Die meisten Feste in Indien haben einen religiösen Ursprung und durch die Vielfalt an Religionen hier gibt es eine unübersehbare Zahl an Festen und Feiertagen. Es ist daher ziemlich verwunderlich, dass ich neben den christlichen Festen alle weiteren Feierlichkeiten noch an einer Hand abzählen kann; mal abgesehen von den täglichen Feuerwerken zu Ehren irgendeiner Hochzeit...
Das erste große Fest, dass nicht an mir vorbeigegangen ist war das, ende Oktober beginnende 5-tägige „Divali“, das Lichterfest. Der historische Hintergrund ist eigentlich ziemlich rassistisch: Ein hellhäutiger König aus dem Norden besiegt einen dunkelhäutigen, bösen König aus dem Süden und wird auf seiner Heimreise mit vielen Lichtern überall dankbar empfangen. Doch nicht sehr viele kennen diese Geschichte und so wird einfach nur der Sieg des Guten über das Böse gefeiert.
In meinem Reiseführer ist das Fest als „eher ruhiges, beschauliches Fest, vergleichbar mit unserem Weihnachtsfest“ beschrieben worden, doch ich kann nicht ganz zustimmen und würde dem „Divali“ eher den Titel „Das längste Silvester meines Lebens“ geben.
Schon eine Woche vor dem eigentlichen Feiertag wurde angefangen von frühmorgens bis spät in die Nacht hinein zu böllern und Raketen loszulassen. In dieser Zeit war mein Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad ziemlich anstrengend und ich habe nicht selten doppelt so lange gebraucht als sonst. Um mich herum hat es nur geknallt, ich musste Raketen und Böllern ausweichen und hätte einmal fast mein Gehör verloren als irgendwas direkt neben meinem Kopf explodiert ist.
Den Höhepunkt fand die Knallerei vom 4. bis zum 6. November und wir konnten uns in unserem Haus nicht mehr in normaler Lautstärke unterhalten. Unser Versuch die Feuerwerke zu genießen ist jedoch wortwörtlich ins Wasser gefallen. Wir wollten sie uns von unserem Lieblings-Dachrestaurant aus ansehen, doch leider waren wegen des starken Monsuns alle Straßen überschwemmt. Wir mussten durch knietiefes Wasser die letzen 5 min zum Hotel laufen und mit ansehen wie einige Autos und Rikshas durch das viele Wasser ihren Geist aufgaben. Das Restaurant war dann nur leider geschlossen, doch die Aktion keineswegs umsonst. Die Stimmung war einfach toll! Überall Lichter, Feuerwerke, laute Musik und gutgelaunte Menschen!
Das nächste Fest war „Pongal“ gegen Ende Januar. Dieses Erntedankfest wird gefeiert, wenn der Monsunregen aufgehört hat und die Ernte beginnt. Es zieht sich wie so viele indische Feste über mehrere Tage hin. Am ersten Tag ist großer Hausputz angesagt. Im Kinderheim wurden alle Räume neu gestrichen, die verstopften Toiletten gereinigt (das war auch dringend nötig) und alles abgestaubt. Am Tag darauf ist es Tradition frühmorgens die gleichnamige, leckere Süßigkeit „Pongal“ zuzubereiten und zu essen. Auf dem Campus gab es eine kleine Feier vor dem Kuhstall und wir haben nach einer kurzen Andacht zuerst die Kühe (denen an diesem Fest auch besonderer Dank zukommt) mit Pongal gefüttert und dann selbst eine Portion genossen.
Besonders berühmt ist die am dritten Tag in einem kleinen Ort in der Nähe von Madurai veranstaltete Stierhetze. Das habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen!
