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Der Film als Beweismittel, die Kamera als Schutzschild

Ein palästinensisches Geschwisterpaar filmt die nächtliche Durchsuchung ihres Hauses durch israelische Soldaten. „Smile, and the World will Smile Back“ war im diesjährigen Kurzfilmwettbewerb der Berlinale vier Mal zu sehen.

 

Ein Gespräch mit den Protagonisten Shadda und Dia al-Haddad sowie den Filmemachern Yoav Gross und Ehab Tarabieh.

 

Von Online-Redaktion am

Ein palästinensisches Geschwisterpaar filmt die nächtliche Durchsuchung ihres Hauses durch israelische Soldaten. Verschiedene Perspektivwechsel verleihen dem Dokumentarfilm, der daraus entsteht, besondere Aussagekraft. „Smile, and the World will Smile Back“ war im diesjährigen Kurzfilmwettbewerb der Berlinale vier Mal zu sehen. Der Film entstand im Rahmen des Video-Projekts der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, die von Brot für die Welt gefördert wird.

Ein Gespräch mit den Protagonisten Shadda und Dia al-Haddad sowie den Filmemachern Yoav Gross und Ehab Tarabieh.

„Manchmal kommen sie nachts in unseren Olivenhain, der unser Haus umgibt, um ihn ungefragt für Militärübungen zu nutzen.“, erzählt Shadda al-Haddad. Die junge Ingenieurin und ihr Bruder Dia leben in Hebron – in Zone H2. Dies ist der Teil der geteilten Stadt im Süden der Westbank, in dem etwa 30.000 Palästinenser und 500 Siedler leben. Bestimmte Bereiche und Straßen der Stadt sind für Palästinenser nicht zugänglich. Täglich erfahren die palästinensischen Einwohner Schikanen, willkürliche Verhaftungen, nächtliche Hausdurchsuchungen.

Familie al-Haddad jedoch wehrt sich: mit einer Filmkamera. Seit 2008 unterstützen sie als Freiwillige das Kameraprojekt der Organisation B’Tselem, das die täglichen Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und veröffentlicht. Um drei Uhr morgens hämmert es an der Tür. Als der Vater, Abdelkarim al-Haddad sie öffnet, steht er sechs vermummten israelischen Soldaten gegenüber, die ihm befehlen, seine Familie aufzuwecken. Es folgen Momente der Ohnmacht, der Wut, des Wartens. Und die Kamera läuft mit. Dia und Shadda filmen abwechselnd und so entsteht ein Dokument aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Es zeigt einen Mitschnitt einer alltäglich wiederkehrenden Situation, an die sich keiner der Betroffenen jemals gewöhnen wird. Es zeigt, wie der private Raum durch das fremde Eindringen seinen Schutz verliert.

Yoav Gross und Ehab Tarabieh von B’Tselem erkannten das filmische Potential des Materials und reichten den daraus erarbeiteten Dokumentarfilm schließlich bei den Berlinale Filmfestspielen ein. Shadda und Dia verließen Palästina zum ersten Mal in ihrem Leben und reisten zusammen mit Yoav und Ehab nach Berlin zu den 64. Internationalen Filmfestspielen.

Brot für die Welt:Ihr seid nun seit einigen Tagen in der Stadt und Euer Film wurde bereits mehrere Male auf der Berlinale vorgeführt. Wie waren die Reaktionen des Publikums auf den Film?

Dia al-Haddad: Während der verschiedenen Publikumsgespräche wurde ich oft gefragt, ob in den besetzen Gebieten Situationen wie diese regelmäßig geschehen. Das ist einfach zu beantworten: ja, täglich. Auch fragten mich die Zuschauer, wie ich es schaffe zu lächeln, trotz dieser offensichtlich ungerechten Situation. Doch für mich ist es mittlerweile normal. Früher, als ich ein kleiner Junge war, hatte ich Angst vor den Soldaten und bin immer nach Hause gerannt, wenn ich sie gesehen habe. Doch heute gehört es leider zum Alltag, ich möchte es einfach nicht mehr an mich herankommen lassen. Deswegen lächle ich.

Ändert die Präsenz der Kamera manche Situationen und hat das Video-Projekt Wirkung auf die öffentliche Wahrnehmung?

Dia al-Haddad: Zum einen ändert sie die Beweislage. Wenn wir früher zur Polizei gingen, um Anzeige zum Beispiel wegen Siedlerattacken zu erstatten, wurden wir nach Beweisen gefragt. Doch mit dem Filmmaterial ändert sich das nun. Bevor wir die Kameras hatten, machten die Siedler, was sie wollten. Nun aber gehen sie auf Abstand, sobald wir die Kamera anschalten.

Shadda al-Haddad: Es war im Winter 2007, als ich das erste Mal etwas mit der Kamera filmte. Wir spielten im Schnee, als Siedler kamen und uns angreifen wollten. Sie versuchten uns die Kamera wegzunehmen. Das Bild war verwackelt, da ich Angst hatte und sehr zitterte. Wir brachten das Material dann zur Polizei und sie sagten uns, dass sie die Angreifer zu einem Verhör laden werden.

Yoav Gross: In Hebron startete das Kameraprojekt 2007 mit einer Kamera und entwickelte sich schnell zu einem großen und sehr effektiven Projekt. Nun sind es 220 Kameras. Es hat einen anderen Effekt als zum Beispiel einen schriftlichen Bericht zu veröffentlichen. Wir haben das Gefühl, dass die Videos eine andere Art der Konversation in den Medien hervorrufen. Dass dieser Film nun auf der Berlinale gezeigt wird, wurde durchaus in den israelischen Medien diskutiert.

