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Commons als wachstumsunabhängige Alternative

"Armut aus Commons-Sicht ist weniger eine Armut an finanziellen Ressourcen, sondern ein Mangel an Beteiligungschancen, an Zugangsrechten und an Entfaltungsmöglichkeiten." Das ist einer der Kernsätze des Beitrags von Stefan Tuschen, den er auf der Zweiten Hilfe-Konferenz "Beyond Aid - Von Wohltätigkeit zu Solidarität" hielt. Die Konferenz fand vom 20. bis zum 22. Februar in Frankfurt statt.

 

Von Ehemalige Mitarbeitende am


Dokumentation meines Beitrages "Commons im Kontext von Armutsbekämpfung", den ich auf der Zweiten Frankfurter Hilfe-Konferenz "Beyond Aid - Von Wohltätigkeit zu Solidarität", die vom 20. bis 22. Februar stattfand, gehalten habe:

Commons im Kontext von Armutsbekämpfung ... diese Überschrift für meinen Beitrag provoziert (mindestens) drei Fragen: 1. Was sind Commons? 2. Welche Armut ist in diesem Kontext gemeint? 3. Und warum ist die Rede von Armutsvermeidung und nicht von Armutsbekämpfung?

Die Antwort auf die erste Frage – Was sind Commons? bzw. Was ist commoning? – hat Heike Löschmann in ihrer Einführung beantwortet. Die drei Elemente der Commons-DNA – Ressource, Nutzergemeinschaft, selbstbestimmte Regeln – lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Commons sind Vereinbarungen darüber, wie Menschen mit Ressourcen (materiellen oder immateriellen) umgehen. Es handelt sich also um soziale Beziehungen, um soziale Praktiken, die eingebettet sind in die jeweilige Umwelt bzw. Mitwelt.

Wenn wir Commons im Kontext von Armut betrachten, stellt sich als zweites die Frage: Welche Armut meinen wir? Armut ist Ausdruck unserer gesellschaftlichen Verhältnisse und Sozialbeziehungen. Bei allen Beteuerungen, einen multidimensionalen Armutsbegriff zugrundezulegen, ist der Zweck der meisten Armutsbekämpfungsstrategien am Ende doch die Verringerung von Einkommensarmut. Und damit die Möglichkeit, gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen – und zwar in Form von Integration in den Markt.

Armut aus Commons-Sicht ist jedoch weniger eine Armut an finanziellen Ressourcen. Vielmehr ist Armut hier ein Mangel an Beteiligungschancen, an Zugangsrechten und an Entfaltungsmöglichkeiten. (Allerdings nicht in einem liberalen Sinne isolierter, individueller Selbstverwirklichung. Sondern eingebettet in die Gemeinschaft. „Ich bin, weil du bist und kann nur sein, wenn du bist“ um es mit der afrikanischen Ubuntu-Philosophie zu sagen.) Es geht also im Wesentlichen darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben gemeinsam mit anderen selbst in die Hand zu nehmen.

Im UN „Bericht über die menschliche Entwicklung 2013“ heißt es: „Menschen können nicht alleine gedeihen; sie können alleine nicht einmal funktionieren. Das Konzept der menschlichen Entwicklung war jedoch im Wesentlichen individualistisch, weil es von der Annahme ausging, dass Entwicklung die Erweiterung der Verwirklichungschancen oder Freiheiten von Individuen ist.“ (S. 46).

Und genau hier setzten und setzen auch die meisten Armutsbekämpfungsstrategien an: beim Individuum. Das mag nicht verwundern, in einer Marktgesellschaft, in der das Individualeigentum eine solch zentrale Bedeutung hat. Individuelle Eigentumstitel und Einhegungen – engl. „enclosures“ – gelten bis heute als probates Mittel der Armutsbekämpfung. Dass es längst Studien gibt, die belegen, dass kollektive Eigentums- und traditionelle Bewirtschaftungsformen besser vor Unternutzung oder Landgrabbing schützen als individualisierte Landtitel, bleibt bislang im Schatten. Der Einsatz für die Vergabe von Rechtstiteln für Privatland ist in der Entwicklungszusammenarbeit nach wie vor an der Tagesordnung.

Dabei lohnt auch ein Blick in die Geschichte. Denn auch in Europa ist es gar nicht so lange her, dass dem Privateigentum mit Nutzungsrechten – denen sogar der König unterstand – etwas entgegensetzt wurde, um denjenigen, die keine Eigentumstitel besaßen, ein Auskommen zu sichern. Ich denke an die Magna Charta von 1215. Sie schrieb erstmals das Recht auf Nutzung der Commons fest. Da der Großteil der Bevölkerung nicht über Landeigentum verfügte, sicherte die Magna Charta die – heute würden wir sagen Gewohnheitsrechte – dieser Menschen ab. Für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse waren sie berechtigt, das Land von Adel und König zu nutzen.

Dieser Anspruch einer Gemeinde oder Gemeinschaft auf die ihr eigene Art der Umweltnutzung steckt für Ivan Illich in dem Wort Allmende. Er hat den schönen Ausdruck vom "Recht auf Gemeinheit" geprägt. Mit Gemeinheit waren bis ins frühe 17. Jh. die Nutzungsrechte und ihre Subjekte gemeint.

