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Was Sonnenblumen, Zebus und Origami verbindet

Eine Sonnenblume, ein Stück Papier und ein Zebu, mehr braucht es manchmal nicht, um Welten zu verbinden. Auf einer Reise durch Kambodschas Provinz habe ich erlebt, wie drei Kulturen sich ganz ohne große Worte begegnen können. Was genau passiert ist, warum ich darüber schreibe, und was das mit einem bemalten Schulgebäude zu tun hat? Das erzähle ich hier.

Von Sandra Lüttke am
Versammlung der Elternvertretung und Schulleitung

Versammlung der Elternvertretung und Schulleitung

Ein Morgen zwischen Hahnenschrei und Provinzluft

Bevor mein Wecker überhaupt einen Ton von sich geben konnte, wurde ich bereits vom schrillen Krähen eines Hahns geweckt. Doch das ist nichts Neues für mich – in meinem Zuhause in Phnom Penh bin ich das längst gewohnt. In fast jeder Straße der Hauptstadt lebt eine Familie, die ein paar Hühner als Einkommensquelle hält. Nach ein paar Minuten des Wachwerdens setzte ich mich auf und musste mich erst einmal an meine ungewohnte Umgebung orientieren. Denn diese Nacht hatte ich nicht, wie sonst, in meinem kleinen Zimmer bei meiner Gastfamilie im Stadtzentrum neben dem Olympiastadion verbracht, sondern in einem der schmalen Gästezimmer des NGO-Büros in der Provinz Kampong Speu im Westen Kambodschas.  

Statt meiner selbst dekorierten Hello-Kitty-Wände und dem gut belüfteten Zimmer fand ich mich in einem schlichten Raum mit einem Ventilator am Fußende des Betts wieder. Meine Organisation, LHCO (Lutheran Hope Cambodia Organization), hatte gemeinsam mit der japanisch-christlichen JELA-Stiftung eine Exkursion für japanische Studierende organisiert. Ziel war es, die Zusammenarbeit zu dokumentieren und zu feiern. Aufgrund meines Alters und meiner Position als deutsche Freiwillige war ich ebenfalls eingeladen worden, mittlerweile war es bereits der dritte Tag unserer Reise.

Ein Schulbesuch mit offenen Augen und geschlossenen Händen

Während meine Zimmernachbarin noch schlief, schlich ich mich ins Badezimmer, um mein Gesicht zu waschen. Anders als in der Stadt gibt es in ländlichen Regionen selten Waschbecken, Duschen oder Sitztoiletten. Stattdessen stand mir ein einfacher Wasserhahn und ein Plastikeimer zur Verfügung. Neben mir lehnte noch der Strohbesen, mit dem wir am Abend zuvor versucht hatten, ein paar Eidechsen aus unserem Zimmer zu vertreiben, mit mäßigem Erfolg. Etwa eine Stunde später waren alle wach, und wir versammelten uns einsatzbereit vor dem Bürogebäude. Wenige Meter entfernt graste eine Herde kambodschanischer Kühe. Solche Zebus sind hier allgegenwärtig, ob auf der Straße, in Tempeln, auf Autobahnen oder sogar nahe Restaurants. Diese schlanken, weiß oder braun gefärbten Tiere sind besonders hitzeresistent und daher in Südostasien weit verbreitet. Zebus sind in Kambodscha weit mehr als nur Nutztiere – sie dienen vielen Familien als Zugtiere für den Reisanbau, als Transportmittel und sogar als natürliche Düngerquelle. Besonders in ländlichen Regionen sind sie unverzichtbarer Bestandteil des Alltags und stehen für Beständigkeit, Arbeitskraft und ländliche Selbstversorgung. In der kambodschanischen Kultur, stark vom Theravāda-Buddhismus geprägt, gelten Zebus auch als Sinnbild für Geduld, Einfachheit und das harmonische Leben im Einklang mit der Natur.

Nach dem Frühstück stiegen wir ins Auto, um der Mittagssonne zu entkommen und unseren Tagesplan zu verfolgen: der Besuch einer weiteren Grundschule. Zuvor hatten wir bereits eine Schule in der Provinz Preah besucht. Unser Ziel war es, das kambodschanische Bildungssystem besser kennenzulernen, Fragen zu stellen, den interkulturellen Austausch zu stärken und mit den Kindern vor Ort in Kontakt zu treten. Kaum auf dem Schulgelände angekommen, wurden wir von Kindern und Lehrkräften mit dem traditionellen Handgruß, dem „Sampeah“, (man schließt die Hände vor die Brust/ dem Gesicht und verbeugt sich leicht) begrüßt, ein Zeichen des Respekts, das wir natürlich erwiderten. Danach erhielten wir eine Präsentation über die Schule und aktuelle Projekte. Während einer Fragerunde mit Lehrpersonen und Elternvertretern spähten immer mehr neugierige Kinderköpfe durch die Fenster des Klassenzimmers. Ihre großen Augen voller Fragen.

