Neben Griechenland und Spanien ist Italien das südeuropäische Land, das die meisten Schutzsuchenden aus dem Nahen Osten und afrikanischen Staaten erreichen, wenn sie in die Europäische Union gelangen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren das nach Angaben der International Organisation for Miration über 62.000 Menschen. Im gleichen Zeitraum sind vor der Küste Italiens mindestens 2467 Menschen gestorben. Viele von ihnen sind ertrunken, als die Boote, auf denen sie die Flucht antreten mussten, in Seenot gerieten und nicht rechtzeitig gerettet wurden. Andere sind verdurstet oder sie sind auf engstem Raum im Bootsinneren erstickt.
Ab dem 28. Juli wird ein Film in den deutschen Kinos gezeigt, dem es gelingt diese Realität und die Berührungspunkte mit Flucht und Flüchtenden zu zeigen, ohne Bewertungen vorzunehmen. In „Seefeuer“ nähert sich Regisseur Gianfranco Rosi Themen, die es oft nur kurzzeitig als Schlagzeile in das Bewusstsein Europas schaffen. Er nähert sich über die raue Landschaft der Insel und die Lebenswelten der Menschen, die auf Lampedusa leben. Er portraitiert Menschen in ihrem Alltag. Darunter ein Radiomoderator, ein engagierter Arzt, ein abenteuerlustiger Junge und eine gewissenhafte Hausfrau.
Die Gegensätze der Szenen des Films sind hart. Auf der kleinen Insel, der Junge, der frei in einer Welt aufwächst, die friedlich ist und ihn behütet hat, und auf dem weiten Meer, Menschen, denen die Not, die Verzweiflung und die Erschöpfung in die ausgezehrten Gesichter geschrieben steht. Beides besteht nebeneinander. Die italienische Küstenwache greift die Boote mit den Ankommenden im Meer auf. Ein gewaltiges Aufgebot an Nachtsichtgeräten, Helikoptern und technischem Gerät. Auf riesigen Schiffen werden Frauen, Männer und Kinder mit dem Nötigsten versorgt, Wärmedecken und Wasser ausgegeben. Auch Registrierungen werden vorgenommen. Busse bringen sie vom Hafen in Erstaufnahmeeinrichtungen – wo sie abgeschieden sind vom anderen Lampedusa.
Die Kamera nimmt sich vor allem Zeit für den Alltag und das Lebensgefühl der Einwohnenden. Sie begleitet den zwölfjährigen Samuele und die Menschen, die mit ihm in Beziehung stehen, ein ganzes Jahr lang durch ihr Leben.
Für das filmische Meisterstück, das allein durch Bilder und ohne Erzähler aus dem off zeigt, wie Flucht und Europa hier zusammentreffen, hat „Seefeuer“ im Wettbewerb der internationalen Filmfestspiele Berlin 2016 den goldenen Bären als bester Film erhalten. Er ist hochverdient.