Es ist 10 Monate her, dass ich dieses Land das erste Mal betreten habe und ich habe viel gesehen seit diesem Tag. Die erste Khmer die ich kennengelernt habe war Pou. Sie fragte mich, ob man in Deutschland Frauen lieben dürfe. Ich war irritiert von dieser Frage, aber heute scheint sie mir typisch für die Jugend aus Phnom Penh. Die neue Generation strebt nach Freiheit, nach Neuem, nach dem Westen. Phnom Penh ist das eine Gesicht des Landes, doch es gibt auch das ländliche Kambodscha. Dort, wo der Reis noch den Rhythmus vorgibt.
Die Provinz Ratanakiri ist ein solcher Teil, sie ist die Heimat für die Khmer Leu, die Hochland Khmer - Ureinwohner, die für Jahrhunderte im Rhythmus der Natur gelebt haben. Choeun, mein Deutschschüler, ist einer von ihnen. Er gehört der Gruppe der Kreung an. Mit seinen Geschwis-tern ist er auf der elterlichen Farm aufgewachsen. Heute ist er 18 Jahre alt, jeden Sonntag treffen wir uns zum Tandemunterricht, er lernt Deutsch und ich etwas Khmer. Er ist gerade erst für 3 Wochen in die USA gefahren, mit einem Stipendium. Er hat es geschafft, doch dafür musste er schon mit 10 sein Elternhaus verlassen und arbeiten gehen um seine Highschool zu finanzieren. Vor zwei Jahren dann, durch ein Stipendium der US Botschaft, konnte er Englisch an einer Privatschule lernen. Freiwillig mehr Unterricht jeden Abend, für deutsche Kinder in seinem Alter unvorstellbar, doch Bildung ist der Weg raus aus den Dörfern, in die Städte und ins Ausland. Viele Eltern arbeiten hart,damit sie ihren Kindern einmal ein Studium ermöglichen können.
Andere sehen die einzige Möglichkeit Reis und Bildung zu bekommen im Tragen des Mönchsgewandes. Loy ist ein Beispiel dafür: mit 11 kam er als Mönch in die Pagode seines Onkels, seine Mutter ist früh gestorben. Viele Verhaltensregeln müssen Mönche beachten, ein hartes Los für einen 11 jährigen. Doch er wollt nicht nur Buddhas Geschichten lesen, sondern auch Englisch lernen. Er hat es geschafft, obwohl er kein Geld hatte. Durch etwas Glück, Wille und Ehrlichkeit durfte er die Schule umsonst besuchen.
Heute ist er 27 und selbst Englischlehrer, das Mönchsgewand hat er aufgegeben. Er will das richtige Leben kennenlernen und vor allem die Liebe. Srolan (khm. Liebe) darum dreht sich vieles, etwa, dass sich seit der letzten Generation nicht geändert hat. Auch wenn sich viele junge Khmer ihren Partner selbst aussuchen, haben die Eltern trotzdem das letzte Wort vor der Hochzeit. Heiraten ist Pflicht, denn die Familie ist das höchste Gut der Gesellschaft.
Pou, Choeun und Loy sind die neue Genration die nach 20 Jahren Krieg, vietnamesischer Besatzung und Völkermord endlich in Frieden aufwächst. Viele setzen große Hoffnungen auf die Jugendlichen von heute, sie sollen das Land in eine neue Richtung lenken, den Aufschwung vorantreiben. Aber diese Generation wächst auch mit dem Erbe ihrer Vorfahren auf. Die Jahre des Krieges sind noch überall zu spüren, die Armut unübersehbar.
Es ist eine Generation voller Zuversicht und trotzdem trägt sie eine schwere Last auf den Schultern. Man spürt in den Straßen der Städte den Willen nach Veränderung, nach Moderne. Doch die Städte allein können nichts bewirken, die Jugend von heute muss den Balanceakt zwischen Tradition und Moderne zwischen Land und Stadt und zwischen Vergangenheit und Zukunft meistern. Sie müssen früh auf eigenen Beinen stehen, Verantwortung übernehmen, ihr eigenes Geld verdienen und gleichzeitig die Familie unterstützen. Ob diese Generation etwas ändert, ist schwer zu sagen, denn die Narben, die die alten Strukturen hinterlassen, sind tief.
Zum Abschied sagt man hier som-nang-laaw, viel Glück! Für viele ist die Zukunft unsicher, man weiß nicht was der nächste Tag, die nächste Reisernte oder die neuen Wahlen bringen. Und trotzdem haben auch diese jungen Leute Träume, von einer besseren Welt von Gerechtichkeit und von Wohlstand - vielleicht mit etwas Glück wird ein Teil wahr. Som-nang-laaw!