„The same procedure as every year?“- Was macht die COP 30 in Belém für dich anders oder besonders?
Sabine Minninger: Die COP 30 findet jetzt tatsächlich mal wieder in einem klassischen Partnerland von Brot für die Welt statt. Darauf freuen wir uns. In Brasilien fördert Brot für die Welt seit Jahrzehnten aktiv eine lebendige Zivilgesellschaft, fördert Lobby und Advocacy-Arbeit und unterstützt Partnerorganisationen, die zum Thema Anpassung und Klimaschutz arbeiten, konkret in der Agrarökologie und Ernährungssicherheit. Das ist der große Unterschied zu den Gastgeberländern der COP der letzten Jahre, wo eben keine lebendige Zivilgesellschaft sich äußern durfte. Ich bin sehr zuversichtlich, dass bei dieser COP die Zivilgesellschaft wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit und des Handelns stehen wird. Gleichzeitig zeigt kurz nachdem der Supersturm Melissa über Jamaika, Haiti und Kuba hinweggefegt ist, wie wichtig drastischer Klimaschutz wäre und dass die Bevölkerungsgruppen, die zunehmend Extremwetterereignissen ausgesetzt sind, in der Anpassung und der Bewältigung von Klimaschäden angemessen unterstützt werden müssen. Brot für die Welt setzt sich deshalb nicht nur für wirksamen Klimaschutz, sondern auch sehr stark dafür ein, dass bei diesen Verhandlungen endlich ein globales Anpassungsziel vereinbart wird und diesem auch substanziell Klimafinanzierung zugeordnet wird. Denn was im Moment auf dem Tisch liegt, ist viel zu vage und wir wollen sehen, dass die Verursacher der Klimakrise tatsächlich Verantwortung übernehmen.
Welche Themen konkret findet Brot für die Welt auf der COP besonders wichtig – was sind unsere Erwartungen?
Minninger: Es gibt bestimmte Themen auf der Agenda, die wir intensiv mitverfolgen werden, und zwar der Fahrplan, wie das neue Klimafinanzziel 2035 erreicht werden soll. 2024 wurde als sogenanntes New Collective Quantified Goal vereinbart, dass ein Betrag von 1,3 Billionen US Dollar bis 2035 jährlich an Aufwuchs erreicht werden soll. Dieser Fahrplan, die „Baku-to-Belém-Roadmap“, soll darlegen wie dieses beschlossene Globalziel Klimafinanzierung erreicht werden kann, aus welchen Quellen Mittel bereitgestellt werden können und wie verbindlich das eigentlich sein kann. Wir werden uns außerdem dafür einsetzen, dass die Gelder für Klimaanpassung zuschussbasiert vergeben werden. Es geht nicht, dass bei diesen Maßnahmen Kredite vergeben werden, weil sich die Staaten aus dem globalen Süden sonst nur noch weiter verschulden. Ein weiteres zentrales Thema ist „Loss and Damage“, also wie die Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten finanziell adressiert werden. Diese Kosten sind nicht Teil des globalen Finanzziels. Die Staatengemeinschaft ist bisher keine Selbstverpflichtung eingegangen, um für diese Kosten aufzukommen. Aber im nächsten Jahr sollen Vorschläge eingereicht werden, wie der neue Fonds für Klimaschäden regelmäßig aufgefüllt werden könnte.
Woher soll denn zusätzliches Geld für Klimafinanzierung kommen?
Minninger: Das Geld wäre schon da, es gibt neue Finanzquellen, auf die wir zugehen könnten, aber es fehlt am politischen Willen. Alternative Finanzquellen wären zum Beispiel eine globale Solidaritätsabgabe: Diese „Global Solidarity Levy“ zum Beispiel auf Privatjets oder auch Luxusreisen in der ersten Klasse hätte je nach Ausgestaltung das Potenzial, 43 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu generieren.
