Projekt zur Brot-Tour
Strampeln für regenerative Energien
Mit der Brot für die Welt-Fahrradtour zum Kirchentag 2019 unterstützen wir die Acción Ecológica in Ecuador. Die Organisation kümmert sich um mehrere Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Einer davon ist die Förderung von regenerativen Energien und die Stärkung der nachhaltigen Landwirtschaft.
Der Leonardo da Vinci aus dem Regenwald
Wie ein ecuadorianischer Bauer die Fahrradmaschine erfand
Von Sandra Weiss
Ein bisschen sieht die Fahrradmaschine aus wie eine der futuristischen Zeichnungen von Leonardo da Vinci. Und fantastisch ist auch die Entstehungsgeschichte des Allround-Gefährts, das aus dem Amazonas-Regenwald Ecuadors stammt. „Die Idee kam mir in einem Traum“, erzählt ihr Erfinder, der 24-jährige Jesús Placencia aus dem Örtchen Trampolín del Triunfo, tief im unwegsamem Grenzgebiet zwischen Ecuador und Kolumbien. „Ich hatte schon lange darüber nachgedacht, wie wir die Handmühlen ersetzen können, die bei uns auf dem Land zum Einsatz kommen, um Mais, Kaffee oder Getreide zu mahlen“, erzählt der Kleinbauer. „Die sind nämlich langsam und anstrengend in der Bedienung.“
Richtig professionelle Mühlen gibt es im Dschungel nicht, und die Bauern, die ihre Großfamilien selbst versorgen, müssen die mühevolle Arbeit Tag für Tag selbst übernehmen. Wenn sie auf dem Feld arbeiten oder sich als Tagelöhner verdingen, sind es die Frauen, die ihre ganze Kraft dafür aufwenden müssen. Die Idee von einer billigen Mahlmaschine hatte sich daher in Placencias Kopf festgesetzt, doch zwei Bastelversuche mit Teilen aus Schrott musste der umtriebige junge Mann ergebnislos abbrechen. Mal passte die Übersetzung nicht, mal lief der Mechanismus nicht rund
„Dann sah ich die Fahrradmaschine plötzlich in einem Traum ganz deutlich vor mir!“ Das Geheimnis war ein schweres Schwungrad. Gleich am nächsten Tag machte sich Jesús Placencia an die Arbeit. Dass er auch eine Ausbildung zum Schweißer hinter sich hatte, kam ihm dabei sehr gelegen. Doch zuerst musste er die Materialien beschaffen. In der eineinhalb Fahrtstunden entfernten Provinzhauptstadt Lago Agrio erstand er für 10 US-Dollar ein kaputtes Fahrrad, ließ sich ein stählernes Schwungrad schmieden, kaufte ein paar Riemen und Rollen und kehrte zufrieden auf seinen kleinen Hof zurück.


Der 24-jährige Jesus Alberto Placencia ist der Erfinder der Fahrradmaschine

Auch Belia Vaca mahlt Mais mit ihrer Fahrradmaschine.

Die Maschine erleicht der 53-jährigen Bäuerin den Alltag ungemein.
Erleichterung für den Arbeitsalltag
Der Rest war Tüftelarbeit. Nach einigen Tagen schließlich war die perfekte Fahrradmaschine fertig, die mit kleinstmöglicher Kraftanstrengung in kürzester Zeit größtmöglichen Mahleffekt bot. „Ich benutze sie vor allem für Mais“, erzählt Placencia. Aber die Nachbarn, denen er seine Erfindung kostenlos zur Benutzung überlässt, mahlen auch Maniok, Kaffee oder Kakao damit. Manchmal bekommt er dafür ein paar Eier oder eine Bananenstaude als Bezahlung. Aber darum geht es Placencia nicht.
Er freut sich über ein Dankeschön und über die Gewissheit, den mühevollen Alltag der Amazonasbauern zu erleichtern. Als er seine Maschine in einem der von Brot für die Welt finanzierten Kurse für ökologische Landwirtschaft der Organisation „Acción Ecológica“ vorstellte, waren die Teilnehmenden begeistert. Vier Fahrradmaschinen hat er inzwischen gefertigt. „Mehr Zeit hatte ich nicht“, seufzt er. Eine davon steht zum Beispiel bei Bäuerin Belia Vaca, die das Rad bunt bemalt hat und die in ihrem prächtigen Gemüsegarten in die Pedale tritt. „Das Rad erleichtert mir den Alltag ungemein“, ist sie voll des Lobes.
Welche Pläne Placencia mit seiner Erfindung hat? „Ich würde hier gerne ein Fahrrad-Fitnessstudio einrichten“, erzählt er und lacht verschmitzt, als er die ungläubigen Blicke sieht. Die Jugendlichen aus dem Dorf könnten dann ihre Muskeln stärken, indem sie Wäsche waschen, Getreide mahlen – und sich am Schluss ihren Obst-Vitamindrink an der Fahrradmaschine selber mixen. Unzählige Nutzungsmöglichkeiten gäbe es, so der Erfinder. Nur an eines hat er überhaupt nicht gedacht – seine Erfindung patentieren zu lassen und daraus Profit zu schlagen. „Hier könnte kein Mensch das bezahlen“, entgegnet er. „Und ich will doch, dass so viele Nachbarn wie möglich etwas davon haben.“