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Junge Menschen sehen in Kongo neu auf ihre Identität

Anja Vollendorf ist Friedensfachkraft bei unserer Partnerorganisation Eglise du Christ au Congo in Bukavu in der Demokratischen Republik Kongo. Sie berichtet über ihren Workshop mit dem Thema „Stereotypen und Manipulationen der Identität in der Region der Großen Seen“.

 

Von Online-Redaktion am

Anja Vollendorf ist Friedensfachkraft bei unserer Partnerorganisation Eglise du Christ au Congo in Bukavu in der Demokratischen Republik Kongo. Sie berichtet über ihren Workshop mit dem Thema „Stereotypen und Manipulationen der Identität in der Region der Großen Seen“.

“Ich akzeptiere die Debatte für Frieden und Veränderung, und du?“ Ein Teilnehmer des Jugendleiter – Workshops zu „Stereotypen und Manipulationen der Identität in der Region der Großen Seen“ trägt ein T-Shirt mit dieser Aufschrift auf dem Rücken. Ich sitze hinter ihm, lese diese Frage und verfolge die Debatte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Hier sind all die versammelt, die diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten. Die Jugendlichen sind bereits dabei, diese Debatte zu führen. Schon die Erwartungen an diesen Workshop sind darauf ausgerichtet, dass es einen freien Meinungsaustausch und Respekt untereinander geben soll.

Es sind etwa 30 Jugendliche und junge Erwachsene zusammengekommen, aus drei Ländern der Großen Seen, aus Burundi, Ruanda und aus der DR Kongo (Nord- und Süd-Kivu). Sie engagieren sich in diversen Jugendorganisationen und haben dort leitende Positionen inne. Sie sind aufgeschlossen und diskussionsfreudig. Sie scheinen keinerlei Berührungsängste zu haben. Sehr schnell wird die These aufgestellt, dass die Jugend im Gegensatz zu den korrupten und an ethnischen Zugehörigkeiten orientierten Eliten und Politikern eine gemeinsame Vision vom friedlichen Zusammenleben hat. Doch sehr schnell wird diese These mit der Frage ausgehebelt, woher denn die Jugendlichen kommen, die die Dörfer im Ostkongo anzünden.

Leicht entstehen neue Stereotypen, wenn die alten entlarvt sind. Eine Referentin, Stella Yanda, fragt die Jugendlichen, welcher Ethnie sie angehören. Es kommen einige Antworten: Mushi, Mubembe, Murega und so weiter. Nur die Jugendlichen aus Ruanda schweigen. Dann sagen sie, dass man bei ihnen nicht von Ethnien, sondern sozialen Klassen spricht. Doch Stella Yanda bleibt dran. Sie weiß um die Realität der Ethnien. „Ihr kennt doch eure Ethnie. Woher? Seit wann? Was ist das, eurer Ansicht nach?“ Und sie bittet Aristide, einen Teilnehmer, einmal zehn Elemente seiner Identität zu nennen. Statt einer Ethnie taucht jetzt nach dem Namen an zweiter Stelle die „kongolesische Nationalität“ auf. Als sie ihn bittet die zehn Elemente auf drei zu reduzieren, ist die kongolesische Nationalität auch wieder dabei. Andere wiederum legen Wert auf ihren Namen, ihren Beruf und darauf, dass sie Aktivist der Zivilgesellschaft sind. Sie fragt die Jugendlichen, was sie von „ihren“ drei Elementen am meisten berührt und sagt, dass genau an diesem Punkt Konflikte entstehen. Es sei entscheidend, ob sie da einander mit Achtung oder Verachtung begegnen.

