sich um Umweltfragen kümmert. "Wir" Kambodschaner fingen schon in der ersten Woche an, in unsere Organisationen zu gehen, weshalb ich schon einige Zeit dort verbringen durfte. Am Anfang blieb ich vier Wochen in Phnom Penh, nicht zuletzt, weil wir Freiwilligen von Brot für die Welt fünf Tage die Woche Sprachunterricht hatten. Zusammen wohnten wir vier in einer WG und hatten eine eigene Wohnung, die wir über alles lieben. Sie ist gut in einem sicheren Viertel gelegen und in Fußnähe von einem großen Markt. In den ersten vier Wochen wohnten wir also alle zusammen und gewöhnten uns an unsere neue Heimat. Bei Mlup Baitong gab ich ein paar Mitarbeitern Englischunterricht und las dazu die Berichte der vergangenen paar Jahre, um mich über die Organisation zu informieren. Nach einem Monat hieß es dann für mich: ab in die Provinz. Ich schlief im Suboffice in Kampong Speu und habe in der ersten Woche meinen Kollegen bei ihrer Arbeit mit den Communities zum Schutz der Wälder über die Schulter geguckt. Sie brachten mir Motorradfahren bei, da ich in der folgenden Woche jeden Tag in das Dorf Kraing Serey gefahren bin, um dort zu unterrichten. Ich hatte morgens rund 50 Kinder (zwischen sechs und zwölf Jahren), mit denen ich Spiele gespielt und ihnen ein paar englische Sätze beigebracht habe. Das war eine ziemliche Herausforderung für mich, da ich kaum Khmer spreche und sie kein Englisch. Dies führte zu erheblichen Kommunikationsproblemen und Verständnisschwierigkeiten. Jedoch war ich umso glücklicher, wenn sie verstanden, was ich vermitteln wollte oder wir alle Spaß bei den Spielen hatten. Etwas leichter fiel mir das Unterrichten der rund 20 Teenager am Nachmittag in Englisch und Deutsch. Da wir fast dasselbe Alter haben, teilten wir einen ähnlichen Humor und verbrachten die Stunden größtenteils mit Lachen. Am Abend gab ich den Mitarbeitern von Mlup Baitong im Office noch etwas Nachhilfe in Englisch und fiel anschließend erschöpft aber froh ins Bett.
Mir sind alle in den knapp drei Wochen ans Herz gewachsen und ich durfte das Leben auf dem Land näher kennen lernen. Dies unterscheidet sich übrigens komplett von dem städtischen Leben. An die Sanitäreneinrichtungen habe ich mich schnell gewöhnt und konnte fließend (warmes) Wasser, eine Dusche, eine Spülung sowie einen Kühlschrank und WLAN an den Wochenenden in Phnom Penh zu schätzen wissen. Nun bin ich ein paar Tage in Phnom Penh, bevor es für mich weiter nach Chambok geht. Meine Zeit in Kraing Serey ist vorerst beendet und ich freue mich auf einen neuen Abschnitt in einem großen Ökotouismusprojekt. Dort werde ich mich nämlich mit Themen des Müllmanagements, dem Naturschutz und dem Ausbau des Ökotourismus beschäftigen. Ich denke, Kraing Serey war ein guter Einstieg, um mich an die doch so unterschiedliche „Srok Sray“ (das Land) zu gewöhnen und mich auf folgende Projekte vorzubereiten.
Dies ist erst der Anfang meines Fluges, aber es gibt schon viel, was ich schon erlebt habe und noch viel mehr, was noch erlebt werden will. Also los, auf in die nächsten zehn Monate! Ich bin gespannt auf das, was noch kommt, und kann es kaum erwarten, neue Herausforderungen anzupacken, Glücksmomente zu haben und mich in verschiedenen Projekten zu beteiligen!