Im Jahr 2009 verabschiedete die äthiopische Regierung die „Charities and Societies Proclamation no. 621/2009“. Diese Gesetzgebung für zivilgesellschaftliche Organisationen gilt seitdem als ein Muster für legislativ abgesicherte Repression. Adem Abebe vom Center for Human Rights beschreibt dies als den Wechsel von „rule OF law“ zu „rule BY law“. Ende 2012 entschied die Heinrich-Böll-Stiftung, ihr Büro in Addis Abeba zu schließen.
Dies war Anlass für Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, ein internes Fachgespräch mit Vertreterinnen und Vertretern aus den verschiedenen Regionalbereichen zu führen. Der Entscheidung waren, so Patrik Berg, der Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Äthiopien, intensive Debatten voraus gegangen, wo die „rote Linie“ gezogen werden müsse, nach welchen Kriterien eine solche Linie definiert werden könne und welche Handlungsoptionen bei Erreichen der „roten Linie“ noch offen stehen.
Solche Diskussionen werden Organisationen künftig öfter führen müssen. Denn die äthiopische Gesetzgebung dient anderen Regierungen als Muster für eigene Gesetzgebungen. Immer stärker setzt sich der Trend durch, Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftliche Akteure nur noch als Dienstleister und Auftragnehmer zu sehen. Sie sind willkommen, wenn es darum geht, Lücken im Regierungshandeln vor allem im Bereich der sozialen Fürsorge und Wohlfahrt zu schließen. Eigenständiges Handeln, Mitgestaltung der Gesellschaft, kritische Begleitung der Entscheidungen und des Handelns staatlicher Organe ist nicht mehr gefragt.
Die Sicherung von Herrschaft durch das Gesetz – „rule by law“ – ist nach Adem Abebe weltweit gerade für repressive Regime eine „reizvolle Option“, den eigenen Machtanspruch mit auf den ersten Blick legalen Mitteln gegen oppositionelle Meinungen abzusichern. Dies wird auch von ACT international, einem weltweiten Zusammenschluss von 130 kirchlichen Entwicklungsorganisationen bestätigt. In ihrem Bericht Shrinking Political Space of Civil Society Action dokumentiert ACT den weltweit zu beobachtenden Trend, mit „Knebelgesetzen“ den Handlungsraum einer eigenständigen Zivilgesellschaft einzugrenzen oder ganz zu schließen. „Eine starke, lebendige und frei agierende Zivilgesellschaft ist unentbehrlich für nachhaltige und breitenwirksame Entwicklung und für den Schutz der Menschenrechte“, argumentiert dagegen die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung in einem Bericht, in dem sie ähnliche Beobachtungen dokumentiert.
Die äthiopische Gesetzgebung sei ein Musterbeispiel, so Abebe, die „Ideologie der herrschenden Partei“ in administrative Anforderungen und Standards zu übersetzen und über ein quasi demokratisch legitimiertes Verfahren in Gesetze und Verordnungen zu gießen. Der auf den ersten Blick formal korrekte Weg der Gesetzgebung verschleiere im Fall Äthiopien, dass damit grundlegende Werte der Verfassung außer Kraft gesetzt werden. Die eigentliche Repression erfolgt, so bestätigten Teilnehmende an dem Fachgespräch, meist weniger durch das Gesetz selbst, sondern durch Durchführungsbestimmungen und Verwaltungsanordnungen.
Dieser Trend wird international durch zwei Faktoren unterstützt. Zum einen neigen Akteure der internationalen Gemeinschaft dazu, formale Aspekte eines Herrschaftssystems isoliert zu betrachten. Selten wird geprüft, wie zum Beispiel in der Verfassung festgeschriebene Verpflichtungen auf die internationalen Menschenrechtskonventionen sich in der Gesetzgebung oder gar in Verwaltungsanordnungen niederschlagen. Zum anderen leistet der Trend in der internationalen Diskussion, Entwicklungszusammenarbeit hauptsächlich als technisch-bürokratisches Handeln zu definieren, das dazu führen soll, quantitativ definierte Ziele zu erreichen, dem Interesse der Herrschaftssicherung Vorschub.
Der Beitrag erschien zuerst in FriEnt-Impulse 01/02-2013.