Um einen schmalen Durchgang, hinter dem die Stiere darauf warteten losgelassen zu werden, drängten sich an die 150 Männer und erwarteten das Kommen eines vorher aggressiv gemachten Bullen. Das Ziel aller Männer war, es zu schaffen sich auf den Rücken eines Tieres zu werfen und es dort so lange wie möglich auszuhalten. Die meisten Bullen stürmten jedoch durch die Menschenmasse, ohne dass es jemand schaffte sich an deren Buckel festzuhalten. Den Wenigen, die es schafften ein paar Sekunden auf einem Bullen zu reiten, wurde hinterher anerkennend auf die Schulter geklopft. Sie waren nun die Helden ihres Dorfes und jede Frau würde ihren zu Füßen liegen. Doch mir taten die Tiere Leid, so wie sie angestachelt und gewaltsam provoziert wurden und es fiel mir schwer Mitleid für die Provokanten aufzubringen, die ab und an von einem Bullen überrannt wurden, der versuchte sich zu wehren. Diese Jahr gab es aber zum Glück keine Toten oder Schwerverletzten....
Vor ein paar Wochen war ich mit Narmada auf einem Dorffest. Ein Teil ihrer Familie wohnt in diesem Dorf und wir wurden eingeladen mit ihnen zu feiern. Einmal im Jahr wird in dem kleinen Ort der Dorfgott gefeiert, der die Bewohner vor Unheil beschützt. Es ist für die Dorfbewohner der Höhepunkt des Jahres und das Fest ist für sie so bedeutend wie bei uns Weihnachten und Ostern zusammen. Jedes Jahr wird eine neue Götterstatue angefertigt, als Zeichen der Erneuerung des Glaubens und Verehrung des Gottes, welche an dem Fest dann enthüllt und in einem großen Festzug zum Tempel getragen wird.
Bevor dieser Zug startete versammelten wir uns alle um die noch verhüllte Statue und beobachteten diverse Rituale, die den Gott in seinen neu geschaffenen Körper rufen sollten. Narmadas Tante hatte uns erzählt, dass der Gott während dieses Teils des Festes oft in den Körper eines Menschen fährt und durch ihr zu den Leuten spricht. Und wir mussten auch nicht lange warten um dieses Schauspiel selbst zu sehen. Zwei Meter vor mir schossen die Arme eines Mannes blitzartig in die Luft und sein Körper krümmte sich nach hinten, sodass er von anderen Männern festgehalten werden musste um nicht zu fallen. Es fing ganz schrecklich an zu zittern und gab seltsam klingende, tierähnliche Laute von sich. Nach wenigen Minuten war es auch schon wieder vorbei und ihm wurde von einigen Seiten anerkennend zugesprochen. Ich war total fasziniert!!!
Narmadas Familie hatte zu Ehren dieses großen Festes geschlachtet (obwohl sie den Rest des Jahres Vegetarier sind) und wir wurden erst mal richtig gut gemestet! Danach ging es in den Tempel zur Gottesverehrung. Wir haben zuerst jeden kleinsten Altar abgeklappert und allen möglichen Göttern die Ehre erwiesen bevor wir zu der, von einer großen Menschenmasse umringten Statue des Dorfgottes kamen. Ein paar Brahmanen hatten alle Hände voll damit zu tun, die dargebrachten Blumenranken der Leute um die Figur zu legen und schon bald sah der Gott aus wie ein rießiger Klumpen aus weisen, roten, rosa und orangenen Blüten. Im Tempel sitzend genehmigten wir uns eine Portion Bananen und Kokosnuss, die vorher natürlich vom Dorfgott, bzw. von den Bramahnen gesegnet wurden und dann ging wieder zurück nach Madurai. Ich war nach diesem Tag total erledigt aber dafür randvoll gefüllt mit neuen Eindrücken, Erlebnissen und Denkanstößen.
Zu sehen, wie Hindus ihre Feste feiern, mit welcher Energie, Freude und vor allem mit welcher intensiven Anteilnahme sie dabei sind reist mich mit. Es ist ein buntes Farbenspiel für die Augen, die viel zu langsam sind um alles einzufangen, ein Schleudergang für die Gedanken, die sich danach wieder neu ordnen müssen und meist eine Qual für die Ohren, denn wie so mancher Inder stolz und etwas gekränkt auf eine Beschwerde wegen der Lautstärke antwortet: „That´s indian culture!“