Anfang 1989, als ich in Washington über die Umweltauswirkungen von Großprojekten der Weltbank recherchierte, stieß ich auf eine Kopie eines geheimen „Strukturanpassungs“-Abkommens, unterzeichnet ein paar Wochen zuvor. Es war das erste seiner Art zwischen der Weltbank und meinem Land Uruguay. Das Abkommen versuchte, einem Land, das sich im Übergang von der Militärherrschaft zur Demokratie befand, die Privatisierung staatlicher Unternehmen und Kürzungen bei den Sozialversicherungsprogrammen aufzuzwingen, neben anderen Reformmaßnahmen, die in den kommenden Jahren durchgeführt werden sollten.
In seinem Abschnitt über „Risiken“ nennt das Dokument die gegen Ende des Jahres anstehenden nationalen Wahlen in Uruguay und die Möglichkeit, dass die Wähler einen Präsidenten mit anderen Vorstellungen wählen könnten. Um dieses Risiko zu mindern, wurde dem Darlehen eine Haushaltslinie von hunderttausend Dollar hinzugefügt, um eine Mission zu finanzieren, die das Land in der ersten Woche der neuen Regierung besuchen und den demokratisch gewählten Behörden erklären sollte, was sie umzusetzen hätten, unabhängig davon, mit welchem Programm sie gewählt worden waren.
Ich hatte einen eklatanten Beweis für die völlige Missachtung der nationalen Souveränität und der Demokratie in den Händen, um ausländische Unternehmensinteressen (der Gläubiger*innen und potenziellen Käufer*innen privatisierter Vermögenswerte) zu begünstigen. „Neokolonialismus“ war kein Schlagwort, sondern schockierende Realität. Er wurde von derselben Institution umgesetzt, die für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden war und die die Lehren des Marshallplans anwenden wollte, um die Entwicklungsländer aus der Armut zu befreien.
Fehlgeschlagene Umstrukturierung der Weltwirtschaft
Nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte das besiegte Deutschland von einem Schuldenerlass, von ausländischen öffentlichen Investitionen zum Wiederaufbau seiner Infrastruktur und einer langfristigen Industriepolitik.
In einem Klima des Erstarkens der damals sogenannten „Dritten Welt“ (im Gegensatz zu den beiden Welten, die sich im Kalten Krieg gegenüberstanden) forderte der Präsident der Weltbank, Robert McNamara, Mitte der siebziger Jahre den deutschen Bundeskanzler Willy Brandt auf, einen globalen Dialog darüber einzuberufen, wie die Rezepte des „deutschen Wunders“ zur Beseitigung der Armut in der Welt angewendet werden könnten. Der Bericht der „Brandt-Kommission“ von 1980 befasste sich mit der Kluft zwischen dem großen Anteil der in relativer Armut lebenden Menschen im Süden und der kleineren und wohlhabenderen Bevölkerung im Norden. Die Kommission analysierte das gegenseitige Zusammenspiel von Produktion, Handel und anderen Prioritäten zwischen dem Norden und dem Süden und sprach sich für einen groß angelegten Ressourcentransfer vom Norden in den Süden aus, um die kränkelnde Weltwirtschaft wiederzubeleben. Die Hauptaufgabe der reichen Länder sollte nicht mehr darin bestehen, Hilfe zu leisten, sondern eine Umstrukturierung der Weltwirtschaft zu erleichtern, die es den Entwicklungsländern ermöglicht, ihr eigenes Wirtschaftswachstum und ihre Entwicklung zu finanzieren.
Als ausschlaggebend für das Nord-Süd-Gefälle wurden wirtschaftliche Macht und Regierungsführung genannt, wobei der Norden „das internationale Wirtschaftssystem, seine Regeln und Vorschriften sowie seine internationalen Handels-, Geld- und Finanzinstitutionen“ beherrscht. Daraufhin wurde 1981 in Cancún ein Nord-Süd-Gipfel mit 22 Staatsoberhäuptern einberufen, um die notwendigen Reformen zu konzipieren, die den gegenseitigen Interessen in den Bereichen Ernährung, Handel, Energie, Frieden und Abrüstung Rechnung tragen sollten. Anvisiert waren ein Gleichgewicht zwischen den „gegenseitigen Verpflichtungen der Gast- und der Herkunftsländer in Bezug auf ausländische Investitionen, Technologietransfer und die Rückführung von Gewinnen, Lizenzgebühren und Dividenden“ sowie die „Regulierung der Aktivitäten transnationaler Unternehmen“.
Doch zu diesem Zeitpunkt hatte Ronald Reagan Jimmy Carter im Weißen Haus abgelöst und Margaret Thatcher war britische Premierministerin. Während der chilenische Präsident Salvador Allende eine Parallele zwischen den Forderungen der Entwicklungsländer und den Kämpfen der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer*innen hergestellt hatte, wurde dem Reagan-Thatcher-Duo von hochrangigen Mitarbeiter*innen des Weißen Hauses geraten, „zu teilen und zu herrschen“, also die Taktik anzuwenden, die sie schon zu Hause angewandt hatten, um die Stärke der Gewerkschaften zu brechen. In einem internen Memo des Weißen Hauses vor dem Cancún-Gipfel heißt es, dass „der von der G7 so geliebte globale Dialog eher als ein Restbereich der Besorgnis behandelt werden könnte“, da „sowohl die USA als auch andere Industriestaaten sich bereits auf bilaterale Vereinbarungen mit den wenigen (Ländern) konzentrieren, die, in Orwells Worten, gleicher sind als andere“.
