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Eine „verantwortliche deutsche Außenpolitik“

Kommentar von Wolfgang Heinrich über die Debatte über die deutsche Außenpolitik, die nach der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 wieder an Schwung aufgenommen hat.

 

Von Ehemalige Mitarbeitende am

Ausgelöst durch die Reden von Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 (MSK) und vor allen eine auffällig einseitige Berichterstattung darüber, findet zur Zeit eine intensive Debatte über Deutschlands Außenpolitik statt. Das ist im Kern zu begrüßen, denn lange hat in der deutschen Öffentlichkeit keine grundsätzliche Debatte über die Art unserer Beziehungen zu anderen Staaten und die Weise, wie diese zu gestalten sind, stattgefunden.

Von der Realität und ihrer Wahrnehmung

Bei der MSK muss unterschieden werden was gesagt wurde und die veröffentlichte Meinung darüber. Eine sorgfältige Lektüre der Reden von Gauck, Steinmeier und von der Leyen zeigt, dass Gauck und Steinmeier gar nicht in erster Linie den Einsatz von Militär meinten, als sie von einer „aktiven“ und „verantwortlichen“ neuen deutschen Außenpolitik sprachen. Bei den Instrumenten eines "verstärkten Engagements" Deutschlands nennt Gauck das Militär an vierter (!) Stelle. Zuerst verweist er auf die Diplomatie, dann nennt er die Entwicklungszusammenarbeit und als Drittes die "Stärkung muli-lateraler Organisationen". Erst danach folgt in seiner Auflistung das Militär. Bundespräsident Gauck geht noch einen Schritt weiter: er fordert, dass sich Deutschland besonders da engagieren solle, wo es besondere Fähigkeiten vorweisen könne - und nennt hier die Pävention von Konflikten! Nur die Prävention!

Bundesaußenminister Steinmeier argumentiert ähnlich. Er kündigt an, dass Deutschland „Impulsgeber für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ werden wolle, denn „Europas Außenpolitik [müsse] mehr sein als die Summe vieler kleiner Teile.“  Zugleich betont er: „Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel. Bei seinem Einsatz bleibt Zurückhaltung geboten. (...) Entscheidend ist aber vor allem anderen, dass wir gemeinsam mit anderen intensiver und kreativer darüber nachdenken, wie wir den Instrumentenkasten der Diplomatie ausstatten und für kluge Initiativen nutzbar machen.“

Damit setzt er eine Argumentation fort, die er in seiner Rede anlässlich der Amtsübernahme am 17.12.2013 im Außenministerium gehalten hatte. Dort sagte er: „Sie [Westerwelle] haben an der 'Kultur der militärischen Zurückhaltung' festgehalten. Das hat Ihnen nicht nur Lob eingebracht – auch in Deutschland gibt es wieder einige, für die - ausschließlich und nur - Androhung und Einsatz militärischer Gewalt der Lackmustest für außenpolitische Glaubwürdigkeit ist. Daraus spricht nicht nur Missachtung kluger Diplomatie zur Krisenlösung und -entschärfung. Es lässt auch in Vergessenheit geraten, dass wir Deutsche - mit Blick auf unsere Geschichte - besondere Verantwortung für die Erarbeitung von Alternativen zur militärischen Lösung tragen. Selbst wenn wir auch solche für die Vergangenheit nicht völlig ausgeschlossen haben und für die Zukunft nicht immer ausschließen können.“ Verteidigungsministerin von der Leyen argumentiert als Einzige vorwiegend aus der Perspektive einer militärischen Sicherheitspolitik. Mit Blick auf Funktion und Gelegenheit ist das nachvollziehbar.

Interessant ist nun die veröffentlichte Meinung. Die weitaus größte Zahl der Kommentatoren arbeiteten sich befürwortend oder kritisierend an der Meldung ab, Gauck, Steinmeier und von der Leyen hätten ein verstärktes militärisches Engagement in Afrika gefordert. Dies erscheint mir eine sachlich nicht nachvollziehbare Verkürzung. In den Leitmedien scheint sich inzwischen eine durch und durch militarisierte Grundhaltung etabliert zu haben. Eine Mehr an Verantwortung, eine aktivere Politik kann offenbar nichts anderes mehr bedeuten, als Soldaten in den Krieg zu schicken. Die „Größe“ und die „Bedeutung“ Deutschlands kann sich nur in einem größeren militärischen Fußabdruck niederschlagen. Die immer wieder genannten Fälle, wo sich diese „neue“ aktive Außenpolitik niederschlagen könnte, sind Mali und die Zentralafrikanische Republik.

