Sozialschutzprogramme waren ein wesentliches Instrument, um der Pandemie zu begegnen und ihre gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf Einzelpersonen und Gesellschaften abzumildern. Bislang haben 209 Länder als Reaktion auf COVID-19 1.568 Sozialschutzmaßnahmen verabschiedet - 54 % dieser Maßnahmen waren neue Nothilfeprogramme und 46 % Anpassungen bereits bestehender beitragsfinanzierter oder steuerfinanzierter Sozialschutzprogramme (ILO, 16.11.2020). Mosambik beispielsweise passte sein nationales Bargeldtransferprogramm an, um seinen 600.000 Empfängern höhere Leistungen zu bieten, und weitete die Transfers als vorübergehende Nothilfe auf eine Million zusätzliche Personen aus.
Trotz der beeindruckenden Anzahl und des Umfangs der Maßnahmen haben viele Programme nicht alle Menschen schützen können. Insbesondere fiel es schwer, diejenigen zu erreichen, die zuvor noch gar nicht in das Sozialschutzsystem integriert waren, wie z.B. Beschäftigte im informellen Sektor (ILO, 2020a; CGAP, 2020). Insgesamt ist die Performance der Programme sehr unterschiedlich und deutet auf das Geheimnis des Erfolgs: "Wir haben wieder einmal gesehen, dass Länder, die bereits über gut gestaltete Sozialschutzsysteme verfügten, in der Lage waren, schnell den Zugang zu dringend benötigter Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und Einkommenssicherheit durch Krankengeld, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sicherzustellen" (Valérie Schmitt, ILO).
Große Lücken in den sozialen Sicherungssystemen
Unter den Menschen, die ohne Einkommensmöglichkeiten und ohne angemessenen sozialen Schutz bleiben, nehmen Hunger und extreme Armut dramatisch zu. Es wird erwartet, dass durch die COVID-19-Pandemie in diesem Jahr zwischen 83 und 132 Millionen Menschen zusätzlich an Hunger leiden werden (FAO et al., 2020). Lücken in der sozialen Absicherung hängen nicht ausschließlich, aber doch stark mit finanziellen Engpässen zusammen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass allein im Jahr 2020 rund 77,9 Mrd. US$ erforderlich wären, um grundlegenden Sozialschutz in allen Ländern mit niedrigem Einkommen vollständig sicherzustellen (ILO, 9/2020b).
Obwohl die Finanzierung des Sozialschutzes in erster Linie in der Verantwortung der nationalen Regierungen liegt, ist es offensichtlich, dass in einigen Ländern mit niedrigem Einkommen internationale Unterstützung erforderlich ist, bis die inländische Kapazität zur Steuererhebung steigt und die internationale Steuergerechtigkeit sich verbessert. Während die Finanzierungslücke für einkommensschwache Länder durchschnittlich 15,9 % ihres BIP ausmacht, beträgt sie bezogen auf das globale BIP nur 0,25 %.
Die am weitesten Zurückgelassenen zuerst erreichen
Erstaunlicherweise sind die internationalen Finanzmittel für den Sozialschutz immer noch extrem niedrig, trotz der umfangreichen wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Investitionen in soziale Sicherheit zur Bekämpfung der extremen Armut. Die internationale Hilfe deckt nur etwa 3% der Finanzierungslücke der sozialen Sicherheit in Ländern mit niedrigem Einkommen (Manuel et al., 2020).
Die COVID-19-Krise hat die Bereitschaft vieler Länder offenbart, beispiellose finanzielle Anstrengungen zu unternehmen, um sozialen Schutz zu bieten. Ein Globaler Fonds für Soziale Sicherheit könnte nun diese nationalen Initiativen stärken und gut funktionierende Formen der internationalen Zusammenarbeit ausbauen. Er könnte dazu beitragen, die derzeitigen Nothilfeprogramme in kohärente Elemente nachhaltiger Sozialschutzsysteme umzuwandeln, die auch auf künftige Krisen reagieren können. Es ist notwendig, als globale Gemeinschaft zu handeln und das Ziel der universellen sozialen Sicherheit entschlossen voranzutreiben, beginnend mit denjenigen, die bisher am weitesten zurückgelassen worden sind.
