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Die zivile Seenotrettung wird immer schwieriger!

Mitte Mai rettete Sea-Watch e.V. 64 in Seenot geratene Menschen vor dem Ertrinken. Im Interview sprachen Katherine Braun und Maja Kurz mit Ruben Neugebauer von Sea-Watch über die Auswirkungen europäischer Migrationspolitik auf die Situation auf dem Mittelmeer.

Von Dr. Katherine Braun am

Am 15.5. rettete die Sea Watch 3 64 Menschen vor der libyischen Küste. Die Suche nach sicheren Häfen gestaltet sich schwierig.

„Wir haben keine Migrationskrise, sondern eine Krise der Menschenrechte“

Katherine Braun:Die zivile Seenotrettung wird immer stärker kriminalisiert und an ihrer Arbeit gehindert. Erst letzte Woche konnte die Sea-Watch 3 nach einer längeren Blockade wieder ins Such- und Rettungsgebiet. Ihr habt erfolgreich gegen neue Sicherheitsauflagen für NGO-Schiffe in den Niederlanden geklagt. Der Kapitän der „Lifeline“ ist zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er 264 Menschen gerettet hatte. Begründet wurde die Klage allerdings damit, dass er das Schiff nicht ordnungsgemäß registriert habe. Klarer drückt sich der italienische Innenminister Matteo Salvini aus: er hat zuletzt 3500-5500 Euro Strafgelder pro gerettete_r Migrant_in angedroht. Wie wirken sich diese Entwicklungen auf die Situation im Mittelmeer und das Leben der flüchtenden Menschen aus?

Ruben Neugebauer: Die Situation ist sehr schwierig. Die Todesrate hat sich im Vergleich zum vorigen Jahr  vervierfacht – und das sind nur die offiziellen Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte darüber liegen, jedoch gibt es immer weniger Zeugen hierfür, weil die Häfen in der EU für die zivile Seenotrettung de facto dicht sind. Die italienische Flotte, die gut ausgerüstet war und viele Rettungsaktionen durchgeführt hat, wurde abgezogen und die Verantwortung an die sogenannte libysche Küstenwache abgegeben. Handelsschiffe, die meist die Erste Hilfe übernommen hatten, trauen sich nicht mehr zu retten, da ihnen Dienstausfälle oder Probleme beim Anlegen in Häfen drohen. Wir wurden von der niederländischen Regierung, unter deren Flagge die Sea-Watch 3 fährt, aufgrund von Sicherheitsauflagen blockiert. Die Niederländer haben für uns einen eigenen Schiffstyp eingeführt, sodass sie die Regelungen auf das Absurdeste hochschrauben können. Die Blockade wurde  vorläufig aufgehoben, sodass mit der Mare Jonio (Mediterranea) wieder zwei Schiffe auf dem Mittelmeer  operieren. Weil Malta als Basis weggefallen ist, müssen wir weite Wege zu anderen Werften fahren. Die Schiffe werden tagelang im Einsatzgebiet fehlen.

"Die Schiffe werden tagelang im Einsatzgebiet fehlen"

In der Hochphase 2017 hatten wir als zivile Flotte – insgesamt, nicht nur als Sea-Watch allein –  zwölf Schiffe im Einsatz. Damit kann man ein mehrere 100 Quadratmeilen großes Seegebiet abdecken. In den vergangenen Wochen war es hingegen so, dass nur ein einziges Schiff vor der libyschen Küste  im Einsatz war. Wenn es sich östlich von Tripolis befindet, gelangt es nicht einfach in den Westen, dazwischen liegen 100 Meilen, fast 10 Stunden Fahrt. Selbst wenn wir unsere Maschinen pushen, kommen wir dort dann zu spät an. Die Folge sind dann 117 Tote. Bootsunglücke passieren täglich, weshalb wir mit dem Aufklärungsflugzeug Moonbird versuchen, das Gebiet weiter abzudecken. Mithilfe von Colibri, einem weiterem Flugzeug, und dem „Alarm Phone“ wollen wir Menschen aus der Seenot helfen und auf diese aufmerksam machen, da sonst kein ziviles Auge mehr vorhanden ist. In Europa haben wir keine Migrationskrise, sondern eine Krise der Menschenrechte. Zivilisatorische Grundsätze werden außer Acht gelassen, wenn man Menschen ganz bewusst ertrinken lässt.

Maja Kurz: Im März beendete die europäische militärische Operation EUNAVFOR MED Sophia ihren Einsatz auf See, seitdem wird nur noch aus der Luft überwacht. Viele kritisieren die Einstellung der militärischen Operation, andere forderten den Ausbau der zivilen Seenotrettung.