Kam es auch schon vor, dass die Kamera oder Material konfisziert wurde oder dass Ihr verhaftet wurdet?

Shadda al-Haddad: Ja, wir filmten einen Angriff israelischer Siedler, dann kam das israelische Militär und konfiszierte die Videokassette.

Dia al-Haddad: Manche Soldaten wissen, dass ich mit B’Tselem arbeite. Es kam öfter vor, dass ich für einige Stunden an Checkpoints festgehalten wurde, mit der Begründung, ich kollaboriere mit B’Tselem. Einmal haben sie mich sogar sechs Stunden lang festgehalten.

Yoav Gross: Hier stehen wir einer komplexen Rechtsgrundlage gegenüber. Material kann durchaus konfisziert werden, wenn es Beweise enthält, die der Strafverfolgung dienen. Zudem darf nicht weitergefilmt werden, wenn zum Beispiel dabei der Einsatz des Militärs schwerwiegend gestört oder behindert wird. Auch gewisse militärische oder zivile Sicherheitsbereiche, wie Militäranlagen oder Flughäfen,  dürfen nicht gefilmt werden. Man muss aber dazu sagen, dass Freiwillige von B’Tselem nicht systematisch schikaniert oder verhaftet werden. Es kommt dennoch vereinzelt zu Beschlagnahmungen, Verhaftungen oder Löschungen des Materials. Deshalb versuchen wir durch Kontakte, die wir zur Armee haben, die Verletzung der Gesetze zu diskutieren. Und wir glauben, es ist ein Teilerfolg, dass die israelischen Soldaten nun größtenteils nicht mehr das Filmen verhindern. Hinzu kommt, dass manche Soldaten das Gesetz nicht kennen. Wir haben viel Archivmaterial gesammelt, das Soldaten zeigt, die den Freiwilligen das Filmen verbieten wollen. Die Videofilmer zeigen dann ein offizielles Schreiben, das sie immer bei sich tragen, auf dem die Filmrechte erläutert sind. Man konnte schon einige verwunderte Soldaten sehen, nach dem Lesen dieses Schreibens.

Was fühlst Du, wenn es zu Situationen, wie der im Film, kommt?

Shadda al-Haddad: Ich habe immer das gleiche Gefühl: Ich bin immer verängstigt und besorgt. Besorgt um meine Familie und um die Situation in Hebron. Was wird bloß aus uns? Wir haben letzten Endes nur die Kamera, das israelische Militär jedoch hat die vielen Waffen und modernste Technik. Ich kann nicht sagen, dass ich mich daran gewöhnen werde. Ich bin jedes Mal aufs Neue verängstigt.

Mit welchen Einschränkungen müsst Ihr durch die Teilung der Stadt und durch die Besatzung leben?

Shadda al-Haddad: Es ist sehr schwierig für uns. Ich arbeite in Zone H1, muss also täglich den Checkpoint passieren. Sie durchsuchen mich jedes Mal, wenn ich morgens H2 verlasse und wenn ich abends wieder zurück komme. Ich empfinde das jedes Mal als Schikane. Es gab auch Zeiten, als die Siedler uns regelmäßig mit Tränengas angriffen, als wir auf dem Weg zur Arbeit waren. Unsicherheit und der Wunsch nach Schutz waren unsere ständigen Begleiter. Vor ein paar Jahren ist das israelische Militär in verschiedene Häuser in der Nachbarschaft gekommen und befahl den Familien in einen Raum zu gehen, den sie dann von außen verschlossen, während sie das Haus durchsuchten. Sie installierten Kameras auf den Dächern einiger Häuser. Die Kameras werden ferngesteuert und wenn sie bewegt werden, können wir das im Haus hören, was uns besonders nachts stört.

Dia al-Haddad: Wir fühlen uns wie Gäste oder gar Fremde in unserem eigenen Haus. Für uns Jugendliche ist es ein normales Gefühl, über unsere eigenen vier Wände keine Kontrolle zu haben. Für mich ist das alles normal geworden. Ich fühle gar nichts mehr. Seit die Stadt geteilt ist, sind im wahrsten Sinne des Wortes für uns viele Türen verschlossen. Ich habe die Schule früh abgebrochen, um Arbeit zu finden. Doch das ist sehr schwer, da zum Beispiel der industrielle Sektor in Hebron unter der Besatzung und dem zunehmend fehlenden Absatzmarkt stark gelitten hat.

Was erwartet Ihr von uns in Europa bzw. in Deutschland? Was können wir für Euch machen?

Shadda al-Haddad: Wir wissen, dass Ihr leider weder die Siedlungen in der Westbank räumen, noch die Besatzung beenden könnt. Das liegt nicht in Eurer Hand. Wir wollen einfach nur unsere Geschichte erzählen und in Frieden leben.

Dia al-Haddad: Wir wissen, dass Ihr über unsere Situation Bescheid wisst. Wir können Euch nicht sagen, was Ihr zu tun habt. Es liegt an Euch zu entscheiden, ob und was Ihr für uns tun könnt. Mein Traum ist, die Geschichte von Palästina zu erzählen. Die wahre Geschichte unseres Landes mit der Beweiskraft des Videos.

Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg mit dem Film!

Das Gespräch führte Isabelle Uhe

 

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