Die Folgen des Völkermords in Ruanda sind bis heute in der ganzen Region spürbar. In der Zeit zwischen April und Juli 1994 wurden über 800.000 Menschen umgebracht, die allermeisten von ihnen waren Tutsi. Der Völkermord kam nicht ohne Vorwarnung. Er war die extreme Eskalation eines Krieges, der am 1. Oktober 1990 begann und mit der Eroberung des Landes im Juli 1994 endete. Heute ist allgemein anerkannt, dass die Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft den Völkermord möglich machten. Im Sommer 1994 flohen hunderttausende Hutu in den Osten der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Diese Folgen des Genozids führen bis heute zu Destabilisierung und bewaffneten Konflikten. Ruanda ist nach der Kategorie der Least Developed Countries eines der ärmsten Länder weltweit mit erheblichen strukturellen Defiziten und einer hohen Abhängigkeit von Entwicklungsgeldern. Das Land weist erhebliche Demokratiedefizite auf, es wird autokratisch regiert und hat große Mängel bei Wahrung der Menschenrechte und der Pressefreiheit.
Juristische Aufarbeitung auf mehreren Ebenen
In den Jahren nach dem Genozid wurden mehr als 120.000 Menschen verhaftet und des Völkermords angeklagt. Rund 50.000 davon wurden freigelassen, nachdem sie ihre Verbrechen gestanden hatten und mindestens neun Jahre auf ein Verfahren gewartet hatten. Um mit solch einer hohen Zahl von Tätern auch nur annähernd fertig zu werden, geschah die Aufarbeitung des Völkermordes auf verschiedenen Ebenen. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) im tansanischen Arusha basierte auf einem Beschluss des Sicherheitsrates. Er erhob Anklage gegen hochrangige Planer und Organisatoren des Völkermords. Dem ICTR wurde mangelnde Effizienz und ungenügende Öffentlichkeitsarbeit vorgeworfen. Ein Kritikpunkt war ebenfalls, dass nur Hutu angeklagt wurden. Es gibt allerdings auch Erfolge vorzuweisen: zum ersten Mal wurden Rundfunkjournalisten wegen Aufwiegelung zum Völkermord verurteilt und die Rolle der Medien im Genozid thematisiert. Jean Kambanda, Staatsoberhaupt während des Genozids, legte ein umfassendes Schuldeingeständnis vor. Er wurde zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Der ICTR hat Vergewaltigungen beziehungsweise sexuelle Verstümmelungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Völkermordhandlungen anerkannt.
Auch im internationalen Völkerstrafrecht konnten Erfolge erzielt werden. 2011 eröffnete das Oberlandesgericht in Stuttgart das erste Strafverfahren nach dem 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuches gegen zwei ehemalige Rebellenführer der " »Forces Democratiques » aus Ruanda. Ihnen wird vorgeworfen, im Osten der Demokratischen Republik Kongo schwere Völkerrechtsverbrechen begangen zu haben. Ein erstes Urteil in Deutschland zum Völkermord in Ruanda wurde am 18.2.14 in Frankfurt gefällt. Wegen eines Massakers in einer Kirche wurde ein ehemaliger ruandischer Bürgermeister zu 14 Jahre Haft verurteilt.
Traditionelle Gerichte urteilten in den meisten Verfahren
Der Großteil der Täter wurde der nationalen Gerichtsbarkeit und ab 2005 der traditionellen ruandischen Gacaca-Justiz übergeben. Gesellschaftlich akzeptierte Laienrichter sollten in öffentlichen Versammlungen, die gesetzlich festgelegten Regeln folgten, Anhörungen durchführen. Eine der Regeln war, dass mindestens 100 Erwachsene anwesend sein mussten. Neben der Rechtsprechungsfunktion sollten die Gacacas dazu führen, dass Täter und Opfer das Geschehen rekonstruieren und das Leid der Opfer sichtbar machen. Die anfänglich hohen Erwartungen an die traditionellen Gerichtshöfe konnten jedoch nicht vollständig erfüllt werden. Häufig kam das notwendige Quorum von 100 erwachsenen Anwesenden nicht zusammen, der Tathergang und die Täterschaft konnte in den Verhandlungen nicht eindeutig festgestellt werden, Hutus fühlten sich kollektiv angeprangert.
Die Anklageschwelle war recht niedrig, so dass es auch zu Denunziationen kam. Das führte dazu, dass die Furcht ständig präsent war, bei persönlichen Streitigkeiten wegen Völkermordvergehen belangt zu werden. Dennoch haben die etwa 15.000 Gacaca-Gerichte rund 1,5 Millionen Fälle bearbeitet. Im Juni 2012 stellten die Gacaca-Gerichte dann offiziell ihre Tätigkeit ein. Seither leben Täter und Opfer in den Dörfern wieder Seite an Seite.
Zur Versöhnung ist es noch ein langer Weg
Im Juni 2008 hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung des Genozids sowie die Verbreitung einer "Genozid-Ideologie" unter Strafe stellt. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Regierung und werfen ihr vor, dass die Formulierungen des Gesetzes unpräzise sind und politische Opposition und unabhängige Medienberichterstattung damit blockiert und unterdrückt werden. Zur Versöhnung ist es noch ein langer Weg. Strafverfahren und Richtersprüche kommen in der Vergangenheitsbewältigung des Genozids und auch für die Geschichtsschreibung eine wichtige Rolle zu. Im Gegensatz zu vielen anderen gewaltsamen Konflikten, in denen jegliche Aufarbeitung fehlt, haben die juristischen Verfahren auf internationaler und lokaler Ebene eine Chance für zukünftige Generationen zur Versöhnung eröffnet.