Liebe Midia, bevor du nach Deutschland gekommen bist, hast du Bauingenieurwesen in Aleppo in Syrien studiert. Welche Rolle haben Frauen in deiner Heimatgesellschaft gespielt und wie hat sich das auf deine eigenen Ziele ausgewirkt?
Ich hatte Vorbilder in der Familie, die mich ermutigt haben eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Das Studium hatte ich gewählt, weil es mich fachlich interessiert hat und mir der Gedanke gefällt, einen Lebensraum für uns Menschen zu schaffen. So männerdominiert wie in Deutschland war das Studium in Aleppo nicht, rund 40% des Jahrganges waren Frauen. Schwierigkeiten für Frauen vor dem Krieg in Syrien waren weniger im Studium gelagert, sondern im Alltag, wenn man zum Beispiel von den plötzlichen Verhaftungen betroffen war. Radikal geändert hat sich das mit dem Beginn des Krieges, die Situation für die Frauen hat sich deutlich verschlechtert.
2016 bist du nach Deutschland gekommen und hast dich für ein Stipendium von Brot für die Welt beworben. Der Weg bis nach Weimar, wo du studiert hast, war keine einfache Fahrt. Magst du uns etwas darüber erzählen?
Ich bin zum Studium nach Deutschland gekommen. Für mich war es immer ein Traum, während oder nach meinem Studium, ins Ausland zu gehen. Mit dem Krieg in Syrien haben sich die Perspektiven so weit verändert, dass ich gezwungen war, diesen Traum umzusetzen. Die Situation in meiner Heimat hat keine Zukunftsmöglichkeiten mehr geboten. Die Unis waren zwar noch offen, aber es gab keine Arbeitsmöglichkeiten mehr. Vor dem Krieg konnte ich neben dem Studium in einer Bank arbeiten, während des Krieges musste ich in eine Röntgen-Praxis wechseln. Die Schmerzen und Grauen des Krieges sind bei den Ärzten sichtbar geworden. Die Versorgungslage wurde immer schlechter, Lebensmittel, Trinkwasser oder Strom gab es nicht immer und nicht überall. Auf dem Land war es besser, deswegen bin ich dorthin zu Verwandten gegangen. Um die Uni besuchen zu können, musste ich regelmäßig Kontrollen durchqueren. Nie wusste man, ob man wieder zurückkommt. Mein Studium wollte ich trotz der gefährlichen Bombardierung in der Stadt, zu Ende bringen. Deswegen bin ich meiner Familie zunächst nach Istanbul gefolgt.
Schmerzen und Grauen des Krieges sichtbar geworden
Liebe Parisa, bevor du nach Deutschland gekommen bist, hast du Medizin in der Ukraine studiert. Welche Rolle haben Frauen in deiner Heimatgesellschaft gespielt und wie hat sich das auf deine eigenen Ziele ausgewirkt?
Ich komme aus dem Iran, mein Medizinstudium habe ich jedoch seit 2019 in Kiew (Ukraine) begonnen. Als Iranerin habe ich erlebt, dass Frauen viel tragen und zugleich mit strukturellen Hürden konfrontiert sind. Das hat meinen Wunsch gestärkt, unabhängig zu sein, zu studieren und später Patient*innen professionell zu helfen.
Im Jahr 2022 bist du nach Deutschland gekommen und hast dich für ein Stipendium von Brot für die Welt beworben. Der Weg bis hierher nach Hamburg, wo du studierst, war keine einfache Fahrt, sondern eine Flucht aus der Ukraine. Magst du uns etwas darüber erzählen?
Ich habe im September 2019 mein Medizinstudium in Kiew begonnen. Als am 24.02.2022 der Krieg ausbrach, lebte ich allein im Zentrum von Kiew. Nach den ersten Angriffen, Sirenen und Nächten im Schutzraum habe ich gemeinsam mit Freundinnen die Flucht angetreten: erst zum Bahnhof, dann in Richtung Lwiw, weiter zu Fuß zur Grenze (Schehyni), schließlich am 27.02.2022 über Medyka/Przemyśl und Warschau nach Deutschland; am 01.03.2022 kam ich in Berlin an. Diese Tage waren geprägt von Angst, Kälte, Erschöpfung und völliger Unsicherheit.
Frauen tragen viel und sind mit strukturellen Hürden konfrontiert
Midia, als du in Deutschland angekommen bist, welche Unterstützung hast du während deines Studiums erhalten – von Mitstudierenden, vom Stipendium von BfdW? Wie hast du vom Stipendium von BfdW erfahren?
