Da ich bisher nur morgens und manchmal auch abends arbeite, habe ich mir nun den Job des Telzeit-Cartoneros zu Eigen gemacht. Ich arbeite bekanntermaßen morgens von 9:00-11:30 als Nachhilfelehrer in der Villa Itati, in einer Einrichtung die sich Galpon nennt, was auf Deutsch soviel heißt wie Schuppen. Sirekt neben meiner morgendlichen Arbeitsstellesteht der eigentliche Grund für den Namen Schuppen, nämlich ein großer, überdachter Raum, der zu beiden Seiten offen und jedwedem Wetter ausgeliefert ist, ein Schuppenähnliches Komplex mit 2 Etagen und jeder Menge Maschinen. Hier arbeiten diejenigen glücklichen, welche sich Festangestellte Cartoneros nennen dürfen. Ein Präferenzjob, der in der Vila nicht vielen zuteilwird und nur durch harte Arbeit oder gute Beziehungen möglich ist. Wir als Deutsche sind da mal außen vorgenommen, da wir den Grund für die hohe Beliebtheit des Jobs eines Cartoneros im Galpon nicht beziehen, nämlich am Ende eines jeden Arbeitstag einen für hiesige Verhältnisse hohen Lohn. Dieser Lohn beträgt zwischen 40-100 Peso, was umgerechnet 8-20 Euro sind. Die Cartoneros des Galpon sind in keinster Weise mit denen oft als Beispiel der Auswirkungen der Wirtschaftskriese 2001 statuierten Cartoneros von den Straßen von Buenos Aires zu vergleichen.
Der gemein bekannte Cartonero zu übel zugerichtetem Pferde und auf vom Einstürzen bedrohtem Wagen ist Einzelkämpfer. Er zieht durch die Straßen von Buenos Aires, immer auf der Suche nach von anderen als Abfall angesehenen, wie zum Beispiel Pappe, Plastik oder aus Metall bestehende ehemals verwendete Luxusgüter wie Radio und Spielzeug. Nach erfolgreicher Arbeit ist sein Wagen oft drei Meter hochgepackt und das Pferd bewegt sich nur langsam Richtung zu Hause, mag es eine der zahlreich aus dem Boden gesprossenen Villas oder ein fester Stammplatz auf der Straße sein. Doch der Cartonero kann schlecht zu Firmen gehen und gebrauchtes Material zur Wiederverwendung preisgeben, die geben ihm keinen müden Centavo dafür. Die Mülldeponien waren schnell voll und oft so unorganisiert, dass aus dem gesammelten nichts anständiges mehr gemacht werden konnte.
Also gründete man, oft motiviert durch die Kirche oder aus der Villa selbst stammende Visionäre wie der Ordensbruder Coco bei uns, Assoziationen zur Aufteilung und Verarbeitung des von überall her gebrachten.
Sobald erste Sponsoren gefunden waren gesellten sich andere hinzu, jetzt kam nicht nur recyclebares von Cartoneros, sondern auch nicht mehr verwendbares Material wie aufgeplatzte Flaschen und Unmengen Plastik. Dieses wird in riesigen Kartons(Jajas) geliefert, von dort arbeitenden Cartoneros, wie zum Beispiel auch mein Freund Jose, getrennt und in Säcken(bolchones) wieder abtransportiert. Es kommen aber auch am laufenden Band von Außenstehenden Bewohnern gesammelte Flaschen und anderer Krims Krams an, die dann, nachdem sie gewogen und ihr Wert ermessen wurde, in die jeweiligen Säcke weiterverschifft. Der vorherige Besitzer geht dann mitsamt Rechnung zu einem kleinen Häuschen, wo ihm die dem Zettel zu entnehmende und mit Unterschrift des wiegenden Cartonero offiziell gemachte Summe ausgezahlt wird. Es kommen nicht nur Cartoneros, oft sehe ich auch Kinder mit denen ich morgens Hausaufgaben mache, zu Schulzeiten mit Tüten voller Schrott antraben, mich begrüßen und schüchtern wieder die riesige Lagerhalle verlassen, mit dem Blick schon auf der Suche nach weiteren Gelegenheiten sich ein Caramelo nebenher zu verdienen anstatt sich eine bessere Zukunft zu erarbeiten.