Allerdings ist aus keinem Beitrag zu entnehmen, welche Veränderung vor Ort Anlass gegeben hat, gerade diese beiden Länder zu nennen. Es steht zu vermuten, dass es nicht neue oder verschärfte Bedrohungen für das Leben der Menschen in Mali oder der ZAR waren, die plötzlich die Aufmerksamkeit auf sie lenkten. Auch scheinen außenpolitische Interessen oder wirtschaftliche Interessen nicht die primär treibenden Motive zu sein. Im Vordergrund stehen offenbar bündnispolitische Interessen. Deutschland braucht dringend einen UN-politisch relevanten Bündnispartner für die post-Afghanistan Debatte. Das müsste einer der "permanent five" sein. Nur Frankreich kommt dafür in Frage, denn wie die Spionageaktivitäten der NSA verdeutlichen, die Achse Washington-London steht unverrückbar.

Ist in den Reden ein Politikwechsel angekündigt?

Insbesondere einer gegenüber Afrika? Denn dies ist in der medialen Berichterstattung durchweg behauptet worden. Ich komme zu dem Schluss: nein, ein Politikwechsel findet nicht statt. Es ist die Fortschreibung der unter Schröder/Fischer begonnenen militarisierten Außenpolitik. Es ist auch die Fortsetzung der unter diesen beiden begonnenen Politik der Bündnistreue und der machtpolitischen Interessendurchsetzung.

Der entscheidende Unterschied: heute redet man offen darüber und lässt diese Politik durch den Bundespräsidenten als „Hinwendung“ zur Welt verklären. Bundespräsident Horst Köhler musste seinerzeit noch gehen, weil er in sehr vorsichtigen Worten das ausgesprochen hatte, was offen im verteidigungspolitischen Weißbuch von 2006 steht und was viele außerhalb Deutschlands längst wahrnahmen und wussten.

Fortgesetzt wird auch eine Politik, die sich nicht an der realen Lage vor Ort orientiert, in der es vor allem nicht um die Menschen dort geht. Dies wird in den Reden auf der MSK allerdings sehr deutlich. Es geht um deutsche Interessen. Punkt. Deutsche Interessen sind bündnispolitische und wirtschaftliche. Im Zentrum eben dieser Interessen stehen „Staaten“ und Strukturen, die „befähigt“ und in die Durchsetzung deutscher und europäischer Interessen eingebunden werden. Wie zum Beispiel das Regime Muamar al Gaddafis bis zu dessen Sturz in die europäische Grenzsicherungspolitik eingebunden wurde, wofür es reichlich mit Waffen und Technologie befähigt wurde.

So scheint es für die deutsche Politik (und zahlreiche der Medien, die sie befürworten) keine Rolle zu spielen, dass die Regierung Malis von großen Teilen der Bevölkerung im Norden nicht nur nicht anerkannt, sondern als Bedrohung empfunden wird. Auch dass die Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza der ZAR lange Zeit tatenlos zusah, wie Muslime von sich christlich nennenden Milizen abgeschlachtet wurden, bevor sie erst auf französischen Druck hin sich öffentlich dagegen äußerte, scheint in der deutschen Politik nicht die Frage aufzuwerfen, wie legitim das Regime in der eigenen Bevölkerung tatsächlich ist, das man durch Ausbildung von Militär und Sicherheitsorganen ertüchtigen will.

Wohin eine solche „staatszentrierte“ Politik führen kann, kann man gegenwärtig im Südsudan besichtigen. Seit Jahren weisen Kenner des Landes darauf hin, dass die gegenwärtige Regierungselite eine systematische Politik der Machtsicherung betreibt und dafür rücksichtslos abweichende Meinung in den eigenen Reihen unterdrückt, oppositionelle politische Kräfte diskriminiert und verfolgt und Führungspositionen in den bewaffneten Organen strategisch mit linientreuen Parteigängern besetzt. Dennoch wurde die Politik der „Ertüchtigung“ auch mit der Ausbildung von Militär und Sicherheitsorganen unverdrossen fortgesetzt. Nun verfügen alle Seiten über ausgebildete und modern ausgerüstete Kampfeinheiten.

