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Überlegungen zu Kolonialismus und Solidarität

Menschen aus dem Globalen Norden unterstützen Menschen im Globalen Süden gegen Hunger und im Kampf für Menschenrechte. Gut so. Doch werden sie meist getrieben von Nächstenliebe oder einem Gefühl schuldiger Verpflichtung – das ist ein Problem. Entwicklungsarbeit sollte das System verändern, das vielfach den Bedarf für Entwicklungsarbeit geschaffen hat.

Von Ashley Green-Thompson*, ACT Ubumbano

Von Gastbeiträge Politik am
Europäische und afrikanische Teilnehmer*innen im ACT Ubumbano Solidarity Hub, Berlin, Juni 2024

Europäische und afrikanische Teilnehmer*innen im ACT Ubumbano Solidarity Hub, Berlin, Juni 2024

 

Der Kolonialismus findet weiterhin seinen Ausdruck in den großen politischen Fragen unserer Welt. Er zeigt sich tagtäglich in der ungleichen Machtverteilung in multilateralen Institutionen, in denen ehemalige Kolonialmächte die Politik und die Festlegung von Prioritäten bestimmen, während die ehemaligen Kolonien um ihren Platz am Tisch kämpfen. Der Kolonialismus ist im Wesentlichen ein Rohstoffabbau, und sein Erbe zeigt sich in den Ungleichgewichten und Ungleichheiten im Handel – insbesondere Afrika ist nach wie vor in erster Linie Exporteur natürlicher Ressourcen, von denen die Weltwirtschaft abhängig ist. Die Vorteile aus diesem Handel tragen wenig dazu bei, das historische Defizit auszugleichen, das in Afrika durch Kolonialismus und Sklaverei entstanden ist. Diese Phänomene haben dem Entwicklungsweg Afrikas einen schweren Schlag versetzt, da sie das wichtigste Gut des Kontinents, seine Menschen, beseitigten und willkürlich Grenzen schufen, die die zuvor bestehenden, tragfähigen sozialen Infrastrukturen zerstörten.

Im Laufe der Jahre haben diejenigen, die sich um eine gerechtere Welt bemühen, bis zu einem gewissen Grad zusammengearbeitet, um einige der ungeheuerlichsten Systeme, die Leid verursachen, zu beseitigen. Die weltweite Bewegung zur Beendigung der Apartheid ist vielleicht eine der größten Mobilisierungen von Menschen im Norden und im Süden, und Menschen in ehemaligen Kolonien haben bei der Bewältigung einer Reihe von Ungerechtigkeiten und Krisen Unterstützung erfahren – von Bürgerkriegen und Hungersnöten bis hin zu Umweltkatastrophen, von LGBTI-Kämpfen bis hin zur Verteidigung von Menschenrechten.

Nächstenliebe oder Machtverhältnis?

Das Problem ist, dass die Motivation für diese Unterstützung allzu oft in der Vorstellung von Nächstenliebe oder in einem Gefühl der schuldigen Verpflichtung verwurzelt ist – dass diejenigen, die etwas haben, denen helfen müssen, die nichts haben. Das ist wichtig, wenn Hunger oder Gefahr unmittelbar drohen: Die Menschen müssen essen, wenn sie hungern, oder sie müssen bei einem Sturm oder Konflikt sofort eine Unterkunft finden. Wenn aber Geber*innen nicht darüber nachdenkt, woher dieser Impuls zu helfen kommt, besteht die Gefahr, dass die Beziehung zwischen ihnen und den Empfänger*innen von kolonialen Einstellungen geprägt bleibt. Das Geben erfolgt nach den von Geber*innen festgelegten Bedingungen, die für immer über die Mittel verfügen werden – sie allein werden bestimmen, wie sie diese Mittel vergeben wollen. Die Empfänger*innen haben kein Mitspracherecht – die Verzweiflung ihrer Situation macht sie anfällig für die Launen der Geber*innen. In dieser Beziehung herrscht ein massives Macht- und Handlungsgefälle, das zwar auf die unmittelbare Krise reagieren mag, aber keine grundlegende Veränderung der Situation bewirkt.

Diese Ungleichheit von Macht und Handlungsfähigkeit findet sich auch bei der Finanzierung von Entwicklungsprojekten wieder. Soziale Aufbauprojekte sind wichtig, aber sie zielen selten darauf ab, das System zu verändern, das den Bedarf für das Projekt überhaupt erst geschaffen hat.

Neokoloniale Strukturen in der Entwicklungshilfe: Ein System der Ungleichheit

Diese Unfähigkeit, die Strukturen und Ursachen der Ungerechtigkeit, der kolonialen Verhältnisse, in Frage zu stellen, ist eine der großen Anklagen gegen das Entwicklungshilfesystem. Allzu oft dient es dazu, die schlimmsten Auswüchse der derzeitigen globalen neokolonialen wirtschaftlichen und politischen Systeme zu mildern. Geldgeber aus dem Globalen Norden unterstützen nur sehr selten Projekte, die eine echte Reformierung, geschweige denn einen Umsturz von Systemen anstreben, die koloniale Muster der Ausbeutung und Marginalisierung aufrechterhalten.

