Während des fünf Jahrzehnte dauernden Bürgerkriegs kamen in Kolumbien mehr als 400.000 Menschen ums Leben. Die Folgen des Kriegs sind immer noch zu spüren.
© Lena Mucha/Brot für die Welt
Mehr als 50 Jahre Bürgerkrieg haben in Kolumbien Misstrauen, Narben und offene Wunden hinterlassen. Ein Projekt will diese Kriegsverletzungen überwinden und eine Zukunft schaffen, in der Erinnerung, Versöhnung und Hoffnung möglich sind – zum Beispiel in Caicedo, der ersten gewaltfreien Gemeinde.
„Wir lebten in ständiger Angst“, erinnert sich Martha Berrío. „An einem Tag kamen Soldaten und wollten Essen von uns, am nächsten Guerilleros oder Paramilitärs, die verlangten, bei uns zu übernachten.“ Seit ihrer Kindheit wohnt Martha Berrío in einem Weiler der Gemeinde Caicedo in den Bergen des Departements Antioquia. Mit ihren 56 Jahren ist sie im selben Jahrzehnt geboren, in dem der kolumbianische Bürgerkrieg begann. Außer der Armee, den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, kurz FARC) und anderen linken Guerillagruppen waren auch rechte paramilitärische Gruppen daran beteiligt. Die führten im Auftrag von Großgrundbesitzern und Drogenhändlern Krieg und waren für die meisten Massaker an der Zivilbevölkerung und für andere schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.
Schon mit 26 Jahren wurde Martha Berrío Witwe. Ihr Mann wurde ermordet, als er auf dem Weg nach Hause war. Sie musste ihre drei Kinder allein großziehen, arbeitete auf dem Feld ihrer Eltern mit und bediente an den Wochenenden in einem Restaurant. „Es gibt eine Begebenheit aus den Tagen des Kriegs, die ich nie vergessen werde“, erzählt sie. „Eines Tages traf ich ein 19-jähriges Mädchen, das mir erzählte, sie sei mit 14 Jahren zur Guerilla gegangen, weil sie die Gewalt in ihrer Familie nicht mehr ertragen konnte.“ Diese junge Frau habe zu ihr gesagt: „Sei immer liebevoll zu deinen Kindern. Weil ich das nicht hatte, bin ich in den Krieg gezogen.“ Kurz nachdem sich die beiden verabschiedet hatten, kamen Helikopter und beschossen das Dorf. „Ich habe viele Menschen sterben sehen“, sagt Martha Berrío. „Und ich frage mich noch immer, was wohl aus der jungen Frau geworden ist.“
Nach mehr als 50 Jahren Krieg unterzeichneten Vertreterinnen und Vertreter der FARC und der Regierung im Jahr 2016 einen Friedensvertrag. Zwar ist der Konflikt noch immer nicht ganz beendet, da es weiterhin bewaffnete Gruppen gibt, die das Abkommen nicht akzeptieren. Doch für viele Menschen war der Friedensschluss ein Wendepunkt – auch für Martha Berrío. Sie ließ sich bald darauf von der Organisation Conciudadanía („Mitbürgerschaft“) zur psychosozialen Beraterin fortbilden. Als solche begleitete sie Gruppen von Überlebenden des Bürgerkriegs und stand ihnen emotional zur Seite, wenn sie ihre Erfahrungen teilten. „Ich habe viele Frauen umarmt und bin von ihnen umarmt worden. Das hat mir auch selbst geholfen, meinen Kindern gegenüber liebevoller und offener zu sein“, erzählt sie.
Das 1.800 Meter hoch inmitten von Kaffeeplantagen gelegene Caicedo nennt sich heute „Erste gewaltfreie Gemeinde Kolumbiens“. Alle Straßen tragen den Namen eines Menschen, der sich für den Frieden eingesetzt hat. So gibt es etwa eine Martin-Luther-King-Straße und eine, die nach der indigenen guatemaltekischen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú benannt ist. Und es gibt es ein Museum der Gewaltfreiheit. Dort werden Geschichten aus dem Krieg erzählt – zum Beispiel die des ehemaligen Gouverneurs von Antioquia, Guillermo Gaviria, der 2002 in Caicedo an einer Demonstration für den Frieden teilnahm, von einem Kommando der FARC entführt wurde und später bei einem Befreiungsversuch ums Leben kam.
Der Ort, an dem Gaviria entführt wurde, ist heute der Ausgangspunkt eines Gedenkwegs. Er nennt sich „Pfad für das Leben“. Entlang des Wegs haben die Menschen mit Unterstützung von Conciudadanía Bäume gepflanzt, die in der Gegend vom Aussterben bedroht sind: Zedern etwa und eine seltene Palmenart, die hier wegen der Form ihrer Blätter Bärentatze genannt wird. Dazu kommen Texttafeln, auf denen die Bäume vorgestellt und die Geschichten des Kriegs erzählt werden. Dieser Ort könne mithelfen, „den in uns eingefrorenen Schmerz tauen zu lassen“, ist Martha Berrío überzeugt. „Wir müssen lernen, uns zu erinnern, zu verzeihen und uns von Rachegedanken, die uns krank machen, zu befreien“, sagt sie.
Hinweis: Die Spendenbeispiele sind symbolisch. Durch Ihre zweckungebundene Spende ermöglichen Sie uns dort zu helfen, wo es am dringendsten ist.
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