Nach dem ich in der Türkei angekommen war, habe ich gearbeitet und mich um einen Studienplatz bemüht. In Deutschland, in Weimar, hat es irgendwann funktioniert. Dann habe ich nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht und habe mit Unterstützung von Bekannten bei der Evangelischen Kirche nach Stipendien gefragt. Da ich noch außerhalb von Deutschland war, wurde ich an Brot für die Welt verwiesen. Bei meiner Ankunft in Weimar, lernte ich die Evangelische Studentengemeinde kennen, die mir geholfen hat, mich in Weimar zu vernetzen. Auch zwei meiner Brüder wohnten schon in der Nähe und haben mich unterstützt. So habe ich den Sprachkurs geschafft und bin im Fachstudium angekommen.
Parisa, welche Unterstützung hast du während deines Studiums erhalten – von Mitstudierenden, vom Stipendium von Brot für die Welt? Welche Herausforderungen hast du erlebt?
In Hamburg wurde ich von Anfang an stark von meinen Kommiliton*innen unterstützt—besonders von deutschen Kolleginnen und syrischen Freundinnen. Sie haben mich motiviert, mir beim Ankommen an der Uni geholfen und mich durch die sprachlichen und organisatorischen Hürden begleitet, als ich ganz allein in einer neuen Stadt war. Finanziell erhielt ich im ersten Semester Unterstützung aus dem Notfonds der Diakonie (Anm. d. Red.: Unterstützung aus dem Notfonds, der in den unterschiedlichen Landeskirchen bei den Studierendengemeinden oder an Diakonischen Werken angesiedelt ist und auch von Brot für die Welt finanziert wird.), wodurch ich nicht nebenher arbeiten musste und mich auf die Prüfungen konzentrieren konnte. Nachdem ich das Brot-für-die-Welt-Stipendium bekam, fiel der finanzielle Druck weg. Dadurch konnte ich erstmals alle Fächer im ersten Anlauf bestehen und sogar 60 ECTS in einem Semester nachholen.
Stipendium von Brot für die Welt löst finanzielle Probleme
Midia, gibt es (weibliche)Vorbilder, die dich auf deinem Weg inspiriert oder unterstützt haben?
Inspiriert haben mich immer meine Tanten. Beide haben auch studiert und als Lehrerinnen gearbeitet. Sie haben mir immer Mut gemacht, das zu machen, was ich will und mich in meinem Leben zu verwirklichen.
Gab es Momente, in denen du ans Aufgeben gedacht hast? Was hat dir geholfen, weiterzumachen? Was motiviert dich, deine Ziele zu verfolgen?
Bei Behörden hätte ich manchmal aufgeben können. Das erste Semester hat mir viel Kraft geraubt, bis ich mich in das Studium in Deutschland und die Sprache hineingefunden habe. Mich motiviert immer, wenn ich versuche das Beste aus der Situation herauszuholen und auch die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen.
Parisa, gibt es (weibliche)Vorbilder, die dich auf deinem Weg inspiriert oder unterstützt haben?
Ich hatte kein einziges weibliches Vorbild. Als Erste in meiner Familie, die studiert, fehlte mir eine klassische Orientierung. Stattdessen habe ich mir meinen Weg selbst erarbeitet und mir Eigenschaften aus vielen Begegnungen „geliehen“—Mut, Ausdauer, Integrität. Dieses Mosaik aus Werten hat mich stärker geprägt als eine einzelne Person.
Gab es Momente, in denen du ans Aufgeben gedacht hast? Was hat dir geholfen, weiterzumachen? Was motiviert dich, deine Ziele zu verfolgen?
Ehrlich gesagt: Aufgeben stand für mich nie auf dem Tisch. Nach dem Krieg fühlte ich mich, als hätte ich alles verloren—Zuhause, Studium, Perspektive. In dieser Zeit hatte ich sehr dunkle Gedanken, habe mir professionelle Hilfe gesucht und Schritt für Schritt weitergemacht. Der Leitgedanke war: Ich bin weit gekommen, also gehe ich weiter. Diese Haltung trägt mich bis heute.
Wie wichtig waren Freundschaften und Netzwerke? Womit konnte das Stipendium von Brot für die Welt weiterhelfen? Gibt es ein Seminar oder Workshop, das ihr besonders interessant und bereichernd findet und weiterempfehlen möchtet?
Parisa: Durch das Brot-für-die-Welt-Stipendium konnte ich mein Studium ohne existenziellen Geldstress fortsetzen—ich bekomme kein BAföG und komme nicht aus einer wohlhabenden Familie. Im Einführungsseminar habe ich viele neue Menschen kennengelernt, darunter Studierende aus verschiedenen Ländern (auch aus der Ukraine), die ähnliches erlebt haben. Ihre Geschichten haben mir Kraft gegeben und das Gefühl, nicht allein zu sein. Über die General Assembly sind echte Freundschaften entstanden, und die Studienbegleitprogramm Nord-Seminare waren fachlich wie persönlich sehr bereichernd. Insgesamt haben Stipendium, Netzwerk und Seminare meine Motivation, mein Wohlbefinden und meine Studienleistungen deutlich verbessert.