Gartenarbeit, Kokosnüsse und Faltkunst

Der nächste Programmpunkt: Community Work. Diese kann ganz unterschiedlich aussehen, von Baumpflanzaktionen bis hin zu Gartenarbeiten. In Anlehnung an die Herkunft unserer japanischen Gäste pflanzten wir gemeinsam Kirschbäume. Beim Arbeiten im Beet staunte ich nicht schlecht, als mir die Schülerinnen erklärten, wie man mit den traditionellen Werkzeugen umgeht. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass viele der Kinder aus Bauernfamilien stammen und von klein auf mit solchen Tätigkeiten vertraut sind. Nach der körperlichen Arbeit in der prallen Mittagssonne sehnte sich jeder von uns nach einer Abkühlung. In Kambodscha bekommt man überall frisch aufgeschlagene Kokosnüsse, für umgerechnet etwa einen Dollar. Auch die Kinder lieben das süße Wasser aus den tropischen Früchten.

Kurz darauf folgte eine kreative Einheit: Die japanischen Studierenden hatten buntes Origami-Papier mitgebracht, um den kambodschanischen Kindern die Kunst des Papierfaltens näherzubringen. Origami ist in Japan ein fester Bestandteil der
Grundschulbildung, und auch in Deutschland keine Unbekannte. So konnte ich einige meiner eigenen Kenntnisse einbringen und mit den Kindern gemeinsam Faltfiguren basteln. Viele waren fasziniert von den kleinen Kunstwerken, die am Ende entstanden, und wollten sie unbedingt ihren Familien schenken.

Laufen, Lachen, Lernen

Nach dem Origami-Basteln war es Zeit für eine kleine Verschnaufpause. Einige Kinder mussten bereits nach Hause, der Unterricht war für sie vorbei. Andere, meist die Jüngeren, blieben noch auf dem Schulgelände und hatten sichtlich Freude daran, uns ihre liebsten Pausenspiele zu zeigen. Wie auf deutschen Schulhöfen wurde viel gerannt, gefangen, gezerrt und gelacht. Es gab Fangspiele, Ballspiele und sogar eine spontane Runde Tauziehen. Gemeinsam mit den japanischen Studierenden stellte ich mich der Herausforderung, doch gegen den geballten Ehrgeiz und die Kreativität der Kinder hatten wir kaum eine Chance. Besonders bei den Spielen, bei denen man sich gegenseitig antippen oder im Kreis herumrennen musste, waren wir deutlich unterlegen. Die Kinder nahmen uns begeistert in ihre Teams auf, ließen uns aber selten gewinnen, und das war auch gut so. Die Leichtigkeit, mit der sie uns überlisteten, sorgte für viele Lacher auf beiden Seiten.

Währenddessen, oder kurz danach, kam ich ins Gespräch mit einem meiner kambodschanischen Kollegen sowie dem Schulleiter. Wir nutzten die Gelegenheit, um mehr über das Schulsystem des Landes zu erfahren. Schnell wurde deutlich, wie viele Herausforderungen Kinder auf dem Land täglich bewältigen müssen, um überhaupt zur Schule zu gelangen. In Kambodscha besteht keine allgemeine Schulpflicht. Besonders in ländlichen Gebieten ist es daher keine Selbstverständlichkeit, dass Kinder regelmäßig am Unterricht teilnehmen. Häufig arbeiten beide Elternteile ganztägig auf dem Feld – oft schon ab vier Uhr morgens bis in den Abend hinein. Die Betreuung der Kinder übernehmen in solchen Fällen meist die Großeltern, die jedoch häufig selbst schon sehr alt und körperlich eingeschränkt sind. Viele Schulen befinden sich zudem in großer Entfernung: zwischen 50 und 90 Kilometern sind keine Seltenheit. Tägliche Fahrzeiten von ein bis zwei Stunden sind keine Ausnahme – und längst nicht jede Familie kann sich Transportmittel leisten. Es gibt keinen offiziellen Schulbus. Stattdessen steht lediglich ein kleiner, improvisierter Transportwagen zur Verfügung – kein echtes Tuk-Tuk, sondern eher ein umgebautes Auto mit offener Ladefläche. Die Kinder sitzen dort dicht an dicht, halten sich an den notdürftig angebrachten Griffen fest und werden so zur Schule und wieder zurückgebracht. Doch dieses „Schulgefährt“ kann nur jene Kinder mitnehmen, die im direkten Umkreis wohnen.Diese strukturellen Hürden führen leider dazu, dass viele Kinder, trotz ihres großen Lernwillens, keine regelmäßige Schulbildung erhalten. Ein Umstand, der mich nachdenklich stimmte und mir den Wert von Bildung, wie wir ihn kennen, noch bewusster machte.

