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Deutschland stützt „Indigenen-Konvention“, endlich

Es gab Phasen, da hat kaum noch jemand damit gerechnet. Jahrzehntelang hat sich ein beharrlicher Kreis der deutschen Zivilgesellschaft die Ratifizierung der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeiterorganisation (kurz ILO 169) zum Schutz der Reche indigener Völker durch Deutschland verfolgt. Am 15. April 2021 hat der Deutsche Bundestag den Beitritt zu ILO 169 mit breiter Mehrheit beschlossen.

Von Anja Esch am

Es gab Phasen, da hat kaum noch jemand damit gerechnet. Jahrzehntelang hat sich ein beharrlicher Kreis der deutschen Zivilgesellschaft immer wieder für die Ratifizierung der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeiterorganisation (kurz ILO 169) zum Schutz der Reche indigener Völker durch Deutschland stark gemacht. Heute ist es endlich soweit: Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Ratifizierungsgesetz und setzt damit ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Aber es ist mehr als das. Deutschland bekennt sich mit der Ratifizierung zur Übernahme globaler Verantwortung. Denn der Schutz der Rechte indigener Völker kann nicht allein den Staaten überlassen bleiben, in denen indigene Territorien liegen. Die Verteidigung der Rechte der indigenen Völker muss als globale Aufgabe verstanden werden.

Ein wichtiger Schritt ist getan, endlich.

Bis dahin war es ein langer, mitunter sehr mühsamer Prozess – und zahlreiche Mitstreiter*innen der ersten Stunde sind bereits im Ruhestand oder verstorben.  Doch der Koordinationskreis ILO 169 in Deutschland, ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken und Expert*innen, die sich für die Stärkung der Rechte indigener Völker einsetzen, hat sich seit seiner Gründung 2003 beständig erneuert und das Ziel hartnäckig verfolgt. Und dabei immer wieder neuen Anlauf nehmen müssen.

Ein kurzer Blick zurück – die Entstehung der ILO 169

Dass sich ausgerechnet die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, kurz ILO  in einer Konvention mit dem Schutz der Rechte indigener Völker befasst, mag zunächst erstaunen. Doch seit ihrem Entstehen im Jahr 1919 hat sich die ILO stets auch intensiv mit den verheerenden Arbeits- und Lebensbedingungen indigener Völker auseinandergesetzt. Im Jahr 1957 nahm die ILO die Konvention Nr. 107 mit dem Titel „The Indigenous and Tribal Populations Convention" an, um erstmals die Rechte indigener Bevölkerungen (nicht Völker) festzuschreiben. Der Konvention lag die Annahme zugrunde, dass sich die indigenen Bevölkerungen mit zunehmender Modernisierung assimilieren und am Ende ihre Gemeinschaften wohl ganz verschwinden würden.  Diese Auffassung hat sich im Laufe der Jahrzehnte vollständig geändert und erforderte Ende der achtziger Jahre schließlich eine Überarbeitung der Konvention.

Der Tenor der neuen Konvention ist ein völlig anderer: Die ILO- Konvention Nr. 169, die 1989 von der ILO mit dem Titel „Indigenous and Tribal Peoples Convention“ verabschiedet wurde, sieht die indigenen Völker als gleichberechtig mit den nationalen Gesellschaften eines Staates an. Im Vordergrund stehen hier der Erhalt ihrer kulturellen Identität und Traditionen sowie ihr Recht auf Selbstbestimmung. In 44 Artikeln garantiert die ILO 169 also Rechte, die der besonderen Situation der indigenen Völker Rechnung tragen:

  • volle und unterschiedslose Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 2 und 3);
  • Erhalt der kulturellen Identität, gemeinschaftlichen Strukturen und Traditionen (Art. 4);
  • Entwicklung und Gestaltung der eigenen Zukunft entsprechend eigener Prioritäten (Art. 6 und 7); unter anderem das Recht auf umfassende Beteiligung an Entscheidungen des Staates, die diese Völker direkt betreffen könnten;
  • Gleichberechtigung vor Verwaltung und Justiz (Art. 8 und 9);
  • Land und Ressourcen (Art. 13-19);
  • Beschäftigung und kulturell angemessene Arbeitsbedingungen (Art. 20);
  • Ausbildung und Zugang zu Kommunikationsmitteln (Art. 21).

 

Die ILO 169 ist bis heute das einzige rechtsverbindliche internationale Instrument zum Schutz der Rechte indigener Völker.  Auf Ebene der Vereinten Nationen entstand 2008 zudem die UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker - mit lediglich deklaratorischem Charakter. Bislang hatten 23 der ILO-Mitgliedsstaaten die ILO 169 ratifiziert, darunter auch Länder wie die Niederlande, Spanien und Luxemburg – ohne eigene indigene Gemeinschaften.

Nun sind es mit Deutschland 24 ILO-Mitgliedstaaten.

Ein weiter Weg bis zur Ratifizierung – die ersten Etappen

Bereits 1993 unter der Regierung Kohl brachte die Gruppe von Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag zur Ratifizierung der ILO 169 in den Deutschen Bundestag ein, der von der SPD-Fraktion unterstützt wurde. Im Bericht zur damaligen Beratung wird die Ablehnung des Antrags mit üblichem Argument begründet: „Die Bundesrepublik Deutschland ist von dem Übereinkommen nicht betroffen, da auf ihrem Territorium keine eingeborenen und in Stämmen lebende Völker leben und sie daher das Abkommen weder erfüllen noch gegen es verstoßen kann.“ (BT-Drucksache 12/4786)

Dann folgte 2002 unter der rot-grünen Bundesregierung der nächste Anlauf: In ihrem Bundestagsantrag „Menschenrechte als Leitlinie der deutschen Politik“ (BT-Drucksache 15/136) forderten die Fraktionen der Regierungskoalition ihre Bundesregierung auf, die ILO 169 zu ratifizieren.