Midia: Die Evangelische Studentengemeinde (in Weimar) war wichtig, um andere Studierende kennenzulernen. Dabei habe ich festgestellt, dass wir alle die gleichen Probleme hatten. Mit der Zeit ist auch der Austausch mit den anderen Kommilitonen stärker geworden und wir konnten uns gegenseitig unterstützen. BfdW hat ein interessantes Seminarangebot bereitgehalten. Bei den Seminaren und Veranstaltungen hat man immer auch andere Menschen und Perspektiven kennengelernt.
Gegenseitige Unterstützung hilft
Welche Unterstützung würdet ihr anderen (geflüchteten) Frauen wünschen, die in einer ähnlichen Situation sind?
Midia: Meine Botschaft ist bleibt hartnäckig und kämpft für eure Rechte und Ziele.
Parisa: Ich hoffe, dass Programme wie dieses langfristig gesichert und erweitert werden. Stipendien sind für geflüchtete Frauen oft der entscheidende Schlüssel, um ihr Studium ohne finanziellen Druck fortzusetzen. Bildung ist ein Menschenrecht; jede Frau sollte die Möglichkeit haben zu studieren. Ergänzend braucht es unbürokratischen Zugang zu Hochschulen, Sprachkurse mit Kinderbetreuung, Mentoring/Netzwerke, psychosoziale Beratung und rechtliche Orientierung. So entsteht echte Chancengleichheit.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft? Habt ihr anstehende Projekte, beruflich und gesellschaftlich, die ihr verwirklichen möchtet?
Midia: Mir ist es ein wichtiges Ziel, dass in meiner Heimat wieder Frieden herrscht und das Land aufgebaut wird. Dafür würde ich gerne mein Wissen zur Verfügung stellen.
Parisa: Ich möchte Fachärztin für Augenheilkunde werden, mich international weiterbilden und mich fachlich zur Spitzenärztin entwickeln. Später möchte ich finanziell so aufgestellt sein, dass ich Brot für die Welt unterstützen kann — als Dank für die Hilfe, die ich selbst erhalten habe.
Gibt es eine Botschaft, die ihr uns bei Brot für die Welt oder generell mitgeben möchtet?
Midia: Bleibt neugierig, stellt Fragen und lernt andere Perspektiven und Kulturen kennen. Wenn jeder seine Mitmenschen so behandelt wie er/sie selbst behandelt werden will, sind wir schon ein großes Stück weiter.
Parisa: Auf meinem Weg in Deutschland gab es Momente, in denen jede nüchterne Rechnung sagte: Das wird nicht gehen. Studium beenden, Augenärztin werden – unmöglich. In genau dieser Zeit hat mich das Stipendium von Brot für die Welt getragen. Es hat den finanziellen Druck genommen, mir Würde und Perspektive zurückgegeben und damit mein Leben verändert – ehrlich gesagt: gerettet. Danke für das Vertrauen und die achtsame, faire Auswahl. Ich weiß, dass nicht alle Bewerberinnen gefördert werden; umso mehr weiß ich diese Chance zu schätzen. Ihre Förderung hat mein Leben verändert – in einer Krisensituation sogar gerettet. Wenn ich künftig Patient*innen helfe, hat Ihr Vertrauen daran Anteil. Dafür danke ich Ihnen.
Liebe Midia, liebe Parisa, es ist sehr beeindruckend, wie ihr unter solchen schweren Bedingungen, fern der gewohnten Umgebung und ohne Unterstützung der nahen Angehörigen, es dennoch geschafft habt, einen Zugang zu höherer Bildung zu erhalten und damit selbständig für Eure Zukunft zu sorgen. Herzlich bedanke ich mich dafür, dass ihr euch die Zeit genommen habt, auf meine Fragen zu antworten und uns persönliche Einblicke in Eure Erlebnisse zu schenken. Alles Gute und viel Erfolg auf Eurem weiteren Lebensweg.
Möchten auch Sie unser Change!-Stipendienprogramm für junge geflüchtete Frauen unterstützen und Frauen wie Midia oder Parisa die Möglichkeit schenken, dank Bildung ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten? Mit Ihrer Spende tragen Sie dazu bei, dass diese bessere Zukunft Wirklichkeit wird.
Ihre Fragen beantworte ich gern und freue mich auf Ihren Anruf unter 030-65211-1234 oder schreiben Sie mir eine E-Mail an guenaelle.bartmann@brot-fuer-die-welt.de
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