Sierra Leone in den Schlagzeilen: Das Land, eines der ärmsten der Welt, hat einen grausamen Bürgerkrieg hinter sich – und ist jetzt von Ebola betroffen. Ebun James-DeKam ist Generalsekretärin des Christenrats Sierra Leone, eines langjährigen Projektpartners von Brot für die Welt. Sie berichtet, wie ihre Organisation den Menschen in dem westafrikanischen Land hilft, welche Versäumnisse es gab und wie wichtig Informationen für die Bevölkerung sind. Ihrem Bericht stellt Ebun James-DeKam diese persönliche Worte voran: „Gott schütze Sie alle und vielen Dank für Ihre Unterstützung. Beten Sie weiterhin für das medizinische Personal an vorderster Front, das uns nach besten Kräften schützt und für alle, die damit beschäftigt sind, die Ausbreitung des Virus zu verhindern.“
Sierra Leone: schlecht vorbereitet
Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre es eine Herausforderung für jedes Land, angemessen auf einen Ausbruch von Ebola zu reagieren. Als sich Anfang 2014 Ebola im Nachbarland Guinea verbreitete, verpassten wir offensichtlich die Möglichkeit, uns auf einen möglichen Ausbruch in Sierra Leone einzustellen. Als die Krankheit dann um sich griff, waren wir nicht vorbereitet: Schutzausrüstung –Masken, Schutzbrillen, Handschuhe… – fehlten oft und die Labore waren für Ebola-Tests nicht gerüstet.
Fachleute fehlten und eine Bevölkerung in Angst
Das medizinische Personal war nicht im richtigen Umgang mit der Schutzausrüstung geschult, es gab kaum Fachleute mit fundiertem Wissen und Erfahrung im Umgang mit Ebola. Teams, die den Weg des Virus zurückverfolgen können und die sich um die Bestattung der Verstorbenen kümmern, mussten erst noch gefunden und geschult werden. Die Bevölkerung fing an, heftig dagegen zu protestieren, dass sich nicht-infizierte Kranke und Ebola-Patienten in denselben medizinischen Einrichtungen behandeln lassen sollten – setzte das doch die Nicht-Infizierten einem höheren Ansteckungsrisiko aus.
Keine Rücksicht auf Traditionen
Erst nach dem Ausbruch in unserem Land gab es großanlegte Schulungen des medizinischen Personals in staatlichen und privaten Krankenhäusern. Behandlungszentren und Isolierstationen entstanden. Die Menschen im ersten Gefahrengebiet – im Distrikt Kailahun– wurden überrumpelt, aber nicht aufgeklärt: Die Helfer nahmen keine Rücksicht auf die dortigen Traditionen bei der Pflege von Kranken und die Beisetzung der Toten.
Gerüchte statt Aufklärung
Hinzu kam, dass die Vertreter des Gesundheitsministeriums – begleitet von Militär und Polizei –wenig Sensibilität im Umgang mit den direkt betroffenen Menschen zeigten. Es gab zahlreiche Gerüchte über die Ursache der Krankheit und darüber, wie die Regierung damit umgeht. Einige behaupteten, der Ausbruch und die Reaktionen darauf seien politisch motiviert; der Ebola-Ausbruch ereignete sich in der Hochburg der Opposition. Es mangelte an Vertrauen zwischen denen, die unbedingt helfen wollten, und denjenigen, die Hilfe dringend benötigten. Das führte zu einer Widerstands- und Abwehrhaltung, die sich durch Fehlinformationen und Gerüchte aufheizte und weiter wuchs.
Endlich: ein Notfallplan
Die Verbreitung des Ebola-Virus und die Reaktionen darauf erreichten dadurch einen kritischen Punkt. Die Regierung hat mittlerweile den Gesundheits-Notstand ausgerufen. Sie versucht, effektiver und effizienter vorzugehen und die Übertragung zu begrenzen. Sie erstellte einen landesweiten Notfallplan, der die verfügbaren und benötigten Mittel sowie fehlende Ressourcen benennt. „Notstand“ bedeutet auch, dass die Bewegungsfreiheit ganzer Gemeinden eingeschränkt wurde und sie unter Quarantäne gestellt werden können. Um die neuen Regeln und Vorschriften durchzusetzen, erhielten Militär und Polizei die Befugnis, medizinisches Fachpersonal zu unterstützen und zu schützen – auch auf kommunaler Ebene. Die Zahl der bestätigten Ansteckungs- und Todesfälle steigt stetig, zum Glück erhöht sich auch die Zahl der Überlebenden.
Die wichtige Rolle der Kirchen
Der Kirchenrat in Sierra Leone (Council of Churches in Sierra Leone, CCSL) rief mit Unterstützung von ACT Alliance eine breit angelegte Aufklärungskampagne in den Gemeinden an den Grenzen zu Guinea und Liberia ins Leben. Diese Kampagne umfasst die Schulung von und Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflegepersonal und die Information von angesehenen Personen des öffentlichen Lebens wie christliche und muslimische Geistliche, Vertreterinnen der Marktfrauenverbände und Funktionäre der Lehrer-, Studenten- und Transportgewerkschaften.
