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Eine Welt ohne Hunger ist keine Utopie. Packen wir’s an!

Über 25.000 Menschen sind in Berlin für eine nachhaltige Agrarpolitik auf die Straße gegangen. Unter dem Motto „Wir haben es satt“ haben sie zum Auftakt der „Grünen Woche“  gefordert, weltweit unter fairen Bedingungen gesunde Lebensmittel zu erzeugen. „Wir haben es satt, dass andere hungern. Wir haben es satt, dass die Früchte bäuerlicher Arbeit nicht allen zugutekommen“, sagte Klaus Seitz, Leiter der Politikabteilung von Brot für die Welt.

 

Von Dr. Klaus Seitz am

Liebe Freundinnen und Freunde,

eine beeindruckende Schar aufrechter Mitstreiterinnen und Mitstreiter ist heute zusammengekommen, um ein machtvolles Zeichen zu setzen: wir treten ein für den Wandel, für eine andere Agrarpolitik. Für eine Agrarpolitik, die die  natürlichen Lebensgrundlagen schützt und die Ernährung sichert, hier und anderswo. Habt herzlichen Dank für Euer Kommen und Eure Tatkraft!

Als Vertreter der Entwicklungsorganisationen, die diese Demonstration mit unterstützen, bleiben mir nur wenige Minuten, um einen Blick auf die weltweite Dimension unseres Anliegens zu werfen: die bäuerliche Landwirtschaft zu stärken. Aber diese Minuten haben es in sich: Wenn ich hier gleich wieder von der Bühne abtrete, werden fast 100 Menschen in den ärmeren Ländern dieser Welt einem qualvollen Hunger erlegen sein, bis zum Ende unserer Kundgebung am Bundeskanzleramt sind laut Statistik rund 4000 Hungertote zu beklagen: Menschen, die lang, bevor ihre Zeit gekommen ist,  einen vermeidbaren Hungertod sterben. Jeder siebte Mensch auf diesem reichen Planeten leidet Hunger – und das in einer Welt, die mehr als genug Nahrungsmittel für jeden und jede bereitstellt. Wir haben es satt, dass andere hungern! Wir haben es satt, dass die Früchte bäuerlicher Arbeit nicht allen zugutekommen.

Vor fast 40 Jahren hat die weltweite Staatengemeinschaft  in Rom ein Versprechen abgegeben.   Bis Ende des Jahrzehnts – wohlgemerkt, es war die Rede von den siebziger Jahren – sollte kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen  und keine Familie mehr um das Brot für den nächsten Tag zittern. Doch seitdem hat sich die Zahl der Kinder, die hungrig zu Bett gehen, weiter dramatisch erhöht.

Denn die Wege, die eingeschlagen wurden, um das Hungerproblem anzugehen, führten in die Sackgasse. Statt die bäuerliche Landwirtschaft zu fördern, setzte man auf industrielle Massenproduktion, auf eine hochtechnisierte Grüne Revolution. Anstatt die Ernährungssouveränität zu stärken, verschrieb man sich den Heilsversprechen der Weltmärkte und vernachlässigte die ländlichen Räume.

Wir sind hier auch zusammengekommen, um an das Versprechen von Rom zu erinnern und dafür, einzutreten, dass es Wirklichkeit wird. Doch dafür braucht es eine fundamental neue Agrarpolitik, eine sozial-ökologische Agrarwende, die den sorgsamen Umgang mit der Natur und die gerechte Verteilung der produktiven Ressourcen in den Mittelpunkt rückt.

Der Hunger in der Welt muss auch heute wieder dafür herhalten, die Exportoffensive des Agrobusiness zu rechtfertigen und die Mähr vom allein seligmachenden Weltmarkt zu beschwören. Deutschland ist der drittgrößte Agrarexporteur der Welt, die Exporte haben neue Rekordhöhen erzielt, und stolz wird verkündet: Deutschland Bauern ernähren die Welt. Dabei wissen wir längst, dass die Exporte von gefrorenen europäischen Hühnchenteilen oder von Magermilchpulver in vielen Entwicklungsländern die Märkte der einheimischen Produzenten zerstören und damit die Ernährungssicherung untergraben.

Der Weltmarkt ist gerade kein Garant für eine zukunftsfähige Ernährungssicherung, sondern eine Hungerfalle. Viele arme Länder wurden zur Marktöffnung gezwungen und haben sich heute von Agrarexporteuren zu Lebensmittelimporteuren gewandelt, die auf Gedeih und Verderb dem Angebot und den Preissprüngen auf dem Weltmarkt ausgelifert sind.

Und dann ist da noch die Kehrseite unserer Exporterfolge: denn wir in Deutschland sind gleichzeitig der drittgrößte Agrarimporteur der Welt, beziehen Unmengen an Futtermitteln und an agrarischen Rohstoffen aus  Übersee, die unsere Exporterfolge erst möglich machen. Mehr als 17 Millionen Hektar werden in Übersee allein für den europäischen Bedarf an Soja für die Fleisch- und Milchproduktion beansprucht – auf Kosten der heimischen Nahrungsmittelerzeugung und der Natur. Wer ernährt hier wen?

Bei der jetzt anstehenden Reform der Europäischen Agrarpolitik ist unter allen Umständen darauf zu achten, dass diese schädlichen Auswirkungen unserer Landwirtschaftspolitik auf die Ernährungssicherung in armen Ländern unterbunden werden.

Die Welternährung lässt sich weder über den Weltmarkt, noch über die Agrarindustrie sicherstellen. Nur eine bäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft wird die Welternährung sichern können. Die Hungernden können sich selbst ernähren, wenn man sie nur lässt. Von Hunger bedrohte Menschen brauchen nicht Nahrungsmittelhilfe oder gefrorene Hühnerflügel aus deutscher Produktion, sie brauchen Zugang zu fruchtbarem Land, Spielräume, um für sich und ihre Familien ein Stück Erde bewirtschaften zu können, die Möglichkeit, ihre Produkte auf lokalen Märkten zu verkaufen. Sie brauchen Gerechtigkeit.

Daniele Schmidt Peter von einer unserer Partnerorganisationen aus Brasilien wird nachher bei der Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt berichten, wie Arme den Armen helfen, wie Bäuerinnen und Bauern Lebensmittel aus regionaler Produktion für Schulspeisungsprogramme bereitstellen. Lokal produzieren, lokal vermarkten, nachhaltig wirtschaften: Beispiele aus aller Welt zeigen: es geht auch anders.

Es ist großartig, heute zu erleben, dass Umwelt-, Bauern-, Verbraucherverbände  und Entwicklungsorganisationen, aber auch Bäuerinnen und Bauern aus Nord und Süd  an einem Strang ziehen: wir lassen uns nicht als Konkurrenten auf Märkten ausspielen, sondern treten als Verbündete auf: Weil wir ein gemeinsames Anliegen haben, unseren Familien ein ordentliches Auskommen zu ermöglichen, gesunde Nahrungsmittel zu erzeugen und die Fruchtbarkeit unseres Landes für unsere Nachkommen zu erhalten.

Eine Welt ohne Hunger ist keine Utopie. Packen wir’s an!

 

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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