„Die Prioritätensetzung der Operation Sophia war eine falsche“

Ruben Neugebauer: Faktisch haben die Schiffe von Sophia zwar Menschen gerettet, aber ich finde es immer wichtig, auf den Anfang der Mission 2015 zu schauen. Am 17. April gab es ein Bootsunglück mit mehreren hundert Toten. Damals machte die Bevölkerung noch Druck auf die Bundesregierung, um das Sterben zu stoppen. Ursula van der Leyen hat dann tatsächlich eine Fregatte losgeschickt, die vernünftige Arbeit gemacht hat. Diese Schiffe sind gut für Seenotrettungen geeignet, da sie mit Schnellbooten, einem Krankenhaus und guten Radars ausgestattet sind. Innerhalb weniger Monate haben sie mit nur einem Schiff tausende Menschen gerettet. Das ist es, wozu die Schiffe in der Lage sind, wenn sie wollen. Da war der Tenor: Unter nationalem Kommando zur expliziten Seenotrettung. Die Operation Sophia war einem anderen Mandat unterstellt. Sie retteten zwar noch, wenn ihnen ein Schlauchboot in die Quere kam, ansonsten war ihre Aufgabe, Schleuser zu bekämpfen. Aus der Seenotrettung haben sie sich eher herausgehalten.

Maja Kurz: Von Mare Nostrum zu Sophia: Die EU-Migrationspolitik setzt weiterhin vor allem auf die Schleuserbekämpfung?

Ruben Neugebauer: Ich habe das selbst erlebt, als an einem Tag 700 Menschen in Seenot waren. Statt dass sich der Hubschrauber darum kümmert zu koordinieren, welches Boot am dringendsten Hilfe braucht und wo Rettungswesten benötigt werden, ist der Hubschrauber irgendeinem Schleuserboot hinterhergeflogen. Die Prioritätensetzung war eine falsche.

Eine der fatalsten Auswirkungen ist, dass die Operation das Businessmodell der Schmuggler verändert hat. Vorher sind sie mit großen Holzbooten bis vor Lampedusa gefahren und dann wieder zurück. EUNAVFOR MED begann, die großen Schiffe zu zerstören. Diese Schiffe waren zwar auch nicht sicher, aber weniger gefährlich, als die Schlauchboote, die daraufhin eingesetzt wurden. Die sind wesentlich instabiler und geraten deutlich früher in Seenot. Die Rettungen wurden so immer weiter an die libysche Küste gerückt. Zugleich stieg die Todesrate deutlich, da keine Rettungseinheiten mehr da waren. Daraufhin hat die Zivilgesellschaft reagiert und Rettungsschiffe losgeschickt. Politik und Medien hingegen stellten die zivile Rettung an der libyschen Küste als Pull-Faktor dar und machten NGOs für den Anstieg der Toten mitverantwortlich. Ich finde es wichtig, dass die verschiedenen korrelierenden Faktoren, die in der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen werden, auch miteinbezogen werden. Und klar, die Operation Sophia hat Menschen gerettet, aber gleichzeitig die Situation fast verschlimmert.

Die Operation Sophia hatte aber auch noch weitere Effekte: Zuvor hatten alle Boote Satellitentelefone an Bord, die bei Seenot genutzt wurden.  Während der Operation Sophia wurden all diejenigen kriminalisiert, die mit Hilfe des Telefons einen Hilferuf betätigten. Die Konsequenz war, dass sie die Telefone versenkten, bevor sie gerettet waren.

„Die Schleuserbekämpfung ist ein Konjunkturpaket für Schlepper“

Katherine Braun:Die Berichterstattungen über Libyen sind alarmierend. Während humanitäre Organisationen eine sofortige Evakuierung von Migrant_innen aus den libyschen Flüchtlingslagern fordern, setzen die europäischen Regierungen weiterhin auf die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, setzen die europäischen Regierungen weiterhin auf die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache. Wie beurteilt Sea-Watch dieses Vorgehen?

Ruben Neugebauer: Die so genannte Schleuserbekämpfung der EU ist nichts anderes als ein Konjunkturpaket für Schleuser. Das läuft nach dem ökonomischen Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die EU treibt die Preise für die Schleuserei gerade nach oben. Dieselben Leute, die früher Menschen auf Schlauchboote gesetzt haben, erpressen heute Gelder von den Verwandten und schrecken auch nicht vor heftigen Menschenrechtsverbrechen zurück. Bei einem meiner letzten Einsätze erzählte ein Mann, dass dies sein dritter Versuch gewesen sei, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Beim ersten Mal wurde er von der libyschen Küstenwache direkt ins „Transitzentrum“ gebracht, was de facto ein Foltergefängnis ist. Von da aus musste er seine Familie anrufen, die ein Lösegeld für seine Befreiung zahlen sollte. Zugleich wurde neben ihm sein Freund erschossen, weil seine Familie nicht gezahlt hatte  –  um den Druck zu erhöhen. Die Campbetreiber,  oft Milizen, arbeiten eng zusammen. Und das sind die Leute, die die EU unterstützt.

