Der alle überraschende Durchbruch in Rio ist nicht eingetreten, das Abschlussdokument muss als visions- und ambitionslos beizeichnet werden. Unsere Weltgemeinschaft scheint nicht über die entsprechenden Strukturen zu verfügen, um den globalen Herausforderungen des Klimawandels und ungerechter Verteilungsstrukturen in einem hinreichend partizipativen Prozess aller Nationen gerecht zu werden.
Der rigorosen brasilianischen Verhandlungsführung ist es zwar gelungen, ein fast 50-seitiges Dokument zu verfassen, mit dem alle Nationen offensichtlich leben können – die Frage muss aber erlaubt sein, ob auch unsere Nachfolgegenerationen „damit leben können“ oder ob sie ihren Vorfahren nicht vielmehr die verpassten Chancen zur Rettung unseres so lebenswerten Planeten um die Ohren hauen werden.
Das Abschlussdokument sollte es offensichtlich jedem recht machen. Sobald während der Vorbereitungssitzungen eine Nation einen Einwand brachte, wurde die entsprechende Passage entweder abgeschwächt oder einfach komplett gestrichen. Die Vertretungen der EU hatten unter diesen Vorzeichen nichts zu lachen, angeblich führte die brüske Verhandlungsführung der Brasilianer fast zum vorzeitigen Ende des Gipfels. Die Verhandlungsposition der Europäer war zudem denkbar ungünstig, nachdem wenige Tage vorher die Schwellenländer um Geldzusagen zur Euro-Rettung angebettelt werden mussten. Entsprechend konnte die von der EU angestrebte Aufwertung des UN-Umweltprogramms nicht durchgesetzt werden. Ob die Europäer bei Verhandlungsthemen wie „grünem Technologietransfer“ den Entwicklungsländern großzügig entgegen gekommen sind, bleibt allerdings auch zu bezweifeln. Unter diesen Rahmenbedingungen ist es kaum verwunderlich, dass ein Aufschrei oder ein „kein weiter so wie bisher“ ausbleiben musste.
Zwei Kernbegriffe aus dem Dokument standen aus entwicklungspolitischer Sicht unter besonderer Beobachtung:
- “Green Economy” wird im Abschlussdokument als ein relevantes Werkzeug für nachhaltige Entwicklung und Armutsbeseitigung verstanden. Hier war es wohl den Entwicklungsländern der G77-Gruppe wichtig, dass von den Industrieländern weder Inhalte noch einschränkende Regeln vorgegeben werden sollten. Bemerkenswert ist allerdings, dass hier nicht marktliberale Instrumente in den Vordergrund gerückt werden, sondern soziale Teilhabe, menschliches Wohlergehen und Schaffung von anständigen Arbeitsmöglichkeiten.
- „Sustainable Development Goals“ (SDGs) – also nachhaltige Entwicklungsziele – sollen für alle Nationen formuliert werden, nachdem die Millennium Development Goals (MDGs) nur die Entwicklungsländer im Blick gehabt hatten. Eine vernünftige Bewertung der MDGs im Jahr 2015 bleibt möglich und die befürchtete Überlagerung der MDGs durch die SDGs scheint gebannt. Wie die Ziele allerdings konkret aussehen sollen, bleibt im Dunkeln. Was uns als Defizit anmuten mag, bezeichnen einige Süd-NGOs als Erfolg: den Entwicklungsländern werden nicht neue, zu verfolgende Ziele aufoktroyiert, vielmehr sollen die SDGs in einem Prozess von 30 staatlichen Repräsentanten erarbeitet werden. Das Misstrauen einiger Entwicklungsländer den Industrieländern gegenüber scheint groß zu sein. Sollten im vorletzten Entwurf noch „Experten“ die Ziele erarbeiten, sind es nun „Repräsentanten“. Wurden Entwicklungsländer vielleicht einmal zu oft von sogenanntem westlichem Expertenwissen übervorteilt?
Neben vielen anderen Themen enthält das Abschlussdokument einige Arbeitsaufträge und noch mehr Anregungen. Bei aller Enttäuschung wegen fehlender konkreter Absprachen oder gar eines ausgearbeiteten Fahrplans wäre es falsch, jetzt verzweifelt zu resignieren. Vielmehr müssen jetzt mutige Regierungsvertretungen Koalitionen der Engagierten schmieden, um doch noch positive und dynamische Bewegungen entstehen zu lassen. Dazu müssen die Zivilgesellschaften in vielen Ländern noch mehr Druck auf ihre Regierungen ausüben.
Hier kann die Kirche als globale Institution oder besser: durch die weltweit vernetzten Christinnen und Christen jenseits von Zugehörigkeiten zu G8, G77 oder BRICS konstruktive Wege zu einem neuen Geist der Zusammenarbeit aufzeigen. Und: wir müssen bei uns selbst umso härter arbeiten, denn – so ein NGO-Vertreter aus dem Süden – „the leader has to show the way“. Solange im Norden eine Familie drei Autos besitzt, kann er nicht verhindern, dass jeder Inder, Chinese oder Lateinamerikaner ein Auto haben möchte.
Der Himmel ist grau über Rio, heute beginnt der Winter.