In dem geheimen Memo wurde festgehalten, dass der Bericht der Brandt-Kommission zwar „die tief empfundenen humanitären Impulse und das aufgeklärte Eigeninteresse, die der europäischen Haltung gegenüber der Dritten Welt zugrunde liegen, zutreffend widerspiegelt“, dies aber nicht bedeute, dass „die europäischen Führer bereit sind, den Laden aufzugeben“. So blockierte Präsident Reagan in Cancún alle relevanten Entscheidungen. Es fand kein weiterer Nord-Süd-Gipfel statt, der Ost-West-Konflikt hatte Vorrang, und Deutschland verlor seine Chance, sich für ein postkoloniales Nord-Süd-Bündnis einzusetzen.
Internationale Wirtschaftspolitik heute
Vier Jahrzehnte später ist die internationale Wirtschaftspolitik immer noch gegen die Entwicklungsländer ausgerichtet. Die G7 wurde zur Steuerungsgruppe der Weltwirtschaft. Um ihre Politiken dauerhaft zu machen, begannen die Industrieländer, sie in rechtsverbindliche Handelsabkommen aufzunehmen, auch wenn sie kaum einen Bezug zum tatsächlichen grenzüberschreitenden Warenverkehr hatten. So erweiterte die 1995 gegründete Welthandelsorganisation den Geltungsbereich des früheren GATT, um Dienstleistungen in ihre Liberalisierungsagenda aufzunehmen. Darüber hinaus wurden – im Widerspruch zum liberalen Ethos des „Freihandels“ – die Monopolprivilegien des geistigen Eigentums unter ihre Autorität gestellt. Nicht zufällig sind die exportorientierten deutschen Unternehmen zusammen mit chinesischen Unternehmen die Nutznießer dieser Regeln.
Als die Covid-Pandemie in eklatanter Weise aufdeckte, was manche als „Impfstoff-Apartheid“ bezeichneten, gehörte Deutschland zu den Ländern, die sich gegen jede Lockerung der Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums wehrten. Eine Lockerung hätte den Entwicklungsländern ermöglicht, ihre eigenen Impfstoffe herzustellen. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa stellte fest: „Während der Covid-Epidemie haben wir immer wieder gefragt, was wichtiger ist: das Leben oder die Gewinne eurer großen Pharmaunternehmen. Und das hat bei uns Enttäuschung und Unmut hervorgerufen, weil wir das Gefühl hatten, dass das Leben in der nördlichen Hemisphäre viel wichtiger ist als das Leben im globalen Süden.“
Als Großaktionär der Bretton-Woods-Institutionen und wichtiges Mitglied der G7 und der EU ist Deutschland mitverantwortlich für die derzeitige neokoloniale Global Governance. Aber die individuelle Verantwortung der Mitgliedsländer wird vor den Augen der Öffentlichkeit und sogar der parlamentarischen Kontrolle verwässert, indem so getan wird, als würden diese Institutionen aus eigenem Antrieb handeln.
Im Jahr 2024 spielte die deutsche Diplomatie eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zum UN-geführten Zukunftsgipfel, als Ko-Moderator des Prozesses zusammen mit Namibia – es war eine bedeutende Zusammenarbeit zwischen einem europäischen Land und seiner ehemaligen afrikanischen Kolonie. Trotz des weltweiten Konsenses, „das Vertrauen in die globalen Institutionen zu erneuern, indem man sie repräsentativer macht“, blieb der Zukunftspakt jedoch ohne eine Erhöhung des Kapitals oder der Stimmrechte der Entwicklungsländer in den internationalen Finanzinstitutionen. Diplomaten aus dem Süden glauben, dass das Finanzministerium den deutschen Diplomaten eine „rote Linie“ auferlegt hatte – doch gibt es keine öffentliche Rechenschaftspflicht über die Formulierung der Verhandlungsmandate.
Erfolg gegen neokoloniale Herrschaft
In der Zwischenzeit hat Uruguay als eines der ersten Länder der Welt die Stromerzeugung zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energiequellen (Wasser, Wind, Biomasse) erreicht. Dies war dank der langfristigen Planung des öffentlichen Stromversorgungsunternehmens möglich, dessen Privatisierung in den neunziger Jahren durch ein Volksreferendum aufgehoben wurde. Das zeigt, dass neokoloniale Herrschaft überwunden werden kann, wenn die Menschen ein Mitspracherecht haben.
*Roberto Bissio ist Koordinator des internationalen Netzwerks Social Watch, Lateinamerika-Beauftragter des Third World Network (TWN) sowie Gründer des Third World Institute (ITeM) in Montevideo.
Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 140. Jahrestages der Berliner Kolonialkonferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand. Bei der Konferenz teilten die Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich auf und legten ihre Einflusssphären fest. Die Ergebnisse der Konferenz haben bis heute Auswirkungen auf die Lage in Afrika und internationale Politikprozesse insgesamt.