Zynisch ist auch, dass die libysche Küstenwache nie Rettungsschiffe bekommen hat, sondern militärische Patrouillenboote. Jetzt werden sie dafür eingesetzt, wofür sie mal gebaut wurden, nämlich im Krieg gegen Haftar. Irgendwelche Milizen haben die Boote wohl beschlagnahmt, zumindest sind sie nicht mehr im Einsatz. Die Quellenlage hierzu ist allerdings dünn. Letztendlich ist es so, dass man zur Anzahl der Toten im Mittelmeer die Opfer aus den Camps dazurechnen muss. Dann sieht die Bilanz ganz anders aus.

Katherine Braun:In Film „Lifeboat – Das Experiment“ simuliert Sea-Watch mit 40 Freiwilligen eine Flucht über das Mittelmeer. Die Beteiligten verbringen fünf Stunden in einem Rettungsboot, um die Strapazen der Flucht nachempfindbar zu machen. Bei den Zuschauern soll so Empathie ausgelöst werden. In dem Werbespot, den euch die Partei Die PARTEI zur Verfügung gestellt hat, sieht man während der gesamten Dauer einen Jungen, der ertrinkt. Das sind drastische Maßnahmen, die in den Medien und sozialen Netzwerken auch als zynisch kritisiert wurden. Was war die Idee dahinter?

„Die Idee des Experiments war, den Rassismus offen zu legen“

Ruben Neugebauer: Die Idee des Experiments war, den Rassismus offen zu legen. Das ist nicht ganz gelungen. Wir wollten, dass man sich die Frage stellt, warum es für viele Menschen einen emotionalen Unterschied macht, wenn weiße Deutsche im Boot sitzen. Warum identifiziere ich mich mit denen mehr? Darauf gibt es nur eine Antwort: Rassismus. Es ging uns darum, überhaupt eine Diskussion anzuregen. Ich bin sehr dankbar für den Artikel auf Bento, der unsere Aktion als zynisch kritisiert. Genau das sind die Diskussionen, die wir führen wollen. Natürlich ist es zynisch, das ist gar keine Frage! Keine Simulation kommt an das heran, was Geflüchtete auf ihrer Reise durchmachen. Und wenn ich mir dazu die Diskussion um sogenannte „Wirtschaftsmigranten“ anschaue, die nicht nur bei der AfD, sondern auch bei den Grünen und den Linken weit verbreitet sind, meist unter dem Motto: „Aber es können ja nicht alle kommen“. Uns ist wichtig zu thematisieren, dass es einen Unterschied macht, ob da weiße oder schwarze Menschen sitzen.

Katherine Braun: Diese Debatte wollt ihr auch im Zuge der Europawahlen anstoßen. Welche Rolle spielt für euch die EU-Migrationspolitik?

Ruben Neugebauer: Im Moment ist es so, dass die Seenotrettung konditional zu EU-Verhandlungen ist: Man rettet, wenn sich Staaten freiwillig bereit erklären, Menschen aufzunehmen. Dann darf man einlaufen. Das kann natürlich nicht sein! Das ist, als ob man den Verletzten bei einem Motorradunfall  so lange bluten lässt, bis sich die Versicherungen darauf geeinigt haben, wer  die Behandlungskosten übernimmt. Das ist genau die Logik, die gerade stattfindet – hochgradig zynisch. Und schlichtweg rassistisch. Es ist sehr bedenklich, wenn Rettungsleitstellen informiert sind und einfach nichts machen. Da gibt es diplomatische Wege, das Auswärtige Amt könnte den italienischen Botschafter einbestellen, wenn die dortige Rettungsleitstelle niemand losschickt. Es wird immer so getan, als wären andere zuständig.

"Die europäischen Regierungen wollen die Menschen lieber auf dem Mittelmeer sterben sehen, als dass sie in ihren Küstenstädten ankommen"

Die europäischen Regierungen wollen die Menschen lieber auf dem Mittelmeer sterben sehen, als dass sie in ihren Küstenstädten ankommen. Es hört sich drastisch an, aber so ist es. Mit einem kleinen Teil der Mittel, die für Rüstung ausgegeben werden, könnte man viele Menschenleben retten. Aber Europa hat keine Migrations-, sondern eine realitätsferne Migrationsverhinderungspolitik! Wir als zivile Seenotrettung machen da nur Symptombekämpfung. Aber wir werden die Situation nicht lösen.  Solange Menschen dort auf die Boote steigen, weil ihnen jegliche legale Route verweigert wird, werden wir weiterhin Tote haben. Darüber brauchen wir uns keine Illusionen machen.

 

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