Trujillo liegt gerade mal hundert Kilometer von Kolumbiens Metropole Cali entfernt, aber man hat das Gefühl, dass Welten zwischen den beiden Orten liegen, so unwirklich erscheinen die grausamen Geschichten. Gewalt bestimmt aber auch weiterhin das Leben vieler Menschen in dem südamerikanischen Land, und viele kollektive Wunden – wie die von Trujillo – sind längst nicht verheilt.
Die Filmreihe "Derecho a Ver", in deren Rahmen die Vorführung in Cali stattfand, will die Erinnerung an vergangenes Unrecht aufrechterhalten und auf die anhaltend schwierige Situation der Menschenrechte in Kolumbien aufmerksam machen. Derecho a Ver ("das Recht zu sehen") ist ein Gemeinschaftsprojekt der Menschenrechtsorganisation "Compromiso" und "Making Docs", einem Zusammenschluss von Dokumentarfilmern, das vergangenes Jahr mit Unterstützung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) ins Leben gerufen wurde. Insgesamt 24 Dokumentarfilme beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven die verschiedenen Facetten der alltäglichen und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien.
„Durch die Verbindung von Menschenrechtsarbeit und Film wollen wir ein neues Publikum schaffen und dies für das Thema Menschenrechte sensibilisieren“, erklärt Diana Kuellar, die als Dozentin im Bereich Soziale Kommunikation an der Universität Cali arbeitet. An ihrem Seminar entstand vor einem Jahr auch die Idee für 'Derecho a Ver'. Bertram Doll, der als Friedensfachkraft für den EED bei Compromiso arbeitet, hatte dort einen Kurs für zukünftige Filmemacher besucht und kam so in Kontakt mit den Leuten von Making Docs. „Die Welt der Filmemacher und des Kinos spielt oft in der Fiktion und ist abgelöst von der kolumbianischen Realität. Die Welt der Menschenrechtsorganisationen wiederum bleibt oft unter sich, die dort geführten Diskussionen erreichen leider selten andere Teile der Gesellschaft“, erklärt Doll. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Sektoren soll dies nun ändern.
Ende vergangenen Jahres machte die Filmreihe in den Städten Bucaramanga, Bogotá und Cali Halt. Der Großteil der Vorführungen wurde von Gesprächen mit Filmemacherinnen und Experten begleitet, damit die Leute „nicht nur passiv konsumieren, sondern selber aktiv werden und sich austauschen“, wie Kuellar betont. Dieser Austausch soll jedoch nicht nur in den geschützten Stadtzentren stattfinden, sondern auch dort, wo die Betroffenen des Konfliktes leben. „Es geht uns auch darum, dass 'Recht zu sehen' für die Leute durchzusetzen, die es sonst nicht haben“, erklärt Helena Sala von Making Docs. So waren alle Vorführungen gratis und die Filme wurden auch in die konfliktreichen Viertel am Stadtrand gebracht, in denen Armut und Bandenkriege den Alltag der Menschen beherrschen.
Durch 'Derecho a Ver' wurde hier kurzerhand die Straße zum Kino. Die meisten Bewohner dieser Siedlungen gehören zu den über vier Millionen Binnenflüchtlingen in Kolumbien, den 'desplazados'. Sie flohen vor Gefechten zwischen den diversen bewaffneten Gruppen oder dem Terror der Paramilitärs, die sie im Auftrag kolumbianischer Unternehmer und multinationaler Firmen von ihrem Land vertrieben. Der Konflikt um Land ist auch das verbindende Element der Filme: „Sie behandeln die unterschiedlichsten Regionen und Fälle. Aber zugleich zeigen sie, dass ein großer Teil der Menschenrechtsverletzungen die gleiche Ursache hat: es geht um Land und Ressourcen“, erzählt Doll, der bei der EED-Partnerorganisation Compromiso in Bucaramanga schon seit vielen Jahren mit 'desplazados' zusammen arbeitet.
Über achtzig Vorstellungen an über zwanzig verschiedenen Orten fanden im Rahmen von 'Derecho a Ver' statt, viele lokale Medien berichteten darüber. Die zweite Filmreihe ist bereits in Planung, diesmal als binationales Projekt mit Ecuador. „Die Filmreihe war für uns so was wie ein Startschuss, und sie war ein voller Erfolg. Daran wollen wir nun anknüpfen“, so Bertram Doll. Die Fälle, über die es sich zu berichten lohnt, werden in dem von Gewalt und Armut zerrütteten Land leider nicht weniger.
Von Thorsten Mense
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