Ein Beispiel: Zwei Nachbarn wollen das gleiche Feld bestellen. Einer schlägt den anderen und statt die (korrupte) Polizei einzuschalten, mobilisieren sie einfach ihre Leute. Sie sollen sich sofort solidarisieren, tun es auch, und damit ist man sofort auf einer sehr hohen Stufe der Eskalation. Die Nachbarsfrauen sprechen nicht mehr miteinander, die Kinder spielen nicht mehr miteinander, die Waffen werden gewählt. Am Ende können nur noch die Toten auf dem Feld, um das es geht, gezählt werden. Stella Yanda zeigt ein Bild mit lauter Totenköpfen und bemerkt lapidar, dass man nun auch an gar nichts mehr die Ethnie erkennen könnte, die zuvor am Aussehen, an der Herkunft, der Sprache, an dem Territorium, der Religion oder Kultur festgemacht wurde.

Amin Maalouf schrieb: „Es ist unser Blickwinkel, der den anderen auf seine nächsten Zugehörigkeiten festlegt, es ist unser Blickwinkel, der ihn davon befreien kann.“ Und es ist leicht, die Menschen bei dem zu packen, was ihnen nahe geht. Da wird an alten Ärger erinnert, daran, dass Menschen abgelehnt wurden. Es werden Gerüchte ausgestreut. Das Privatleben der Leute wird dämonisiert. Manche Politikerinnenkandidaturen sind so über Lügen und handfeste Drohungen gezielt verhindert worden. Am Ende sind alle Mittel möglich.

Einige Opfer gehen ins Ausland, kommen später aus dem Exil zurück und wollen dann ein Amt in der alten Heimat bekleiden. Sie wollen es den ehemaligen Tätern einmal richtig zeigen. So werden aus ehemaligen Opfern wieder Täter und die Spirale der Gewalt beginnt von vorn. Von solchen Menschen werden viele Jugendliche gezielt mit unrealistischen Versprechen angelockt. Sie werden als Instrumente benutzt, um andere zu verteufeln. Sie sind Mittel der Destabilisierung. Nach einer Wahl bestreitet man mit ihnen die Ergebnisse, feiert den Sieg und lässt sie am Ende noch die Beute verteilen.

Es fällt den Jugendlichen des Workshops zunächst nicht leicht dagegen Strategien zu entwickeln, die über das allgemeine Sensibilisieren und einen besseren Geschichtsunterricht hinausgehen. Und dann geht es doch. Am Ende ist ein ganzer Katalog von Maßnahmen entstanden. Da steht die Selbstverpflichtung persönlich ein besseres Beispiel abzugeben neben der Forderung, mehr Geld für bessere Ausbildungssysteme zur Verfügung zu stellen. Die Jugendlichen finden, das Warn- und Informationssysteme entwickelt werden müssten, um Übeltäter anzuzeigen. Der Jugendaustausch müsse verstetigt werden und ein grenzüberschreitender Jugenddialog eingerichtet werden. Die Empfehlung zur Völkerverständigung Mischehen zu schließen, sei es zwischen Ethnien oder Nationen, ist im Workshop allerdings so oft geäußert worden, dass die Leitung dann doch darauf hinwies, dass es sicherlich wichtig sei, aus Zuneigung zu heiraten.

Die Debatte für Frieden und Veränderung muss weitergehen, denn diese Jugendlichen sind weiter im Kopf und im Herzen als die vielen alten Herren, die sie für ihre eigenen Interessen missbrauchen. Mögen Sie den Teufelskreislauf durchbrechen und später nie selbst zu solch alten Herren und Damen werden, die die Macht nicht loslassen können; auf dass nicht wiederum stereotyp die nächste Generation Jugendlicher dazu gebracht wird Dörfer anzuzünden und in Straßenschlachten Blut zu vergießen. Es ist höchste Zeit, dass die alten Machthaber merken, dass sie die Verantwortung nicht nur für den Frieden, sondern auch für Veränderung tragen. Und es ist nicht nur die Debatte darüber zu akzeptieren, sondern auch zu einem entsprechenden gewaltfreien Handeln zu ermutigen.

Anja Vollendorf

 

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