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Rio+20: Scheitern nicht mehr unmöglich

Von Ehemalige Mitarbeitende am

Von 329 noch 259 Artikel strittig, dabei grundlegende Differenzen in den Hauptthemen Green Economy, UN-Strukturen und Nachhaltigkeitszielen – ein Scheitern scheint zweieinhalb Wochen vor dem Rio+20-Gipfel nicht mehr unmöglich.

Dies lässt sich einem Bericht des Exekutiv-Direktors des Genfer South Centers, Martin Khor, entnehmen, der heute Morgen über die EED-Partnerorganisation Third World Network verbreitet wurde. Demnach endeten die letzten Verhandlungen in New York mit einem enttäuschenden Ergebnis. Über drei Viertel der Rio+20-Erklärung sind noch umstritten. Offiziell stehen mit dem letzten Vorbereitungskomitee und der eigentlichen Konferenz (wo man plante, das Ergebnis zu feiern) nur noch sechs Verhandlungstage zur Verfügung.

Zum Kern des Konfliktes gehören die 1992 in der Erklärung von Rio verabschiedeten Prinzipen einer nachhaltigen Entwicklung, vor allem das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung. Dieses Prinzip besagt, dass alle Länder eine gemeinsame Verantwortung für den Planeten Erde tragen, die Industrieländer jedoch eine besondere Verantwortung haben, weil vor allem sie im Laufe ihrer Industrialisierung zum jetzigen Zustand von Umwelt und Ökosystemen beigetragen haben. Daraus erwächst für diese Länder die Verpflichtung, die ihnen zur Verfügung stehenden Technologien und Finanzmittel für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen.

Davon wollen die Industrieländer aber heute nichts mehr wissen. Während sie die Position vertreten, in der Rio+20-Erklärung einmal in allgemeiner Weise die Rio-Prinzipien zu würdigen und es dann dabei zu belassen, drängen die Entwicklungsländer darauf, insbesondere das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zu operationalisieren, also mit Blick auf konkrete Fragestellungen wirksam zu machen.

Beispiel Technologietransfer: Zumindest auf der politischen Ebene wurde die Notwendigkeit des Technologietransfers bislang immer anerkannt und mitunter etwa mit dem Zusatz versehen, dass dieser zu fairen und möglichst präferentiellen Bedingungen zu erfolgen habe. Davon rücken die Industrieländer in Rio nun offenbar ab. Sie wollen ihre Verpflichtung zum Technologietransfer auf Freiwilligkeit umstellen und statt von präferentiellen nun nur noch von gegenseitig vereinbarten Bedingungen sprechen. Einen Vorschlag der Co-Chairs, also der Vorsitzenden der Verhandlungen, die Auswirkungen des Patentsystems auf den Technologietransfer zu prüfen, lehnten sie rundweg ab.

Gleichfalls verweigern Kanada und die USA einem Passus die Zustimmung, der das 0,7%-Ziel (Industrieländer sollen 0,7% ihres Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfe bereitstellen) noch einmal (zum gefühlten 3000. Mal) festklopfen soll. Alle Industrieländer lehnen einen Vorschlag der Entwicklungsländer ab, demzufolge sie in den Jahren 2013 bis 2017 30 Milliarden US-Dollar jährlich und ab 2018 100 Milliarden US-Dollar jährlich zur Verfügung stellen sollen. Man mag argumentieren, dass Geld in den Zeiten der Finanzkrise besonders knapp ist. Wenn man allerdings sieht, wie viele Mittel für Rettungsschirme und die Stabilisierung von Banken zur Verfügung stehen, so ist schon bemerkenswert, wie wenig es den Regierungen der Industrieländer wert ist, in globale Umweltpolitik und Armutsbekämpfung zu investieren.

Die EU erweist sich dabei in Fragen von Finanzierung nachhaltiger Entwicklung und Technologietransfer keineswegs als Musterknabe. Es bleibt schleierhaft, wie die Strategen in Brüssel und Berlin glauben, den Entwicklungsländern begreiflich machen zu können, dass aller Reichtum bei uns bleibe, die anderen aber für die gesamte Menschheit ihre Ökosysteme schützen sollen. Den vielen Millionen Armen in Brasilien etwa klarzumachen, dass sie den Amazonas wegen seiner Bedeutung für das Weltklima und für die biologische Vielfalt nicht abholzen dürfen und ihnen gleichzeitig erklären, dass sie für den Zugang zu (umweltfreundlichen) Technologien in harter Währung zu bezahlen hätten und ansonsten auch kein Geld fließe – das dürfte eine Herkulesaufgabe sein, an der auch noch so ausgeklügelte Verhandlungsstrategien scheitern könnten.

So zitiert Martin Khor in seinem Beitrag die Perspektive eines Delegierten aus einem Entwicklungsland. Demnach hält der Norden für den Süden über die Green Economy und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Developement Goals, SDGs) neue Aufgaben bereit. Er will dafür aber für den Süden weder mehr Mittel zur Verfügung stellen noch einen besseren Zugang zu Technologien gewähren.

Berlin ist dringend aufgefordert, einen Weg aus dieser Sackgasse zu weisen. Nicht nur in der Eurokrise, auch in der Lösung der globalen Umwelt- und Entwicklungskrise ist eine Führungsrolle Deutschlands und der Kanzlerin gefragt. Angesichts des Verhandlungsstandes sollte letztere auch noch einmal ihre Position überdenken und kurzfristig entscheiden, aus ihrer Deckung herauszukommen und in Rio Flagge zu zeigen.

 

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