Die geringe Chance, die gewaltsame Konfliktbearbeitung durch eine zivile Option zu ersetzen, ist nicht ohne Spuren auf das Handeln vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen geblieben. Dies zeigte sich im Mai auch bei einem Treffen in Bogotá, als sich kolumbianische Partnerorganisationen des EED über die Bedeutung der Förderung von Frieden für ihre Arbeit austauschten. Aus den Reaktionen auf die Fragen, wie sie zur Schaffung von Frieden beitragen wollen und welches Gewicht sie darauf aufbauend der Friedensförderung in ihren Programmen einräumen, wurden Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Herausforderungen für die nahe Zukunft sichtbar.
Auffällig war, dass keine Organisation politischen Verhandlungen zur Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen größere Aufmerksamkeit schenkt – unabhängig davon, ob eine Organisation die Erreichung von Frieden zu ihrer institutionellen Aufgabe zählt, sie als strategischen Ansatz sieht oder als eine Handlungslinie. Viele betonen zwar öffentlich die Notwendigkeit eines politischen Wegs aus der Gewalt – aber ob und wie sie diesen mitgestalten wollen, bleibt offen. Sicher ist nach den Erfahrungen von 2002 nur, dass die Zivilgesellschaft über eine politische Agenda verfügen muss, an der sie Verhandlungen zwischen Staat und Guerilla daraufhin „messen“ kann, ob sie zu einer dauerhaften Konfliktbearbeitung führen oder nur zu einem „negativen Frieden“.
Der „positive Frieden“ ist dagegen der zentrale Referenzpunkt aller Organisationen. Er spiegelt wieder, dass grundlegende Veränderungen in Kolumbien nicht von politisch ausgehandelten Kompromissen der zu Gewalt fähigen und bereiten Akteure erwartet werden, sondern eher von einem politischen und gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Demokratie, Rechtssicherheit für alle Bürger, dem Abbau autoritärer und diskriminierender Einstellungen und für zukunftsfähige Entwicklung. Je nach Organisation und Kontext werden unterschiedliche Schwerpunkte zur Bearbeitung der vielfältigen Ursachen der Konflikte in Kolumbien gesetzt: bei der Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen, der Gewährleistung der Menschenrechte, bei der Umsetzung von Politik, die soziale Inklusion fördert, oder bei der Förderung einer Friedenskultur. Einige Organisationen setzen auf die Schaffung regionaler Friedensperspektiven, andere auf die Arbeit mit den Opfern der Konflikte.
Differenzen bestehen darüber, was prioritär sein sollte, wie das Verhältnis zwischen lokaler und nationaler Ebene zu gestalten ist oder zwischen der Förderung neuartiger kommunitärer Prozesse und dem Einsatz für strukturell-institutionelle Reformen. Wichtig war den Organisationen bei dem Treffen, dass untereinander, aber auch vom EED die Vielfalt der Beiträge zum Frieden und des Wertes lokaler Erfahrungen anerkannt wird. „Frieden im Plural“, so wurde allerdings auch deutlich, erfordert die Bereitschaft, permanent und inter-institutionell über Veränderungshypothesen und strategische Festlegungen zu reflektieren und das eigene Handeln unter mittel- und langfristigen Gesichtspunkten zu überprüfen.
Wolfgang Kaiser
Der Artikel erschien zuerst in FriEnt Impulse 07/12.