Bei der WTO-Ministerkonferenz im indonesischen Bali ist ein Kompromiss in greifbare Nähe gerückt. Aus Delegationskreisen verlautete, Indien und die USA hätten sich in der umstrittenen Frage der Ernährungssicherheit geeinigt. Am Freitag Abend legte der brasilianische WTO-Chef Roberto Azevêdo ein Kompromissvorschlag vor.
Eine Zustimmung der Delegationen aus den 160 Mitgliedsstaaten zu einer Einigung über das sogenannte Bali-Paket werde aber erst in am frühen Samstagmorgen erwartet. Nach vier langen Verhandlungstagen bestehen damit gute Chancen für den Abschluss eines ersten multilateralen Freihandelsabkommen seit Beginn der Doha-Runde im Jahr 2001.
Indien beharrt darauf, dass sein Programm zur Ernährungssicherheit mit staatlich festgelegten Preisen für Käufe und Verkäufe nicht unter das bisher gültige Subventionsverbot der WTO fallen dürfe. Industriestaaten, aber auch einige Schwellenländer sehen darin marktverzerrende Subventionen, die ihre Exporte beeinträchtigen und auch den inländischen Markt beeinflussen könnten. Der Kompromiss bezieht sich auf die Formulierung der sogenannten Friedensklausel, derzufolge Indiens Subventionen für Grundnahrungsmittel nur während der nächsten vier Jahre sanktionslos wären.
Die Einigung beinhaltet nur ein sehr begrenztes Entgegenkommen gegenüber der indischen Forderung. Die Ausnahmeregelung, die Subventionen für Agrarprodukte erlaubt, betrifft lediglich schon laufende Programme zur Ernährungssicherung. Damit wären ähnliche Initiativen anderer Staaten ausgeschlossen. Zudem würde das indische Programm strengen WTO-Kontrollen unterworfen, um zu verhindern, dass subventionierte Produkte in Nachbarstaaten zu Billigpreisen verkauft werden.
Bezüglich der vierjährigen Friedensklausel, die Indien bisher als zu kurzen Zeitrahmen ablehnte, wird hinzugefügt, dass bis zur 11. WTO-Konferenz 2017 eine definitive Lösung gefunden werden muss. Sollte dies nicht gelingen, hänge es laut NGO-Beobachtern von der jeweiligen Interpretation ab, ob die Interimslösung verlängert wird oder nicht.
Biraj Patnaik von dem indischen NGO-Netzwerk „Right to Food Campain“ bezeichnete den Kompromiss als unzureichend. „Bei dem Tauziehen ist die Ernährungssicherheit auf der Strecke geblieben.“ Zwar habe Indien durchgesetzt, dass es sein Programm zur Hungerbekämpfung fortsetzen darf. „Dass die WTO jedoch verbietet, dass weitere Länder ebenfalls durch staatliche Maßnahmen gegen Hunger und Unterernährung vorgehen, ist eine Bankrotterklärung des Freihandels,“ kritisierte Patnaik.
Mit dem Kompromiss zur Nahrungsmittelsubventionen ist auch der letzte von zehn Texten des Bali-Pakets den Delegierten zur Abstimmung vorgelegt worden. Die einzelnen Bestimmungen treten erst nach der Zustimmung zu allen Einzelthemen in Kraft. Trotz der optimistischen Stimmung und breiter Unterstützung für die Verhandlungsführung des brasilianischen WTO-Chefs Roberto Azevêdo ist ein Scheitern der Konferenz immer noch möglich.