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Welthandel im Umbruch

Von Sven Hilbig am

Mit dem Beginn der Verhandlungen über die Errichtung einer transatlantischen Freihandelszone, TTIP, ist eine breite gesellschaftliche Debatte über Handels- und Investitionspolitik angestoßen worden, an der sich sowohl Gewerkschafter, Landwirte Verbraucher- und Umweltverbände, aber auch Kulturschaffende und diakonische Einrichtungen beteiligen. Gemeinsam sind sie von der Sorge getragen, TTIP könne weit in ihre Arbeits- und Lebensbereiche eingreifen.

TTIP steht in der Tradition einer Politik der Handelsliberalisierung und Deregulierung, die seit gut 20 Jahren das Markenzeichen der europäischen und US-amerikanischen Freihandelsagenda ist. Was die EU und die USA ihren Bürgerinnen und Bürgern mittels TTIP abfordern, verlangen sie seit zwei Jahrzehnten Millionen von Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ab. In Hunderten von bilateralen Freihandels- und Investitionsabkommen, die die EU, ihre 28 Mitgliedstaaten sowie die USA mit Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens bereits abgeschlossen haben, sind jene Bestimmungen enthalten, die die Gemüter hierzulande bewegen und berechtigterweise Ängste schüren. 

TTIP, wie auch die anderen, gegenwärtig zur Verhandlung stehenden Abkommen, wie die Transpazifische Freihandelszone (TPP), das Abkommen der EU mit Kanada (Ceta) oder das Dienstleistungsabkommen TiSA, begnügt sich jedoch nicht mit der Fortsetzung der bisherigen Handelspolitik der (noch) führenden Wirtschaftsblöcke EU und USA. Diese Mega-Abkommen wollen die Weichen im Welthandel neu stellen, indem sie Blaupausen für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts entwerfen.

Dank TTIP ist Handels- und Investitionspolitik wieder mehr in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Insbesondere aus entwicklungspolitischer Sicht bleibt zu hoffen, dass sich diese kritische Haltung gegenüber Forderungen nach einer noch weitergehenden Liberalisierung im Welthandel nicht auf TTIP beschränkt, sondern auch künftige Verhandlungen zwischen den führenden Wirtschaftsblöcken einerseits und Entwicklungs- und Schwellenländern andererseits mit umfasst. Sei es im Rahmen von bilateralen Verhandlungen oder auch bei der nächsten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO. Anlass genug ein Dossier herauszugeben, in dem wir uns mit TTIP und anderen wichtigen aktuellen Prozessen und Entwicklungen im Welthandel auseinandersetzen.

Ranja Sengupta (Third World Network) analysiert die Dynamik des Welthandels aus der Südperspektive. Dabei nimmt sie auch eine kritische Haltung zur gegenwärtigen Entwicklung des Süd-Süd-Handels ein. Zwar sei es zu begrüßen, dass die Staaten des globalen Südens sich, durch den Ausbau der Handelsbeziehungen untereinander, unabhängiger vom Norden machen; in seiner jetzigen Form ist er jedoch keine ernstzunehmende Alternative, da er sich in seiner politischen-ideologischen Ausrichtung nicht von der Handelspolitik des Nord-Süd-Handels unterscheide: „Solange die Entwicklungsländer die Wirtschaftspolitik des Nordens imitieren, werden die strukturellen Probleme des Welthandels nicht behoben. Vielmehr bringen sie im Süden lediglich Enklaven des Wohlstands hervor, während die breite Masse weiter unter Entbehrungen zu leiden hat. Es ist an der Zeit, weltweit Handels- und Investitionsabkommen zu schaffen, die auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und Kooperation beruhen und auf die Bedürfnisse der vom Weltmarkt Marginalisierten eingehen.“

Die indische Wissenschaftlerin und soziale Aktivistin Vandana Shiva sieht ebenfalls das von den BRICS-Staaten verfolgte Entwicklungsmodell kritisch. Nicht nur, weil sie einseitig auf nachholende Industrialisierung setzen, auch auf der demokratischen Ebene weisen sie Defizite auf. Der Schwerpunkt ihres Interviews liegt auf der Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation WTO und der Frage der Ernährungssicherheit.

Tobias Reichert von Germanwatch setzt sich intensiv mit dem, auf der 9. WTO-Ministerkonferenz vereinbarten, Bali-Paket auseinander, in dessen Mittelpunkt der Konflikt um die Anpassung der WTO-Regeln für inländische Ernährungssicherheitsprogramme stand. Solche Programme werden mit Nachdruck von Entwicklungsländern mit einem großen kleinbäuerlichen Sektor gefordert.

Die neuen Entwicklungen im Agrarhandel bilden einen weiteren Schwerpunkt des Dossiers. In ihrem Artikel „Die Zukunft des Agrarhandels“ zeigen Francisco Marí (Brot für die Welt) und Rudolf Buntzel auf, dass Standards und Wertschöpfungsketten wichtiger werden als Zölle und Subventionen. Demnach nähern wir uns einer Situation an, die wir aus den Bedingungen für Sonderwirtschaftszonen kennen, wo vollkommen liberalisierte Inseln geschaffen wurden, in denen staatliche Regulierung eingeschränkt ist zugunsten eines ganzen Bündels von Liberalisierungsmaßnahmen, die nur für Investoren in diesen Sonderzonen gelten. Für die Wertschöpfungskette im Agrarbereich wird nun ähnliches gefordert. Mit der Folge, dass nicht mehr so sehr die Exportnationen den Importnationen gegenüberstehen, sondern die transnationalen Firmen sind überall und gleichzeitig. Zukünftig wird es dadurch schwieriger, klare Entwicklungsländerinteressen zu definieren.

Benjamin Luig von Misereor stellt in seinem Artikel „Als exportiere man Luft“ die Markmacht der Nahrungsmittelindustrie anhand des Handels mit Tee dar. So paradox es klingen mag: Obwohl der Teekonsum stetig zunimmt, sind die Produzenten einem erheblichen Preisdruck ausgesetzt. Um dieser, für die Pflücker/innen fatalen Entwicklung entgegenwirken zu können, bedarf es einer gestaltenden Politik, mit dem Ziel, die Macht von Monopolen und Oligopolen zu begrenzen.

Eines der wichtigsten Instrumente zur Schaffung einer fairen und gerechten Handelspolitik, ist eine bessere Verankerung der Menschenrechte in der Handelspolitik der Europäischen Union. Eine solche Reform beinhaltet, wie Klaus Schilder (Misereor) in seinem Artikel darlegt, zum einen eine Verankerung von Menschenrechten in den bereits bestehenden Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen der EU zu Handelsabkommen. Damit könnten Risiken schon vor Abschluss der Abkommen besser erkannt und problematische Bestimmungen im Vorhinein modifiziert werden. Zum anderen bedarf es einer Modifizierung der Menschenrechtsklausel, die auch den Entwicklungsländern ermöglicht, einzelne Handelsverpflichtungen zumindest vorübergehend auszusetzen, wenn diese sie daran hindern sollten, ihre Verpflichtungen zur Umsetzung von Menschenrechten im In- oder Ausland zu erfüllen.

 

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