Eine Stimme für die Ebola-Vorsorge
Für die Ausstrahlung von Diskussionsrunden kauften wir Radio-Sendezeit. Die Debatten wurden in den regionalen Sprachen geführt. Während der Sendung konnte das Publikum anrufen und Fragen klären. In den Dörfern verteilten wir Megaphone an die Ausrufer auf den Märkten und die Teams der Ebola-Einsatzgruppen, damit sie Meldungen zu der Krankheit verbreiten können. Wir druckten und verteilten Plakate und Flugblätter: Mit Bildern veranschaulichen sie auch den Menschen, die nicht lesen können, wie Ebola entsteht, was Anzeichen und Symptome sind, wie sich die Krankheit eindämmen lässt und wie Vorsorge möglich ist.
Informationen im Fokus
CCSL ist auch Mitglied des landesweiten Ebola-Einsatzstabs. Er tagt drei Mal pro Woche. Zudem sind wir Mitglied der Arbeitsgruppe Kommunikation und können dadurch die Meldungen über Ebola, die an die Bevölkerung gehen, gestalten. Neue Informationen geben wir nahezu täglich an unsere lokalen und internationalen Partner weiter.
Religionen ziehen an einem Strang
Gemeinsam die Ebola-Krise angehen – dazu hatten wir die Vertreterinnen und Vertreter anderer religiöser Organisationen eingeladen, etwa katholischer Missionen, Pfingstgemeinden und verschiedener muslimischer Einrichtungen. Daraus entstand der Arbeitskreis der Religionsführer zu Ebola (Religious Leader Task Force On Ebola). Mit dem Arbeitskreis stellten wir Schulungen in noch mehr Gemeinden auf die Beine. Außerdem ließen wir Aufkleber für Fahrzeuge und T-Shirts drucken, die aufklären, dass sich die Ausbreitung von Ebola verhindern lässt. Die Geistlichen in Kirchen und Moscheen sprechen zu den Gläubigen nicht nur von der Kanzel, sondern auch im Radio und Fernsehen.
Unterstützung ist wichtig
Schwierigkeiten bereitet den Teams von CCSL das Wetter. Die Regenzeit hat begonnen und der Weg aufs Land ist zeitaufwendig und wegen der schlechten Straßen gefährlich. Unsere Fahrzeuge, Allrad-Autos und Motorräder, kommen oft an ihre Grenzen. Eine andere Hausforderung sind die fehlenden Ressourcen: Wir brauchen Geld, um die Schulungen in den Gemeinden und die Informationen im Arbeitskreis der Religionsführer bezahlen zu können. Auch die Unterstützung der Leute vom Gesundheitsministerium bei Transporten kostet Geld.
Quarantäne trifft die kleinen Leute
In den Regionen, in denen die Krankheit auftritt, wird der Verkehr teils blockiert. Diese Reise- und Transportbeschränkungen treffen alle, die jeden Tag ein Einkommen erzielen müssen. Betroffen sind beispielsweise alle, die auf den Märkten Fisch, Feuerholz und Holzkohle verkaufen. Sie können kein Einkommen erwirtschaften und Familien fehlt der Lebensunterhalt.
Schulen bis auf Weiteres geschlossen
Zurzeit sind Schulferien, doch viele haben Angst, dass die Schulen zum neuen Schuljahr im September nicht wieder öffnen. Das würde unsere Kinder in ihrer Bildung und ihrem Lernfortschritt zurückwerfen. Für Mütter ist es ein Alptraum, auch nur daran zu denken, dass ihre Kinder sich selbst überlassen sind, ohne Aufsicht und mit viel ungenutzter Zeit.
Schlechte Karten für Ausbildung und Studium
Die Abschlussprüfungen wurden wegen des Ebola-Ausbruchs verschoben. Für die Schülerinnen und Schüler ist das ein Nachteil, wie auch der Unterrichtsaufall seit Mitte Juni. Die Zahl der Schulabgänger mit Abschluss wird dadurch sinken. Das wiederum schmälert die Chancen für Studium und Ausbildung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die bisher gemachten Fortschritte, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss und die Teenager-Schwangerschaften zu senken, zunichte gemacht werden.
Trauer um die Kinder
Ich fühle mich persönlich sehr betroffen: Unser Bürgerkrieg war sicher einer der brutalsten, aber meine Angst ist im Moment größer, als sie im Krieg war. Ganz einfach deswegen, weil man den Feind nicht sehen kann; man kann sich nicht ausreichend gegen ihn schützen. Ein Handschlag von einem Freund oder Verwandten und schon kann es sein, dass man eine infizierte Person berührt hat –die Wahrscheinlichkeit zu überleben ist ziemlich niedrig. Als Mutter muss ich an die vielen Kinder denken, die ihre Eltern verloren haben. Ich fürchte, dass sie in der Folge keine Chance mehr auf eine gute Erziehung zuhause und eine gute Ausbildung in der Schule haben.
Mehr Menschen werden sterben
Ich rechne damit, dass in den nächsten Wochen die Zahl der Ebola-Fälle steigt – und damit die Zahl der Toten. Ich denke, es fließt mittlerweile mehr Geld in den Kampf gegen die Krankheit, aber es wird dauern, bis sich die Ausbreitung von Ebola verlangsamt. Im ganzen Land müssen wir die Aufmerksamkeit aller erhöhen, um alle Element der Ebola-Vorsorge rigoros zu nutzen und die Zahl der Neuinfektionen zu verringern. Wir müssen das Vertrauen zwischen den Gesundheitsbehörden und Fachkräften der Regierung auf der einen Seite und den Menschen auf dem Land und in den Städten andererseits aufbauen. Wir müssen sicherstellen, dass es genug gute Schutzausrüstungen gibt und dass sie jederzeit für alle verfügbar sind, die sie brauchen.