Lehren aus anderen Globalen Fonds
Der Vorschlag, Mittel für Themen mit hoher Priorität global zu bündeln, ist alles andere als neu. Schon oft war es das Instrument der Wahl, um sich für gemeinsame Ziele und koordinierten Fortschritt in verschiedenen spezifischen Sektoren einzusetzen, wie zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit (Globaler Fonds für AIDS, Tuberkulose und Malaria), Bildung (Education cannot wait) und Klima (Green Climate Fund) sowie im Zusammenhang mit der sektorübergreifenden Agenda 2030 (Joint SDG Fund).
Es gibt wichtige Lehren aus den früheren Erfahrungen mit Globalen Fonds zu ziehen. Dazu gehört die Beobachtung, dass Globale Fonds in der Lage waren, politisches Engagement auf nationaler und internationaler Ebene zu mobilisieren. Globale Fonds kamen mit einem stärkeren Fokus auf Daten, Ergebnisse und gemeinsames Lernen und haben zu effektiveren kollektiven Geberanstrengungen geführt (Manuel und Manuel, 2018). Im Kontext des Sozialschutzes ist die Geberkoordination besonders wichtig, da Soziale Sicherungssysteme integriert und kohärent sein müssen: "Fragmentierte Hilfe und damit verbundene Beratung verkörpert das Risiko, dass Systeme unkoordiniert und fragmentiert werden oder bleiben" (Michael Cichon, GCSPF).
Frühere Erfahrungen mit Globalen Fonds haben auch starke Kritik hervorgerufen, hauptsächlich wegen ihres engen, vertikalen Interventionsfokus, der Dominanz der Geber und der zusätzlichen Bürokratie. Daher sind die spezifischen Gestaltungsmerkmale - Mandat, Governance-Struktur und Verfahren - extrem wichtig.
Mandat eines Globalen Fonds für Sozialschutz
Im Vorschlag der Global Coalition for Social Protection Floors unterscheidet sich das Mandat eines Globalen Fonds für Sozialschutz explizit von einem engen, vertikalen Interventionsfokus. Es wird beschrieben als "Unterstützung nationaler Regierungen in ihren Bemühungen, ihre universellen und rechtebasierten Sozialschutzsysteme aufzubauen und zu stärken, basierend auf nationalen Dialogen mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft" (GCSPF 2020). Im Wesentlichen ist das Ziel, für Folgendes zu sorgen:
1. Technische Unterstützung bei der Einführung oder Vervollständigung von grundlegendem Sozialschutz (social protection floors) und bei der Entwicklung der Kapazität, den Sozialschutz in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten und auszubauen.
2. Kofinanzierung von grundlegendem Sozialschutz in Fällen, in denen einkommensschwache Länder dafür einen prohibitiv hohen Anteil ihres derzeitigen Gesamtsteueraufkommens benötigen würden.
3. Unterstützung in Krisenzeiten, um die Reaktionsfähigkeit der Sozialschutzsysteme zu stärken.
Ein Globaler Fonds für Soziale Sicherheit ist wichtig, nicht nur, um zusätzliche internationale Finanzmittel zu gewinnen, sondern auch, um inländische Ressourcen zu mobilisieren und die politische und technische Kohärenz für einen effizienten und rechenschaftspflichtigen Aufbau der nationalen Sozialschutzsysteme zu unterstützen: "Wesentliche Elemente für einen nachhaltigen Systemaufbau sind ein inklusiver nationaler sozialer Dialog, eine Gesetzgebung, die sicherstellt, dass Sozialschutz zu einem Recht wird, und verlässliche Mittelzuweisungen im nationalen Haushalt. Das Mandat eines Globalen Fonds für Sozialschutz ist es, eine katalytische Rolle bei der Stärkung dieser Elemente zu spielen" (Gabriel Fernandez, APSP).
Governance-Merkmale
Folglich muss die Governance-Struktur eines Globalen Fonds für Soziale Sicherheit die Eigenverantwortung der Länder in den Vordergrund stellen, wie es in der Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit vereinbart wurde. "Es ist allein Sache der Empfängerländer, über die konkrete Ausgestaltung ihrer nationalen Sozialschutzuntergrenzen zu entscheiden - auch wenn diese vorübergehend von internationalen Gebern mitfinanziert werden. Deshalb müssen die Entscheidungsstrukturen des Fonds so gestaltet sein, dass keine Entscheidungen gegen den Willen der Empfängerländer getroffen werden können" (Markus Kaltenborn, RUB).