Bundeskanzler Friedrich Merz wird ja auch nach Belém reisen. Was erwartest du vom Bundeskanzler?
Minninger: Deutschland trägt eine ganz hohe Verantwortung im Rahmen der Weltklimaverhandlungen und genießt auch einen sehr guten Ruf. In der Vergangenheit war Deutschland immer ein verlässlicher Verhandlungspartner und hat gerade in der Bereitstellung der Klimafinanzierung die Messlatte hochgesetzt. Und deshalb erwarte ich von Friedrich Merz, dass er das deutsche Versprechen einhält, auch in diesem Jahr 6 Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung bereitzustellen. Und dass darüber hinaus jährlich ein Aufwuchs garantiert wird. Ein Wortbruch hätte fatale Folgen und wäre ein sehr schlechtes Signal auch an andere Geberländer.
Noch einmal der Blick nach Brasilien: Welche Chance bietet der Austragungsort Belém im Amazonasgebiet?
Minninger: Ich kann den Ansatz des Präsidenten Brasiliens gut nachvollziehen. Lula da Silva wollte den Austragungsort für die COP30 an einem Schmerzpunkt des Klimawandels. Das ist auch in dieser Hinsicht gelungen, denn der Amazonas ist ein ganz wichtiges Gebiet für unser Weltklima. Zum einen kann im Amazonas aktiv Klimaschutz betrieben werden, indem eben der Wald intakt und geschützt bleibt. Zum anderen ist aber auch diese Region ganz stark vom Klimawandel betroffen. Durch Dürren, aber auch durch den Meeresspiegelanstieg. Denn Belém liegt im Amazonasdelta. Es ist also nachvollziehbar, dass Lula da Silva die Staatsoberhäupter dorthin bringen will, wo man die Auswirkungen vom Klimawandel sehen kann, aber auch zeigen kann, wie wichtig der Schutz der internationalen Wälder ist. Aber leider hat Belém einfach nicht die Kapazitäten, um so einen großen Gipfel auszutragen. Es gibt große logistische Probleme. Das merken wir auch als Brot für die Welt mit unseren Partnerorganisationen. Es gibt zu wenige Betten und Unterkünfte, die wenigen, die es gibt, sind sehr teuer.
Wir als Brot für die Welt glauben an den Multilateralismus. Ein globales Problem, wie die Klimakrise kann nur global gelöst werden, indem alle Akteure mit dabei sind und „alle“ meint auch eine internationale, lebhafte Zivilgesellschaft, die ihre Meinung äußern kann. Die COPs im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen bieten diese internationale Plattform, wo alle gehört werden. Es sind ja gerade auch unsere Partnerorganisationen aus den ärmsten und fragilsten Staaten, die zu diesem Prozess reisen wollen, weil sie wissen, dort können sie ihre Anliegen vorbringen, hier werden sie gehört und von der ebenso angereisten Weltpresse wahrgenommen.
In Belém gibt es auch die Cúpula dos Povos – den „Völkergipfel“ - was versprichst du dir von diesem großen parallelen Treffen der Zivilgesellschaft?
Minninger: Von der Cúpula dos Povos verspreche ich mir sehr viel. Es ist ein Forum, in dem Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten diskutiert und skandalisiert werden. Es ist gut, dass unsere vielen Partnerorganisation aus Lateinamerika und weiteren Ländern aus dem globalen Süden sich hier einbringen werden. Beim geplanten Aktionstag werden sie für ihre Anliegen Gehör verschaffen können. Besonders gut in Belem wird das Zusammenspiel einer starken Zivilgesellschaft sein. Wir brauchen die Zivilgesellschaft im Verhandlungsraum, um die technischen Verhandlungen zu begleiten und daraus politische Empfehlungen und Forderungen zu formulieren. Genauso aber brauchen wir auch die Zivilgesellschaft auf der Straße, die sich eben fern der Verhandlungsräume koordiniert und ihre Anliegen in den öffentlichen Raum bringt.