Eine Sonnenblume inmitten von Zeichen

Ein für mich ganz besonderer und unvergesslicher Moment ereignete sich, als wir das älteste Schulgebäude der Grundschule gemeinsam bemalten. Zunächst trugen wir den Hintergrund auf, dann durfte jeder von uns eigene Motive hinzufügen, kleine Botschaften auf Wänden, die von Hoffnung und Verbindung erzählten. Die japanischen Studierenden wählten filigrane Origami-Figuren und kalligrafische Schriftzeichen für „Frieden“, fein gemalt, bedacht und bedeutungsvoll. Ich selbst hatte nur die Grundfarben zur Verfügung und entschied mich spontan für etwas sehr Persönliches: eine Sonnenblume. Eine große, leuchtend gelbe Sonnenblume, mitten zwischen all den asiatisch geprägten Motiven. Meine kambodschanischen Kollegen mussten laut lachen, nicht aus Spott, sondern weil dieses Bild so unerwartet war: Die Sonnenblume, keine heimische Blume in Kambodscha, keine Verbindung zu Japan, und doch stand sie plötzlich da, als ein kleines Stückchen Deutschland an der Wand. Eine Art gut gemeinte kulturelle Überraschung. Die Kinder waren begeistert. Sie fragten nach dem Namen der Blume, wollten sie berühren, baten um Fotos mit ihr. Seitdem, so scheint es, bin ich in ihrer Erinnerung eng mit dieser Sonnenblume verbunden, ein Symbol, das mich bis zum Schluss meiner Arbeitszeit begleitet hat.

Als unser Abschied näher rückte, verzögerte sich unser Aufbruch um eine halbe Ewigkeit. Die Kinder wollten Autogramme, in japanischer Schrift, in lateinischer, auf ihren Rucksäcken, Heften, sogar auf kleinen Papierfetzen. Ich schrieb meinen Namen auf viele davon, machte unzählige Fotos. Manche Eltern kamen hinzu, andere beobachteten still lächelnd aus der Ferne. Am nächsten Morgen bestiegen wir noch gemeinsam den Aoral-Berg. Müde, aber erfüllt.

Drei Kulturen, ein gemeinsames Bild

Manche Erfahrungen kleben nicht laut an einem fest, sie sind eher wie kleine Zettel, die sich in stillen Momenten bemerkbar machen. Dieser Trip war so einer. Ich schreibe darüber nicht, weil etwas Großes passiert ist, sondern weil viele kleine Dinge passiert sind, und weil sie noch immer in meinem Kopf herumschwirren wie bunte Papierfiguren, die sich nicht ganz entfalten lassen. In dieser Woche in der kambodschanischen Provinz habe ich zum ersten Mal richtig gesehen, wie das Leben außerhalb der Hauptstadt aussieht, und gleichzeitig erlebt, was echter kultureller Austausch sein kann: ehrlich, direkt, freundlich. Ohne Filter. Beim Wandern, Spielen, Helfen im Schulgarten, Malen und Lachen haben wir einander kennengelernt. Nicht in langen Gesprächen, sondern oft einfach durchs gemeinsame Tun. Da wurde nicht viel erklärt, sondern einfach gezeigt, geschenkt, gemalt, gereicht.

Japan brachte das Origami, kleine, bunte Papierstücke, die wir gemeinsam mit den Kindern falteten und dann als Geschenk da ließen. Kambodscha schenkte uns das Bild der Zebus, ruhig, genügsam, geduldig und so eng verwoben mit dem Alltag auf dem Land. Und ich malte eine Sonnenblume, groß, leuchtend und vielleicht ein bisschen fehl am Platz. Aber die Kinder mochten sie, und es war ein Symbol für etwas das mir vertraut ist: Wärme, Freude und Harmonie. Drei Kulturen. Drei kleine Symbole. Drei Erinnerungen. Und trotzdem: Ein gemeinsamer Moment. Zwischen all unseren Unterschieden habe ich gespürt, dass es möglich ist, sich einfach so zu verstehen, ohne alles zu erklären. Dass wir gar nicht gleich sein müssen, um miteinander zu leben, sondern dass gerade die Unterschiede das Schöne ausmachen.Unsere Unterschiede sind kein Problem. Sie sind der Anfang. Der Anfang von Neugier, Zuhören und voneinander Lernen.  Und vielleicht entsteht genau daraus dieses bunte Bild, das wir gemeinsam gezeichnet haben, kein Bild von Perfektion, sondern eins von Zusammenleben. Ein Bild von Menschheit, so verschieden wie Origami, Zebus und Sonnenblumen, und gerade deshalb voller Harmonie.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters. Schülerinnen in Äthiopien

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