Als die Bundesregierung sich nicht rührte, wurde nachgelegt.

Treibende Kraft des nächsten Anlaufs 2005 warThilo Hoppe, damals Abgeordneter der grünen Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und mittlerweile entwicklungspolitischer Beauftragter bei Brot für die Welt.. Doch „ILO-Thilo“, wie er bereits von Kolleg*innen und Mitstreiter*innen scherzhaft genannt wurde, konnte nicht ahnen, dass der neuerliche Antrag von Bündnis 90/Die Grünen leider ins Leere lief: Der Bundestag – die Älteren unter uns erinnern sich – wurde vorzeitig aufgelöst und Neuwahlen für September 2005 angesetzt.

Knapp verpasst – sehr schade.

Steter Tropfen …

Zum Koordinationskreis ILO 169 bin ich erst 2014 dazu gestoßen, seither habe ich gemeinsam mit einer Handvoll sehr engagierter Kolleg*innen die Ratifizierung der ILO 169 im deutschen Kontext verfolgt. Als Liaisonreferentin bei Brot für die Welt unterstütze ich den Dialog unserer Partnerorganisationen aus dem Globalen Süden hier im politischen Berlin. Im März 2014 war es COMIN, der Indigenenmissionsrat der Evangelischen Kirche in Brasilien, der beim Besuch im Deutschen Bundestag darauf hinwies, dass Deutschlands Ratifizierung der ILO 169 noch ausstand.

Der Kokreis ILO 169 musste immer wieder Überzeugungsarbeit leisten. Dabei habe ich viel gelernt, besonders von Theo Rathgeber.  Bei einer Vielzahl von Bundestagsabgeordneten und Regierungsvertreter*innen liefen wir mit unserem Anliegen inzwischen offene Türen ein, andere dagegen blieben skeptisch. Und dies, obwohl uns die charismatische Vicky Tauli-Corpuz als damalige UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker zu zahlreichen Gesprächen begleitet hat.

Aufwind bekam unsere Initiative, als im März 2015 der Bundesrat einen Entschließungsantrag annahm und die Bundesregierung darin aufforderte, Schritte zur Ratifizierung der ILO 169 einzuleiten. Wir wähnten uns schon fast am Ziel.

Doch leider ging die Legislaturperiode zu Ende, ohne dass die ILO 169 ratifiziert wurde. 

Schon wieder knapp verpasst.

Warum sollte Deutschland ratifizieren?

Es schien, als würden sich die Skeptiker*innen am Ende doch immer durchsetzen. Warum sollte Deutschland ratifizieren, wenn es doch selbst keine eigene indigene Völker beheimatet?

Das war die „Gretchenfrage“, mit der wir uns wieder und wieder auseinandersetzen mussten.

Ja, es stimmt. „Rechtssubjekte“ im Sinne der ILO 169 fehlen in Deutschland – auch wenn es darüber durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt. Für uns im Kokreis ILO 169 war allerdings immer entscheidend: Mit jeder weiteren Ratifizierung gewinnt die ILO 169 an Gewicht und wird international aufgewertet. Gerade ein so politisch und wirtschaftlich gewichtiger Staat wie die Bundesrepublik Deutschland kann mit der Ratifizierung den Normenkatalog der ILO 169 stützen und das damit verbundene internationale Kontrollsystem stärken. Dies wiederum kann einen wichtigen Beitrag leisten bei der Durchsetzung der Rechte indigener Völker.

Kurzum: Es geht um mehr als formelhafte Solidarität, es geht um eine weitere starke Schulter, die das wichtigste Menschenrechtsinstrument zum Schutz indigener Völker mitträgt. Und zur Not auch verteidigt - hierin zeigt sich die Übernahme globaler Verantwortung.

Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag 2018

Dass die Ratifizierung der ILO 169 im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, hat uns im Kokreis ILO 169 zwar gefreut – doch niemand war mehr sicher, ob die Ratifizierung folgen würde. Doch als nicht nur die „üblichen Verdächtigen“, die langjährigen Befürworter*innen in der SPD-Fraktion, sondern zunehmend auch positive Signale in der Unionsfraktion und in den Bundesministerien zu vernehmen waren, stieg die Hoffnung.

Doch es blieb bis zuletzt eine Zitterpartie. Aber Chapeau, die Vereinbarung wurde auf den letzten Metern umgesetzt. Nun müssen nächste Schritte folgen.

Deutschland setzt mit der Ratifizierung ein Zeichen der Solidarität in einer schwierigen Zeit, das ist gut so  – aber es müssen nun weitere Schritte folgen. Die indigenen Völker werden auch heute noch vielerorts diskriminiert, bedroht, ermordet. Und Corona hat ihre Lage noch verschärft, besonders im Amazonasgebiet in Brasilien.

Es muss nun inhaltlich unterlegt werden, das Zeichen der Solidarität. In der nächsten Legislaturperiode braucht es daher eine ressortübergreifende Strategie und tragfähige Konzepte, wie die Rechte indigener Völker konkret geachtet und gestärkt werden können.  

Wir vom Kokreis ILO 169 sind sehr zuversichtlich, dass wir hierauf nicht nochmal Jahrzehnte warten müssen.

Wir bleiben dran.

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Lachender Junge

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