Die europäischen Antworten auf die Herausforderungen internationaler Migration und Flucht sind unzureichend gewesen. In einer ausführlichen Mitteilung der Europäischen Kommission gesteht sie sich dieses bisherige Scheitern schwarz auf weiß ein.
Europa soll endlich ein sicherer Hafen für Menschen sein, die vor Verfolgung fliehen, und es soll für diejenigen, ein attraktives Ziel sein, die dort als talentierte Studierende, Researcher und gut Ausgebildete den Arbeitsmarkt bereichern können. Die Mitteilung verspricht eine klare, konsistente Migrationsagenda. Ziel ist es, das Vertrauen in die EU wieder herzustellen und zu beweisen, dass internationale und ethische Verpflichtungen gewahrt werden können. Solidarität und geteilte Verantwortung unter den Mitgliedstaaten soll möglich sein und zwar gemeinsam mit europäischen Institutionen, internationalen Organisationen, der Zivilgesellschaft und den sogenannten Drittstaaten – also jenen Staaten, die an den Außengrenzen der EU liegen oder aus denen die Migranten stammen.
Prioritäten der Agenda: Menschen retten, Boote zerstören ...
Doch was ist tatsächlich vom neuen Bekenntnis zu erwarten? Tatsächlich wird in der Mitteilung als erste unmittelbare Priorität das „Leben retten auf hoher See“ benannt. Bis Ende des Monats soll ein neuer Einsatzplan für Triton aufgesetzt werden. Doch abgesehen von der drastischen Erhöhung der finanziellen Mittel bleibt abzuwarten, ob es auch die dringend nötige Ausweitung des Einsatzgebietes bis vor die Küsten Nordafrikas geben wird oder ob dort lediglich das an zweiter Stelle der Mitteilung angeführte Anliegen verfolgt werden soll, die Schlepperboote zu zerstören und den Menschenschleusern das Handwerk zu legen. Im Kampf gegen die Kriminellen soll Frontex gestärkt werden und intensiver mit Europol zusammenarbeiten. Zahlreiche Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen haben angesichts der zusätzlichen Militarisierung ihre Besorgnis um die Flüchtlinge und ihre Rechte in den vergangenen Wochen bereits zum Ausdruck gebracht.
... Umverteilung ...
Drittens führt die EU-Kommission die Umsiedlung beziehungsweise Umverteilung von Geflüchteten auf, womit vor allem diejenigen Staaten entlastet werden sollen, in denen zahlreiche Menschen auf ihrer Flucht erstmals europäischen Boden betreten, sprich die südlichen Außengrenzstaaten Griechenland, Italien und Malta. Diese Umverteilung von Flüchtlingen soll nach Kriterien der Wirtschaftskraft, der Bevölkerung und in Abwägung der Zahl bereits im Land befindlicher Aslysuchender umgesetzt werden. Weil einige Staaten bereits ihren Unwillen signalisiert haben, den Vorschlag zu akzeptieren, wird in einer Fußnote darauf hingewiesen, dass Großbritannien ebenso wie Dänemark und Irland von ihren „opt-out“-Möglichkeiten Gebrauch machen dürfen und an dieser solidarischen Entlastungsaktion nicht mitwirken müssen. Weil darüber hinaus auch bereits individuell umgesetzte Programme zur Flüchtlingsaufnahme berücksichtigt werden, wird auch Deutschland niemandem zusätzlich in diesem Rahmen Schutz bieten müssen.
... und Resettlement
Viertens wird ein von Nichtregierungsorganisationen und dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR)schon seit längerem gefordertes Resettlementprogramm angekündigt. 20.000 Flüchtlinge, die in dem Land, in das sie zunächst geflohen sind, keine Schutz- und Lebensperspektive haben, sollen bis zum Jahr 2020 in den Ländern der Europäischen Union dauerhaft aufgenommen werden. Vor allem jene Staaten, die bislang keine Flüchtlinge aus Drittstaaten aufgenommen haben, sollen hier in die Pflicht genommen werden. Es bestehen die gleichen Ausnahmen wie bei der angekündigten Umverteilung von Flüchtlingen. Das Geld stellt die Europäische Union zu Verfügung.
Vielversprechende Ansätze – aber die Voraussetzungen fehlen
Resettlement und ein Quotenverteilungssytem von Flüchtlingen sind grundsätzlich keine schlechten Ansätze, aber eine Zahl von 20.000 bis zum Jahr 2020 wirkt angesichts der von UNHCR bezifferten 960.000 Millonen Menschen, die einen Resettlementplatz bräuchten, verschwindend gering. Ein Quotensystem verspricht zunächst die Ablösung des unfairen und menschenrechtlich immer wieder höchst problematischen Dublinsystems, nach dem jeder Asylsuchende dort, wo er zunächst europäischen Boden betritt, das Anerkennungsverfahren durchlaufen muss. Doch Quotensysteme verkennen, dass innerhalb der Europäischen Union höchst unterschiedliche Standards für den Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden herrschen. Die europäischen Vorgaben sind weit entfernt davon gleichmäßig umgesetzt zu werden – Bericht über die Lage von Schutzsuchenden in Bulgarien oder Spanien, die das dokumentieren sind mittlerweile zahlreich. Auch, dass Flüchtende oft dorthin möchten, wo sich bereits Angehörige und Bekannte befinden, dorthin wo sie die besten Möglichkeiten für sich vermuten, wird im Quotensystem nur schwer umzusetzen sein.
Zusammenarbeit mit Drittstaaten fragwürdig
Besonders skeptisch stimmt die Idee der Europapolitiker die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu intensivieren. Sicher, es ist dringend notwendig, diejenigen Staaten, die schon heute die meisten Flüchtlinge beherbergen, also die unmittelbare Umgebung von Konfliktherden, wie zum Beispiel Libanon oder Jordanien, zu unterstützen. Vier von fünf Flüchtlingen weltweit fliehen in die sogenannten Entwicklungsländer. Regionale Schutz- und Entwicklungsprogramme sind wichtig. Aber Kooperationsvorhaben in Staaten, die durch rechtsstaatliche Defizite, die Verletzung von Menschenrechten oder durch Gewalt und Unsicherheit gekennzeichnet sind, wie zum Beispiel Niger, sind nur schwer als Kooperationspartner im Migrationsmanagement und noch weniger für einen ernsthaften Flüchtlingsschutz vorstellbar. Genau das aber ist ein neu bekräftigtes Augenmerk der Migrationsagenda. Für diese Kooperationen soll Geld und Kapazität bereitgestellt werden – übrigens auch für durchgreifende Abschiebungen von Menschen, die sich ohne Genehmigung in Europa aufhalten. Frontex soll in Zukunft besser ausgestattet werden, um die Rückführungen zahlreicher und effektiver umzusetzen, das schrecke, so die Meinung der Politik, diejenigen ab, die eine irreguläre Einreise in Erwägung ziehen.
Chancen durch Migration werden kaum gewürdigt
Zuletzt fällt auf, dass die Migrationsagenda, die ohne diverse Anhänge 17 Seiten umfasst, nur drei Absätze für Migration und mit ihr verbundene Entwicklungspotentiale übrig hat. Immerhin gelingt hier der Verweis auf die Sustainable Development Goals, die bald die neue Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen bestimmten sollen und unter anderem auf faire Arbeit, soziale Sicherheit für alle abzielen. Es bleibt zu hoffen, dass sich in den kommenden Wochen und Monaten auch dieser Teil der Agenda konkretisiert und weiterentwickelt wird.