Globale Ausgangslage: Zunahme sozialer Krisen
Covid-19-Pandemie, Schuldenkrise, Extremwetterereignisse sowie Konflikte haben Armut und Vulnerabilität weltweit weiter verschärft. Gleichzeitig erschwert ein erstarkender nationaler Egoismus multilaterale Lösungsansätze und internationale Kooperation, was sich auch in Kürzungen der Entwicklungsfinanzierung zeigt. Laut aktuellen Zahlen leben 831 Millionen Menschen in extremer Armut. Legt man die Definition multidimensionaler Armut zugrunde (auf die auch in der Doha-Erklärung Bezug genommen wird), sind es sogar 1,1 Milliarden. 733 Millionen Menschen leiden unter Hunger und Mangelernährung, und etwa 3,8 Milliarden haben keinen Zugang zu sozialer Sicherung (bspw. Krankenversicherung oder Sozialhilfe). Rund zwei Milliarden Menschen arbeiten im informellen Sektor, etwa 120 Millionen sind auf der Flucht.
Ein Blick auf die Umsetzung der Agenda 2030 zeigt: Nur 18 Prozent der Ziele sind auf Kurs, bei weiteren 18 Prozent ist sogar ein Rückschritt hinter den Stand von 2015 festzustellen. Kein Wunder also, dass UN-Generalsekretär António Guterres mit dem Gipfel einen „booster shot“ für die Agenda 2030 erreichen wollte.
Ungleichheit als zentrales Thema
Trotz aller Fortschritte hinsichtlich Armut, Bildung, Gesundheit und Geschlechtergerechtigkeit, die seit dem ersten Weltsozialgipfel 1995 erreicht wurden, war die zunehmende Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten der sprichwörtliche „Elefant im Raum“ während des gesamten Gipfels. Gleichwohl meiden viele Staaten, insbesondere im globalen Norden, weiterhin die echte Auseinandersetzung mit den strukturellen Ursachen globaler Ungleichheit, darunter historische Verantwortlichkeiten, ungleiche Handelsbeziehungen und Machtasymmetrien im internationalen Finanzsystem.
Daran hat leider auch dieser Gipfel nichts geändert. Die politische Erklärung von Doha bekennt sich zu sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten, Geschlechtergleichstellung, sozialer Sicherheit, menschenwürdiger Arbeit und einer Stärkung des Multilateralismus – doch sie enthält kaum verbindliche Maßnahmen und wenige Aussagen zu globalen Vermögensverhältnissen und Machtfragen im internationalen Finanzsystem. So lassen sich die Ursachen wachsender Ungleichheit nicht beseitigen.
Umsetzungslücke: Finanzierungsfragen im Zentrum
Zum einen fehlt es an ambitionierten Maßnahmen zur Stärkung sozialer Sicherungssysteme, an Reformen des internationalen Finanzsystems, an konkreten, messbaren Zielen sowie an klaren Indikatoren zur Überprüfung der Zielerreichung. Zum anderen steht außer Frage: Ohne ausreichende Finanzierung droht die Absichtserklärung von Doha zu verpuffen. Viele Länder des Globalen Südens befinden sich in einer zunehmend prekären Finanzlage. Steigende Schulden, stagnierende Steuereinnahmen und Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit schränken ihr Handlungspotenzial massiv ein. Die Präsidentin der UN-Generalversammlung, Annalena Baerbock, warnte kurz vor dem Gipfel, dass die Schulden der Entwicklungsländer im vergangenen Jahr 31 Milliarden Dollar erreicht hätten. Das bedeute, so Baerbock weiter, dass viele Regierungen Milliarden in den Schuldendienst stecken müssten, statt durch den Bau von Schulen oder den Ausbau der Gesundheitsversorgung in die Zukunft ihrer Bevölkerung zu investieren. Dies betrifft 3,4 Milliarden Menschen weltweit.
Und so bleibt die Welt in dieser Logik gefangen: Die Länder, die sich am stärksten verschuldet haben – oft durch globale Krisen, für die sie selbst kaum Verantwortung tragen –, müssen sparen, an Sozialem und an der Zukunft. Vertreter der Afrikanischen Gruppe fordern daher zu Recht ein gerechtes internationales Steuersystem, eine UN-Steuerrahmenkonvention, eine UN-Schuldenkonvention, eine Reform der internationalen Finanzarchitektur, fairen Handel und eine größere Mitbestimmung im multilateralen System. Ohne tiefgreifende Reformen, eine Lösung der Schuldenkrise, eine konsequente Bekämpfung von Steuervermeidung, Vermögensungleichheit und illegalen Finanzflüssen, wird die Kehrtwende nicht gelingen.
Deutschland und die Glaubwürdigkeitslücke
Deutschland betonte in seinem offiziellen Statement, soziale Gerechtigkeit müsse auf der globalen Agenda wieder ganz nach vorne rücken, nachhaltiger Frieden sei nur mit sozialen Rechten zu erreichen. Gleichzeitig sinken jedoch die deutschen Beiträge zur Entwicklungsfinanzierung erheblich. Während sich die Staaten, auch Deutschland, in Doha erneut zum 0,7-Prozent-Ziel (Anteil der öffentlichen Entwicklungsleistungen am Bruttonationaleinkommen) bekannten, fällt die deutsche Quote nach 2024 auch 2025 und 2026 deutlich darunter – das Ergebnis einer bewussten politischen Entscheidung und ein klarer Widerspruch zu den formulierten Ansprüchen.
Will die deutsche Bundesregierung ein glaubwürdiger Akteur für globale soziale Gerechtigkeit sein, muss sie die Umsetzung der Doha-Erklärung und der damit in Verbindung stehenden Beschlüsse zur Reform des internationalen Finanzsystems ambitioniert vorantreiben.
Fazit
Der zweite Weltsozialgipfel sollte ein Moment zur Bekräftigung sozialer Entwicklung und Gerechtigkeit weltweit sein. Ob Doha tatsächlich Fortschritte bei der Eindämmung globaler Ungleichheit bringt, wird stark von der Umsetzung abhängen. Die stellvertretende UN-Generalsekretärin, Amina J. Mohammed, fand dafür eindringliche Worte: „Vor 30 Jahren haben wir in Kopenhagen einer Generation Versprechen gegeben. Einige haben wir gehalten, zu viele jedoch nicht. Heute geben wir in Doha der heutigen und der nächsten Generation Versprechen. Sie werden zurückblicken auf das, was wir hier getan haben – nicht auf das, was wir gesagt haben, sondern auf das, was wir erreicht haben. Sie werden fragen, ob wir den Mut hatten, den Kurs zu ändern, ob wir diesmal unsere Versprechen gehalten haben. Und die Antwort muss 'Ja' lauten.“
In dieser Äußerung steckt die ganze Ambivalenz eines Gipfels, der viel wollte, aber wenig Konkretes lieferte. In fünf Jahren wird das erste Follow-up zeigen, ob die Staatengemeinschaft ihren Worten Taten folgen lässt. Ob Doha der Aufbruch war – oder nur ein weiterer Gipfel.
Dieser Blog wurde mit Unterstützung von Nicola Wiebe verfasst.


