„Fatal Assistance" ist der neue Dokumentarfilm von Raoul Peck über die Hilfsmaßnahmen nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti vor drei Jahren. Die Produktion wurde finanziell von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst gefördert. Der Film feierte bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin, die vom 7. bis 17. Februar stattfinden, seine Weltpremiere.
Was war Ihre Motivation den Film „Fatal Assistance“ zu drehen?
Alles begann mit einem verheerenden Erdbeben. Ein Erdbeben, dessen dritten Jahrestag wir am 12. Januar gedachten. An diesem Tag war ich in Paris. Mein Telefon fing um halb elf Uhr abends an zu klingeln und klingelte die ganze Nacht weiter. Ich begriff sofort, dass mein Leben nie mehr dasselbe sein würde, wenn ich nicht einen Weg finden würde, nach Haiti zu kommen. Ich würde nie in der Lage sein, das, was passiert ist, zu begreifen. Zwischen mir und meinen Freunden würde ein unüberbrückbarer Graben verlaufen. Ich konnte es nicht ertragen, in Paris zu bleiben.
Was haben Sie getan?
Wie viele andere, wusste ich zuerst nicht, wie man auf das, was mit uns geschah, reagieren sollte. Ich fühlte mich nutzlos. Das Chaos überall machte jede Hoffnung auf eine gemeinsame Antwort unmöglich.
Die große internationale Hilfsmaschine, die vielen Fehler und Widersprüche der haitianischen Regierung, die Invasion der Geschäftemacher aus aller Herren Länder, die mit dem Privat-Jet anreisten, die weltweiten Medienberichterstatter, die überall eindrangen, um durch beeindruckende Bilder Geldspenden zu erzeugen - all das machte jeden Versuch lächerlich, durch lokale Kräfte etwas zum Positiven zu bewegen. Wie viele Haitianer und wie die meisten meiner Freunde, halfen wir, so sehr wir konnten.
Wie kamen Sie darauf, den Film zu machen?
Der Film ist zunächst das Ergebnis, dass ich erkannte, wie ohnmächtig ich war. Nachdem wir zwei Monate alles versucht hatten der Nachbarschaft, einem Netzwerk von Freunden oder auch nur der eigenen Familie ohne Erfolg zu helfen, waren wir erschöpft.
Im Gegensatz zu einigen meiner Freunde, deren einzig verbliebene Möglichkeit es war, sich in ihr persönliches Leid zurückziehen und sicherzustellen, von Tag zu Tag zu überleben, hatte ich wenigstens das Privileg, einen Film machen zu können, um zu erzählen, was geschah.
Der Film erlaubt einen weitaus subtileren Blick auf Haiti als das, was wir normalerweise von diesem Land zu sehen bekommen. Wollten Sie einen anderen Blickwinkel in Bezug auf Haiti eröffnen?
Dieser Film versucht einen vielfältigen, subtileren, widersprüchlichen Blickpunkt einzunehmen, als all die Albernheiten über Entwicklungshilfe, über Haiti und über die vielfachen Opfer eines Fluches. Denn hinter dem "Fluch" kann man eindeutig Politiker und Strategien identifizieren. Alle grundlegenden Fehler sind schon international identifiziert: Wenn die Hilfswerke ihre selbst gegebenen Regeln befolgen würden, wäre die Hälfte der Arbeit schon getan.
Beispiele gibt es zuhauf: sehen sie sich die „Paris Declaration on Aid Effectiveness“ von 2005, die „Accra Agenda for Action“ von 2008 oder auch die OECD-Resolutionen über das internationale Engagement in fragilen Staaten von 2007. Alle diese Empfehlungen (dem Land nicht schaden, das unterstützt wird; die Stärkung des Staates als grundlegendes Ziel; zu erkennen, dass zwischen politischen Zielen, sicherheitsrelevanten Zielen und Entwicklungszielen Beziehungen bestehen und so weiter) blieben ungehört. Das Ergebnis ist eine Katastrophe nach der anderen.