Neokoloniale Strukturen und Beziehungen werden von politischen Eliten aufgebaut, die denjenigen verpflichtet sind, die Geld haben. Politische Parteien und die Wahlsysteme, die die „demokratische“ Welt kennzeichnen, sind teuer im Unterhalt. Parteien und Politiker*innen sind auf die Finanzierung durch wohlhabende Einzelpersonen und ihre Unternehmen angewiesen, und die politischen Entscheidungen, die sie treffen, werden immer eher Maßnahmen begünstigen, die die vorherrschenden Systeme aufrechterhalten, als dass sie einen echten Wandel im Leben der Menschen am Rande der Gesellschaft bewirken würden. Dieser politisch-ökonomische Elitenpakt manifestiert sich darin, dass Staaten bestimmte Seiten in Bürgerkriegen unterstützen, dass sie protektionistische Maßnahmen für Menschen innerhalb der ursprünglichen kolonialen Grenzen vorantreiben, um Hindernisse für den Zugang derjenigen außerhalb zu schaffen, und dass sie ihre finanziellen Ressourcen einsetzen, um die Unzufriedenheit derjenigen zu begrenzen oder zu verringern, die unter Armut und Ausgrenzung in einem globalen System leiden, das immer noch von kolonialen Mustern geprägt ist.

Nichtregierungsorganisationen und Menschen im Globalen Süden, die auf Entwicklungshilfe angewiesen sind für den Kampf gegen Ungerechtigkeit, werden oft durch die Notwendigkeit kompromittiert, die von den Geldgeber*innen festgelegten Anforderungen und Prioritäten zu „erfüllen“. Finanzierungsvorschläge werden mit dem Ziel verfasst, die Entscheidungsträger*innen zu überzeugen – die Verwendung der Mittel muss mit den Interessen oder Prioritäten der Geldgeber*innen übereinstimmen. Es handelt sich also um eine Beziehung der Ungleichheit. Dies hat zur Folge, dass Aktivist*innen und Gemeinschaftsorganisatoren zu viel Zeit und Ressourcen darauf verwenden, die Vorschriften einzuhalten, anstatt den Kampf für Veränderungen zu führen.

Wahrhaftige Solidarität für globale Gerechtigkeit

Was wir brauchen, ist eine wahrhaftige Solidarität, die Beziehungen und Verhaltensweisen definiert, die über bloße „Wohltätigkeit“ hinausgehen. Wahrhaftige Solidarität erfordert, dass die Menschen, die in den Teilen der Welt leben, die so grundlegend vom Kolonialismus profitiert haben, darunter auch Deutschland, sich mit den Menschen im Globalen Süden verbünden und beginnen, deren Kämpfe als gemeinsame Kämpfe zu betrachten. Wenn man sich mit jemandem verbündet, geht man Hindernisse gemeinsam an und sucht gemeinsam nach Lösungen. Diese Solidarität erfordert, dass die Agenden von denjenigen bestimmt werden, die sich an vorderster Front gegen ihre Unterdrückung wehren – und nicht von jenen, die über die Mittel verfügen.

Doch es fehlt an Einsatz und Engagement, neue Wege zur Entwicklung einer gemeinsamen Agenda zu finden, die dieses Ziel anstrebt. Was wir stattdessen beobachten, ist ein Rückzug auf engstirnige Antworten auf die politischen und wirtschaftlichen Krisen unserer Zeit. Die Entwicklungspartner*innen sprechen von gekürzten Finanzmitteln, verschärften Compliance-Anforderungen und einer an Bedingungen geknüpften Unterstützung für Projekte, die sich an den in Europa gesetzten Prioritäten orientieren, was die Arbeit für soziale Gerechtigkeit im Süden erheblich erschwert. Stattdessen sollte es eine Bewegung geben, die dazu aufruft, die Zusammenarbeit zu vertiefen, die Unterstützung für den Globalen Süden zu harmonisieren und die die politischen Eliten auffordert, ungerechte neokoloniale Arrangements aufzubrechen.

Bei der Entwicklungsfinanzierung geht es nicht um Wohltätigkeit, sondern um eine historische Schuld, die durch Sklaverei und Kolonialismus entstanden ist. Sie ist eine wertvolle Ressource zur Unterstützung des Widerstands und der Handlungsfähigkeit marginalisierter Gemeinschaften, die versuchen, neokoloniale Strukturen und Haltungen zu verändern. Sie kann eine Solidarität fördern, die sich um die durch Kolonialismus und Gier verursachten Probleme gemeinsam sorgt und eine gemeinsame Suche nach möglichen Lösungen unterstützt.

Als Einzelne haben wir nicht die Macht, die Vereinten Nationen und andere Institutionen zu reformieren oder die Gräueltaten im Nahen Osten, im Sudan und anderswo zu stoppen. Doch wir sind in der Lage, uns selbst und unser eigenes Verständnis von Solidarität und Gerechtigkeit zu ändern und uns dann mit anderen zusammenzutun, die ein Engagement für eine echte Entkolonialisierung teilen, das uns bei der Suche nach neuen Wegen leiten wird.

 

*Ashley Green-Thompson hat über 30 Jahre Erfahrung als Aktivist für soziale Gerechtigkeit und in verschiedenen Sektoren im südlichen Afrika gearbeitet, von Jugendorganisationen, die sich der Apartheid widersetzten, bis hin zu den Wahlprozessen von 1994 in Südafrika. Ashley ist Direktor von ACT Ubumbano, wo er erforscht, wie Solidarität und entkolonialisierte Praxis jenseits der Rhetorik aussehen.

Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.

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