Es ist schwer die Eindrücke der zurückliegenden Woche in Worte zu fassen, die Arbeiter sind faszinierend und es ist seltsam befriedigend neben Entwicklungshilfe Kinder und Jugendlicher nun auch praktischer Arbeit nachzugehen. Wir wurden mit offenen Armen empfangen,
werden behandelt wie gleichberechtigte Arbeitskraft und gewöhnen uns nun, Anfang der 2ten Woche auch langsam an die wieder vollkommen anders sprechenden Cartoneros, wo ich zu Beginn oft an den Ausspruch „ Ich versteh nur Spanisch“ denken musste, und bringen uns gut in den zu Anfang doch sehr schwer, weil relativ komplexen Arbeitsprozess mit ein. Alle scheinen glücklich mit ihrer Arbeit, das Wort Cartonero, vielerorts Schimpfwort, ist hier Privileg, es ist fast wie Festangestellter in Deutschland, nur ohne Krankenversicherung und Kündigungsschutz. Doch die von mir angesprochene Einbringung ist schwer in Worte zu fassen, am besten wohl noch kurz und knackig mit professionellem Recycling verschiedener Stoffe, lang ausgeführt aber sehr viel komplexer, vielseitiger. Doch das kann man nur verstehen, wenn man es selber durchführt, die Geschichte dahinter kennt, jeden Tag die Villa besucht und weiß, was für eine Bedeutung diese Organisation für die Gesamtbevölkerung des Viertels hat. Ich kann nicht in Worte fassen, was ich vom ersten Moment an empfunden habe, weder vor meinem Mitbewohner vor Ort, noch euch Bloglesern in Deutschland. Es ist sicher, dass kein revolutionäres Potential vorhanden ist, obwohl viele interessiert sind, wenn ich mit rotem Che Guevara-T-Shirt ankomme und ich einem sogar ein Buch über Che auf Spanisch ausgeliehen habe, aber dennoch besteht aus ganz anderem Grunde kein Potential: die Menschen sind glücklich mit dem was sie tun. Viele sind klug, alle sind klug genug, zu wissen, dass es eine Welt, reicher und schöner als die der Villa und Arbeitsstellen, erfüllender und besser bezahlt gibt, doch sie sind trotzdem glücklich mit dem was ihnen gegeben wurde. Jose hatte die Chance zu studieren, hat außerhalb für besseren Lohn gearbeitet und ist dennoch zurück. Zum Teil weil er eine faule Sau ist und nur wegen seines Onkels als Vizepräsident der Assoziation einen sicheren Arbeitsplatz hat, zum anderen aber auch, weil es ihm besser gefällt, weil er zufrieden ist mit Lohn und dreckigem Umfeld und sich außerhalb nicht wohl gefühlt hat. Wenn auch nur Unterbewusst, denke ich, dass er sich aus Eigenantrieb gegen Studium und Leben außerhalb entschieden hat. Und so schätze ich hier viele ein, weiß aber noch nicht was ich daraus ziehen soll, das wird ein weiterer Artikel, etwas später im Jahr.
Wir waren außerdem letztes Wochenende in Uruguay, haben Montevideo und Colonia gesehen und am Strand neben toten Fischen gelegen, aber dazu bitte Kornelius und Martins Blog lesen, denn diese Erlebnisse wären nochmals einen Eintrag wert, wozu ich jetzt aber weder Zeit noch große Lust verspüre, vor allem weil Nelo alles schon perfekt beschrieben hat und ich, da ich den Text schon gelesen habe, unterbewusst doch nur mit eigenen Worten kopieren würde. Nur eins, es war LEGENDARY;)
Hasta luego amigos, yo tengo que dormir un poco porque manana es una dia nuevo
Hasta la victoria siempre
Buenas Noches