In Haiti wurde das Land in den ersten paar Wochen mit Lebensmitteln, Spenden, Schiffsladungen von Wasser und anderen Nahrungsmitteln überflutet, auch wenn es möglich gewesen wäre, alles im Land zu kaufen und der lokalen Produktion zu helfen, die das bitter nötig gehabt hätte. Aber das würde mehr Zeit, mehr Geduld und mehr Aufwand erfordern.
Denn natürlich gibt es jede Menge technischer, administrativer und logischer Gründe, um dieses angeblich "effizientere" Handeln zu erklären. Aber effizienter für wen? Und nach welchen Kriterien? Denjenigen des Gebenden oder denjenigen des Empfängers?
Haiti, eines der ärmsten Länder des amerikanischen Kontinents, hat einmal Reis exportiert, aber ist heute der fünftgrößte Importeur von amerikanischen Reis? Wer hilft eigentlich wem? US-Hilfe wird weitgehend durch Unternehmen geleistet, die ständig Lobbyarbeit bei der US-Regierung und dem Parlament betreiben.
Ihr Film wird wahrscheinlich vielen Hilfsorganisationen nicht gefallen.
Es muss möglich sein über das, was für alle ehrlichen Beobachter klar ist, zu sprechen: Es funktioniert nicht! Und das Problem kann nicht ausschließlich der haitianischen Regierung zur Last gelegt werden oder den Ländern, in denen Katastrophen eintreten, die unfähig sind, der Lage Herr zu werden. Es ist völlig richtig: der Film wurde entwickelt, um eine Diskussion anzustoßen.
Bevor ich Filmemacher wurde, studierte ich Entwicklungspolitik. Meine Abschlussarbeit war teilweise den Auswirkungen der Entwicklungs-"Heilmittel" gewidmet, die in Ländern der Dritten Welt angewendet werden.
„Fatal Assistance“ ist ein Plädoyer dafür, die Tatsachen klar zu benennen. An der Realität orientiert die Idee zu akzeptieren, dass teure und zerstörerische Erfahrungen immer wieder Wiederholt werden dürfen. Dass beiderseitige Fehler akzeptiert werden müssen, anstatt an hartnäckigen Vorwürfen festzuhalten, wenn man mit einem fortgesetzten Scheitern konfrontiert wird. Und vielleicht, nur vielleicht, könnten wir dann anfangen, darüber nachzudenken, wie Lösungen aussehen können, die für jedermann akzeptabel sind.
Ihr Film zeigt eine ganze Reihe von Fehlern auf, die die internationalen Hilfsorganisationen nach dem Erdbeben in Haiti gemacht haben. Welche Fehler hätten vermieden werden können?
Die Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Es gibt leider keinen "quick fix". Der größte Fehler, den die Geldgeber immer wieder machen, die Illusion das man Schäden "schnell" und gezielt reparieren könnte. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern.
Es gibt so viele Fehler wie es Organisationen gibt. Persönliche Fehler, sektoriell bedingte Komplikationen und so weiter. Mich interessieren aber vor allem die strukturellen Fehler. Viele Fehler entstehen dadurch, dass vieles, was in den Zentralen der Organisationen geplant wird, im Gebiet des Einsatzes nicht funktioniert. Es gibt Fehler in der Prioritätensetzung, in der Koordination natürlich. Und ich frage mich langsam, ob nicht schon in der Vision, die die Teilnehmer vom Ziel des Einsatzes haben, die Fehler angelegt sind.
Welche Rolle spielt die Filmförderung durch europäische Fernsehsender wie Arte oder durch Organisationen wie Brot für die Welt/EZEF für einen Dokumentarfilm wie „Fatal Assistance“?
Wir haben von Anfang an daran gedacht, zwei volle Jahre lang den Wiederaufbau auf Haiti zu dokumentieren. Solch ein Filmprojekt ist allein wegen seiner langen Dauer selten und schwer zu finanzieren. ARTE, unsere größten Unterstützer, hatte sich entschlossen, dieses Projekt von der Konzeption an zu unterstützen. Außerdem unterstützte uns der Sender bei der Suche nach zusätzlichen Mitteln. Aber auch die Unterstützung vom EZEF / Brot für die Welt oder vom Fonds Sud Cinéma zum Beispiel beim Vertrieb ist wichtig und entscheidend.