Die Umwandlung dieses gemeinsam bewirtschafteten Landes in Privatland veränderte alle traditionellen Beziehungen zwischen den Menschen.

„Aus der gegenseitigen Hilfe und der gemeinsamen Arbeit der Bauern wurden durch Geld vermittelte Vertrags- und Konkurrenzbeziehungen. [...] In diesem Kontext entwickelten sich die entscheidenden Institute der Marktgesellschaft, Eigentum und Vertrag. [...] Ein ausschließlich auf Eigentum und Vertrag gegründeter Markt zur Eigentumsvermehrung durch Konkurrenz verhindert prinzipiell Solidarität und Nachhaltigkeit in Produktion, Verteilung und Konsum. Ein Staat, der nur Eigentum und Verträge schützt und dem Markt freien Lauf lässt, opfert [...] zwangsläufig [...] die Bindung der Menschen an ihre natürlichen und kulturellen Lebensgrundlagen.“ (Ulrich Duchrow: Kann ein Mensch seine Mutter besitzen? In: Wem gehört die Welt S. 60-61)

Welche Schlüsse lassen sich daraus für Commons im Kontext von Armut ziehen? Zunächst einmal – und damit komme ich zur dritten Eingangsfrage – macht es einen Unterschied, ob wir von Armutsbekämpfung oder von Armutsvermeidung sprechen.

Armutsbekämpfung meint i.d.R. eine Umverteilung des (in Form von Geld vorhandenen) materiellen Reichtums – eine Forderung, die sich v.a. an den Staat richtet. Diese Forderung nach Verteilungsgerechtigkeit ist allerdings so lange nicht emanzipatorisch, wie sie von Handlungen anderer abhängig ist.

Viele Organisationen des „wider aid complex“ – wie es David McCoy gestern nannte – versuchen sich in der Bekämpfung von Armut, oder im Falle der Katastrophenhilfe der Bekämpfung von unmittelbarer Not. Nicht wenige – auch wir bei Brot für die Welt – legen Wert darauf, dass wir nicht Armut, sondern die Ursachen von Armut bekämpfen (wollen). Also die strukturellen Probleme angehen wollen. Ein Kernproblem scheint mir dabei jedoch, dass wir dieses Ziel i.d.R. mit Instrumenten verfolgen, die sich auf Staat und Markt beziehen oder aus ihnen speisen, und die mitverantwortlich sind für die Entstehung von Armut. Das berühmte Einstein-Zitat hat Thomas Gebauer bereits benutzt: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Commons – so meine These – bieten hier eine Alternative jenseits von Markt und Staat. Die Herausforderung ist: Sie sind bislang in diesem Kontext (Armut, Hilfe) – wie übrigens auch in vielen anderen Bereichen – unsichtbar. Sie führen ein Schattendasein – um das Bild von Saskia Sasse aufzugreifen – im Schatten eben jener beiden „powerful explainations“ Markt und Staat. Und diese hämmern uns beständig ein: There is no alternative! TINA. Doch das Gegenteil, und das zeigt sich in der Commons Diskussion, ist der Fall: There are plenty alternative systems! TAPAS. Auch wenn – wie in verschiedenen Beiträgen im Verlauf der Konferenz herausgearbeitet – die Finanzialisierung aller Lebensbereiche vielerorts schon bis in den letzten Winkel vorgedrungen ist, so gibt es gleichzeitig auch eine Vielzahl von Alternativen, lebendig (buen vivir) oder zumindest noch derart gut in Erinnerung, dass eine Wiederbelebung nicht unmöglich ist. Wenn Armut aus Commons Perspektive, wie ich eingangs erwähnte, in erster Linie eine Armut an Teilhabe, Zugangsrechten und Selbstbestimmung ist, dann würde das Anerkennen und Sichtbarmachen von Commons bedeuten, diesen Mangel zu bekämpfen.

Gleichzeitig können Commons aber auch als Strategie der Vermeidung neuer Armut dienen. Sie können uns helfen, „die Denkweise über unsere Probleme radikal zu verändern“ wie es Raoul Peck am Donnerstagabend anmahnte. Commons sind – das wäre meine Abschlussthese – ein neues Paradigma, also eine grundsätzliche Denkweise, eine Weltanschauung, die für ein anderes Wirtschaften, eine anderes (Zusammen-) Leben, für ein neues Verständnis von Solidarität stehen. Denn vor die Frage der Umverteilung stellen Commons die Frage nach dem Zweck – wer stellt was wozu her? Bislang gilt Wachstum als conditio sine qua non der Armutsbekämpfung. Eigentumsverhältnisse, Machtfragen und Commons (als wachstumsunabhängige und selbstbestimmte Form der (Re-)Produktion der Lebensverhältnisse), sind bislang unsichtbar. Dabei können Commons eine emanzipatorische Alternative zu bestehenden Armutsbekämpfungstrategien sein – und zwar sowohl aus Sicht des globalen Nordens (der Geber) als auch aus Sicht des globalen Südens.

 

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