Das zweite vorrangige Merkmal ist die institutionalisierte Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft. "Die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft haben eine wichtige Rolle als Teil des nationalen sozialen Dialogs, bei der Gestaltung, Umsetzung und Überwachung des Sozialschutzes, um den politischen Willen für eine langfristige Bereitstellung der öffentlichen Ausgaben aufrechtzuerhalten und um die Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. Folglich haben sie auch eine Rolle innerhalb der internationalen Governance-Struktur eines Globalen Fonds für Sozialschutz zu spielen" (Sulistri Afrileston, KSBSI/ITUC).
Auf dem Weg zu Sozialer Sicherheit weltweit
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich seit langem verpflichtet, das Menschenrecht aller Menschen auf sozialen Schutz zu gewährleisten. In dieser Dekade zur Umsetzung der 2030-Agenda müssen die Zusagen in greifbare Ergebnisse umgesetzt werden. "Dies gebietet nicht nur die globale Solidarität, sondern es gibt dazu auch eine rechtliche Verpflichtung, die sich aus den grundlegenden Menschenrechten ableitet (...)." (Kaltenborn, 2020).
Um grundlegende soziale Sicherheit aufzubauen, auf die wir uns auch in Krisenzeiten verlassen können, bedarf es entschlossener und mutiger Schritte zu mehr nationaler und internationaler Solidarität. "Das gegenwärtige Niveau der Ungleichheit des Lebensstandards und der Ungerechtigkeit ist in einer globalisierten Welt nicht haltbar. In einer Welt mit globalen Märkten, globaler Gesundheitskrise, globaler Migration, globalen Finanz- und Wirtschaftskrisen und einer drohenden Klimakatastrophe kann die Solidarität zwischen den Menschen nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Der Fonds ist nur ein winziger Beitrag, aber vielleicht ein sichtbares Zeichen für dieses Verständnis" (Michael Cichon, GCSPF).
Dieser Blogbeitrag dient der Verbreitung der wichtigsten Diskussionen und Ergebnisse der globalen e-Konferenz 'Turning the COVID-19 crisis into an opportunity: What's next for social protection?', die im Oktober 2020 stattfand. Der Blog wurde zunächst auf der Wissensplattform socialprotection.org in englischer Sprache geteilt. Er fasst die Kernaussagen des Side Events der e-Conference zum Thema "Ein globaler Fonds für Sozialschutz" zusammen. Die Sitzung wurde von Alison Tate, Direktorin für Wirtschafts- und Sozialpolitik des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), moderiert. Es sprachen: Valérie Schmitt, stellvertretende Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO); Gabriel Fernandez, Spezialist für Soziale Sicherheit der Africa Platform for Social Protection (APSP); Markus Kaltenborn, Professor für Rechtswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum (RUB); Sulistri Afrileston, stellvertretende Präsidentin der Confederation of Indonesia Prosperous Trade Union KSBSI, Mitglied des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB); Michael Cichon, emeritierter Professor für Soziale Sicherheit der Maastricht Graduate School of Governance an der Universität der Vereinten Nationen in Maastricht (UNU MERIT); Marcus Manuel, Senior Research Associate des Overseas Development Institute (ODI). Sie können die gesamte Veranstaltung hier ansehen.
Literatur:
CGAP (2020). Relief for Informal Workers: Falling through the Cracks in COVID-19, Covid-19 Briefing
FAO et al. (2020). The Report on the State of Food Security and Nutrition in the World, (reliefweb.int)
GCSPF (2020). Global Fund for Social protection. Concept note.
ILO (9/2020a). Extending social protection to informal workers in the COVID-19 crisis: country responses and policy considerations, Social Protection Spotlight
ILO (9/2020b). Financing gaps in social protection: Global estimates and strategies for developing countries in light of the COVID-19 crisis and beyond, Social Protection Spotlight
ILO (16/11/2020). Social Protection Monitor, International Labour Organization
Kaltenborn, M. (2020). “Social Protection Floors as an investment in the future”, International Journal of Public Law and Policy (IJPLAP), vol. 7 (2020), forthcoming
Manuel, M. et al. (2020). Financing the reduction of extreme poverty post-Covid-19, ODI Briefing Note.
Manuel, M. and Manuel, C. (2018). Achieving equal access to justice for all by 2030. Lessons from global funds, ODI working paper 537