In Mali wird mit einem militärischen Engagement genau das falsch gemacht werden, was in Somalia seit 1991 falsch gemacht wird, was in Afghanistan seit 14 Jahren allem Anschein nach falsch gemacht wurde, was im Kongo seit 1995 falsch gemacht wurde und was voraussichtlich demnächst auch in der ZAR und im Südsudan falsch gemacht werden wird. Denn eines haben die genannten Fälle gemeinsam: für keinen gibt es ein überzeugendes und kohärentes Gesamtkonzept für eine politische Lösung.

Impulse für Friedenspolitik statt Sicherheitspolitik

Zur Erinnerung: Frank-Walter Steinmeier sagte, dass deutsche Außenpolitik „Impulsgeber“ einer europäischen Außenpolitik werden solle. Dies genau forderten deutsche Nichtregierungsorganisationen immer wieder. Deutschlands Außenpolitik zum Beispiel gegenüber Afrika fiel besonders dadurch auf, dass sie sich hinter „europäischen Positionen“ oder hinter der Politik Frankreichs oder Großbritanniens versteckte. Eine „aktive Gestaltung“ europäischer Außenpolitik gegenüber Afrika war aus den Dokumenten der EU nicht herauszulesen, wohl aber die Handschriften Frankreichs und Großbritanniens. Eine „Impulse“ gebende Rolle der deutschen Außenpolitik ist daher im Grundsatz zu begrüßen.

Doch Impulse gibt man nicht dadurch, dass man das Gleiche tut, was andere tun, und das Gleiche sagt, was andere sagen. Zu Recht hat Bundespräsident Gauck darauf hingewiesen, dass Deutschland besondere Fähigkeiten erworben habe, die Entstehung von Situationen zu verhindern, die einen Einsatz von Militär notwendig machen. Dazu gehören etwa das aktive Eintreten für das „Friedensprojekt Europa“ (und es scheint, man muss heute daran erinnern, dass die Europäische Union als ein ambitioniertes Friedensprojekt begann), ebenso wie die Abkehr von dem auf Konfrontation ausgerichteten Blockdenken hin zu einer „Politik der gemeinsamen Sicherheit“ durch die neue Ostpolitik. Beide Projekte konnten gelingen, weil sie nicht allein als bürokratisch-technisches Regierungshandeln gedacht wurden, sondern einen breiten gesellschaftlichen Diskurs und ein Umdenken in der Gesellschaft auslösten und voran trieben.

Es ist zu hoffen, dass die mit der MSK ausgelösten Diskussionen dazu beitragen werden, dass in Deutschland eine von der Mehrheit der Gesellschaft getragene und von der Regierung praktizierte „Friedenspolitik“ entsteht, die eben diese Fähigkeiten nutzt. Das Militärische können andere auch. Vielleicht sogar „besser“. Impulse müssen auf neues Denken und neues, anderes Handeln zielen, überkommene Verhaltensmuster überwinden. Wie dieses real geschehen kann, demonstriert Frank-Walter Steinmeier gerade im Konflikt um die Ukraine. Es ist ihm Erfolg zu wünschen – und dass der Erfolg auch dazu führt, die Stärken der zivilen Bearbeitung von Konflikten wieder Wert zu schätzen.

Um noch einmal aus der Rede Frank-Walter Steinmeiers vom 17. Dezember 2013 zu zitieren: „Genau das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. Und die hat nichts zu tun mit dem halbstarken Gerede über wachsenden deutschen Einfluss und neue deutsche Macht. Jeder, der die Zahlen kennt, weiß, dass in den nächsten Jahrzehnten unser Anteil an der Weltbevölkerung und am Welthandel kontinuierlich abnehmen wird. Für Mittelmachtsphantasien nach dem Motto "Wir sind wieder wer" ist da wenig Grundlage!“

Ein sehr angesehener General und Oberkommandierender (leider weiß ich seinen Namen nicht mehr) hat kürzlich gesagt: "Um einen Krieg zu beginnen, braucht man nicht viel Hirn. Das braucht man, wenn man Krieg vermeiden will".

 

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