Die neue indische Regierung fordert schnellere Ergebnisse in Fragen der Ernährungssicherheit
Der erste wichtige „Durchbruch“ in den seit fast dreizehn Jahren andauernden WTO-Verhandlungen über den Abschluss der sog. Doha- Entwicklungsrunde scheint wieder in Frage zu stehen. Im Dezember letzten Jahres hatten die WTO-Mitgliedsstaaten, im Rahmen der 9. WTO-Ministerkonferenz im indonesischen Bali, erstmals eine Einigung erzielt. Allerdings beschränkte sich die Einigung nur auf einen Teilbereich dessen, was die Staaten zu Beginn der Doha-Runde, 2001, zum Verhandlungsgegenstand gemacht hatten. Das so genannte Bali-Paket, vom Dezember 2013, enthält verschiedene Elemente, die insbesondere hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit große Unterschiede aufweisen. Dies ist auch der Hintergrund für den aktuellen Konflikt.
Die Entwicklungsländer hatten während der Verhandlungen in Bali gefordert, Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter, die fast ausschließlich von Industriestaaten gezahlt werden, vollständig und endgültig einzustellen. Zudem sollten die Industrieländer verbindliche Zusagen machen, ihre Märkte für Güter und Dienstleistungen aus den am wenigsten entwickelten Ländern LDC stärker zu öffnen. Die Entwicklungsländer forderten ferner ein, in unbegrenzter Höhe Nahrungsmittel für eigene Ernährungssicherheitsprogramme ankaufen zu dürfen. Letzteres wird von einer breiten Koalition von Entwicklungsländern, deren Landwirtschaft vornehmlich kleinbäuerlichen strukturiert ist, gefordert, - aber mir besonderer Dringlichkeit von Indien vorgetragen. Indien fürchtete mit seinem neuen Ernährungssicherheitsprogramm bestehende WTO-Obergrenzen für Agrarausgaben zu überschreiten. Die Industriestaaten forderten dagegen neue Verpflichtungen zum Abbau administrativer Handelsbeschränkungen (Trade Facilitation). Interessanterweise mit der Begründung, insbesondere Entwicklungsländer würden davon profitieren, was diese selbst mehrheitlich aber nicht so sehen.
Streitpunkt: Ernährungssicherheitsprogramme
Entgegen dem Anspruch der Doha Runde eine „Entwicklungsagenda“ zu verfolgen, gab es zum Abbau der Exportsubventionen und dem Marktzugang für LDCs nur stark formulierte aber rechtlich letztlich unverbindliche Erklärungen. Zu Ernährungssicherheitsprogrammen wurde eine speziell auf Indien zugeschnittene Ausnahmeregel vereinbart, die so lange in Kraft bleiben soll, bis eine endgültige Regelung vereinbart ist. Als Zeitrahmen dafür wird 2017 genannt. Wegen des Streits um diesen Punkt waren die Verhandlungen in Bali um einen Tag verlängert worden. Die damalige indische Regierung hatte auf Druck von zivilgesellschaftlichen Gruppen, der damaligen Oppositionspartei Bharatiya Janata Party (BJP) und ihr nahe stehende Bauernverbände konkretere Beschlüsse gefordert, sich aber nur teilweise durchsetzen können. Als einzig wirklich konkrete und dauerhafte Änderung blieb in Bali nur das neue Abkommen zu Trade Facilitation. Dieses wurde in den letzten sechs Monaten in einen juristisch verbindlichen Text überführt, und sollte am 24. und 25. Juli 2014 vom Allgemeinen Rat der WTO, dem höchsten Entscheidungsgremium zwischen den Ministerkonferenzen, verabschiedet werden, damit es nach der Ratifikation durch die Mitglieder in Kraft treten kann.
Bereits während der Verhandlungen in Bali als auch danach hatten eine Reihe von afrikanischen Entwicklungsländern auf das Ungleichgewicht im ‚Bali-Paket‘ hingewiesen, in dem nur das von Industriestaaten geforderte Element einen dauerhaften und rechtlich verbindlichen Charakter haben würde. Sie schlugen daher vor, das Abkommen zwar zu beschließen, aber mit der Umsetzung erst dann zu beginnen, wenn auch über die in Bali ausgeklammerten Themen der Doha-Runde eine Einigung erzielt ist. Die Industriestaaten lehnen dies rundherum ab. Und in den vergangenen Monaten sah es zunächst so aus, als würden die afrikanischen Staaten den Industriestaaten entgegenkommen. Inzwischen sind die Staaten Afrikas aber zu ihrer ursprünglichen Forderung zurückgekehrt, und machen die Umsetzung der Bali Beschlüsse wieder davon, ob die Industriestaaten bereit sind, den Entwicklungsländern bei den anderen strittigen Thema der Doha-Runde entgegenzukommen.
Wenige Tage vor der Sitzung des Allgemeinen Rats nahm Indien, nun unter einer, von der indischen Volkspartei BJP geführte Regierung, eine ähnliche Position ein. Der neue indische Handelsminister erklärte, sein Land werde dem Abkommen zu Trade Facilitation nur dann zustimmen, wenn es sichtbare Fortschritte zu einer dauerhaften Lösung der Ernährungssicherheitsfrage gebe. Der BJP nahe Bauernverband hatte dies, unterstützt von anderen Organisationen, in einem offenen Brief an die indische Regierung gefordert.
Vorerst keine Verabschiedung des Trade Facilitation Abkommens
Daraufhin wurde das Treffen des Allgemeinen Rats am 24.7. ausgesetzt und am 25.7. wurde nur allgemein über den Stand der Verhandlungen in der Doha Runde beraten. Nicht aber über die Verabschiedung des Trade Facilitation Abkommens. In den nächsten Tagen wird wohl hinter den Kulissen mit der indischen und womöglich einigen afrikanischen Regierungen darüber verhandelt unter welchen Umständen das Abkommen noch vor der Sommerpause der WTO am 1.8. verabschiedet werden kann. Dramatische Entscheidungen kurz vor Ablauf vereinbarter Fristen gehören in der WTO zum normalen Verhandlungsgebaren. So fiel der Beschluss zum Start der Doha Runde, 2001, erst 24 Stunden nach dem geplanten Ende der Konferenz; auch das ‚Bali Paket‘ wurde mit Verspätung beschlossen.
Es bleibt abzuwarten, wie weit die neue indische Regierung, die mit einem wirtschaftsfreundlichen Anspruch antritt, den Konflikt treiben will. Unabhängig davon welchen Kurs die indische Regierung einnehmen wird, die eigentliche Ursache dafür, dass der Entwicklungsanspruch der Doha-Runde bislang Rhetorik geblieben ist, lässt sich nur mit einem anderen Verhandlungsansatz der Industriestaaten überwinden.
Gastbeitrag von Tobias Reichert