Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Osten der Demokratischen Republik Kongo?
Die aktuelle Lage im Ostkongo bleibt sehr chaotisch und instabil. Bevor die Rebellengruppe M23 die Millionenstadt Goma im Januar eroberte, war diese bereits vollständig militarisiert. Die Waffen befanden sich im Besitz verschiedener Gruppen. Die Eroberung Gomas durch die M23 hat weiteres Leid verursacht: Die Banken und der einzige Flughafen der Stadt bleiben geschlossen. Dies verschärft das Leid und die Armut im Osten Kongos, da Goma den einzigen internationalen Flughafen der Region besitzt. Jetzt ist die Stadt von der Außenwelt fast abgeschnitten. Viele Geschäfte wurden geschlossen, Menschen haben ihre Arbeit verloren.
Wie reagieren die Menschen darauf?
Die Bevölkerung und die Stadt geben nicht auf. Durch jahrelanges Leiden haben sie eine Widerstandsfähigkeit entwickelt, damit das Leben weitergehen kann. Der Schulbetrieb läuft weiter, auch wenn die Finanzierung der Schulgebühren schwierig ist. Unser Krankenhaus bietet allen Opfern von Schussverletzungen kostenlose Behandlung. Die Kirche versucht, Glauben und Hoffnung lebendig zu halten.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit der Konflikt im Ostkongo beruhigt werden kann?
Dieser Krieg hat vielfältige Ursachen und kann nicht mit Waffengewalt beendet werden. Die Kriegsparteien müssen dringend einen echten Dialog führen. Da alle Kriegsparteien behaupten, für unser Volk zu kämpfen, appelliere ich an sie, das Leid unseres Volkes zu berücksichtigen und gemeinsam eine endgültige Lösung für den Konflikt zu finden. Während sie aktiv über eine Lösung für den Krieg verhandeln, sollte das öffentliche Leben weitergehen, insbesondere in den Institutionen, die das alltägliche Leben ermöglichen. Zum Beispiel die Wiedereröffnung von Banken und des Flughafens, die Möglichkeit der Bereitstellung medizinischer Versorgung usw. Das momentane Leid der Menschen im östlichen Teil Kongos ist unvorstellbar.
Welche Rolle kann die Zivilgesellschaft dabei spielen – inwieweit sind die Zivilgesellschaft und die Kirchen überhaupt noch in der Lage, Einfluss zu nehmen?
Angesichts der kollabierenden Regierung im Kongo ist die Kirche die einzige vertrauenswürdige Organisation, die in der Lage ist, Schulen, Krankenhäuser und Universitäten zu bauen und verlässlich zu betreiben. Die meisten dieser Einrichtungen unserer Kirche (CBCA) wurden von Brot für die Welt mit staatlichen Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Evangelische und die katholische Kirche genießen Vertrauen. Sie sind aktiv daran beteiligt, die Konfliktparteien in diesem Krieg an einen Tisch zu bringen und einen echten Dialog zu ermöglichen.
Wie kann die neue Bundesregierung dazu beitragen, auf einen Waffenstillstand oder Frieden hinzuwirken? Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Ich hoffe zunächst, dass die Entwicklungszusammenarbeit fortgesetzt werden kann, denn sie ist für uns von entscheidender Bedeutung. Ich möchte Deutschland, Brot für die Welt und dem BMZ dafür danken, uns als Zivilgesellschaft so lange zu stärken. Deutschland hat übrigens historische Verbindungen zur Demokratischen Republik Kongo. 1884-1885 organisierte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck die Kongo-Konferenz in Berlin und lud alle damaligen Großmächte ein, die Grenzen des Kongo und ganz Afrikas festzulegen. Das Schlussdokument, die sogenannte „Kongoakte“, legte die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien. Heute kann die deutsche Bundesregierung einen positiven Beitrag leisten, indem sie hilft, die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen, damit sie eine endgültige Lösung für den anhaltenden Konflikt finden.
Prof. Dr. Jonathan Kavusa Kivatsi forschte von 2020 bis 2022 als Gastwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seitdem lebt er wieder in Goma.