Am Sonntag gehen die Präsidentschaftswahlen in die letzte Runde. Der klare Favorit ist Jair Bolsonaro, ein politischer Rechtsaußen, der seit Wochen mit extremistischen menschenverachtenden Parolen auf sich aufmerksam macht. Und er legt noch eine Schippe drauf: er verherrlicht die Zeiten der Militärdiktatur.
Aus dem Nichts zum Erlöser
Noch bis vor wenigen Monaten galt der politische Hardliner als Außenseiter. Der Ex-Fallschirmjäger sitzt seit fast drei Jahrzehnten als Abgeordneter im Kongress und wechselte Anfang des Jahres in die rechtskonservative PSL-Partei. Neben der Wirtschaftskrise des Landes kommen Bolsonaro nun die Spaltung der politischen Lager und die Frustration vieler brasilianischer Wähler angesichts grassierender Kriminalität und Korruption zu Gute. Mehr als 12 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer sind arbeitslos, weitere 37 Millionen arbeiten im informellen Sektor. Rio de Janeiro ist seit der WM und der Olympiade hoch verschuldet. Schließlich hat der Odebrecht-Skandal die Korruption der traditionellen Politikelite in ganz Lateinamerika offen gelegt – und deren gigantische Ausmaße vor Augen geführt. Dazu kommen steigende Kriminalitätsraten: Jede Stunde sterben sieben Menschen in Brasilien durch Gewalt.
Der Messias predigt Gewalt
Vor diesem komplexen Hintergrund inszeniert sich Bolsonaro mit seiner Wahlkampagne als „Erlöser“ des Volkes, dabei verweist er gerne auf seinen zweiten Namen: Messias. Mit dem Versprechen einer liberalen Wirtschaftspolitik konnte er sich bereits die breite Unterstützung der Unternehmerschaft und des Agrobusiness sichern, die seinen Sieg klar favorisieren. Nach dem ersten Wahldurchgang, in dem er 46,7 Prozent der Stimmen erhielt, schnellten die Aktien brasilianischer Unternehmen in die Höhe. Mit vereinfachten Botschaften zur Kriminalitäts- und Korruptionsbekämpfung hat es Bolsonaro geschafft, die Wut vieler Wähler gegen das politische Establishment für sich zu nutzen. Dass er mit den großen Skandalen der Politik bislang nicht in Verbindung gebracht werden konnte, verleiht ihm dabei einen entscheidenden Vorsprung. Sein einfaches Rezept gegen Gewalt lautet: Gegengewalt. Die öffentliche Sicherheit will er mit weiterer Militarisierung und Lockerung der Gesetze zu Waffenbesitz wieder herstellen. Seine Forderungen nach einem harten Durchgreifen gegen Kriminelle kommen bei vielen Wählern gut an. Das Strafmündigkeitsalter will er auf 16 Jahre absenken.
Hetze gegen die Demokratie
Zudem hetzt Bolsonaro offen gegen Frauen, Schwarze, die LGTB-Gemeinde und Künstler. Sein Diskurs ist provokativ und hasserfüllt und überschreitet die Grenzen des bislang erreichten Rechtspopulismus. Außer der Propagierung von Gewalt hat er inhaltlich wenig zu bieten. Er plädiert dafür, das Amazonasgebiet wirtschaftlich weiter zu erschließen oder die biblische Lehre der Schöpfungsgeschichte in den Lehrplan an Schulen aufzunehmen, ein Zugeständnis an seine breite Basis evangelikaler Unterstützer. Das Szenario erinnert an Trump in den USA. Doch der von der internationalen Presse gezogene Vergleich mit einem „Trump der Tropen“ hinkt. Die Gefahr eines Präsidentschaftssieges von Bolsonaro ist weit gefährlicher als viele erahnen. Brasilianische Intellektuelle und prominente Künstler wie Chico Buarque oder Caetano Velhoso stufen ihn als faschistisch ein. Zudem hat er die Rückendeckung von hochrangigen brasilianischen Militärs wie Vize-Präsident General Hamilton Mourão.
Evangelikale: Glaube und Politik
Eine entscheidende Triebfeder für den Aufstieg des Ultrarechten ist die einflussreiche evangelikale Bewegung in Brasilien. Schon heute gehören rund 30 Prozent der Menschen in Brasilien evangelikalen Gemeinden an, Tendenz steigend. Auch in der Politik sind Evangelikale auf dem Vormarsch: Im Parlament stellen sie inzwischen die größte parteiübergreifende Fraktion. Im Fernsehen rufen evangelikale Pastoren zum Kreuzzug gegen „unmoralisches“ Verhalten aus. Auch Bolsonaro nutzt den evangelikalen TV-Kanal für seinen Wahlkampf, im öffentlichen Fernsehen tritt er nicht auf. In seinen Hetzreden bezieht er sich auf ideologische Werte, die auch von den evangelikalen Kirchen propagiert werden.
Wahlkampf mit Fake News
Doch der eigentliche Wahlkampf in Brasilien wird nicht im Fernsehen, sondern über die sozialen Medien entschieden. Im Land gibt es 120 Millionen aktive Nutzer, Whats App-Gruppen sind ein wichtiges Medium, um mit Familie und Freunden in Kontakt zu stehen. Bolsonaro nutzte das soziale Medium bislang im Besonderen, um Falschmeldungen und Verleumdungen gegen seinen Konkurrenten der Arbeiterpartei PT, Fernando Haddad, zu verbreiten: Haddad wolle die Kirchen verbieten, die brasilianische Flagge abschaffen oder fahre gerne Ferraris. Die Arbeiterpartei PT wurde in einer virtuellen Endlosschleife immer wieder mit Korruption gleichgesetzt.
Dass Bolsonaros Wahlkampagne ganz wesentlich auf einem professionell koordinierten Geschäft mit Fake News basiert, wurde jüngst anhand des Whats App-Skandals deutlich: Laut einer Recherche der größten Tageszeitung Folha de São Paulo hat sein Wahlkampfteam Empfängerdaten bei spezialisierten Agenturen im Wert von knapp drei Millionen Euro gekauft. Das Oberste Wahlgericht, beschäftigt sich nun mit dem Fall, ob es Bolsonaros Aufstieg aufhalten wird, ist unwahrscheinlich. Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Rosa Weber, wurde kürzlich von Seiten hochrangiger Militärs bedroht.
Ele não – Er nicht
Die brasilianische Zivilgesellschaft verfolgt fassungslos, wie das Land, dass seit Beginn der PT-Regierung so viele soziale Errungenschaften erzielt hat, die mit breit angelegten sozialen Regierungsprogrammen 30 Millionen Menschen aus der Armut holen konnte, in Richtung Abgrund schlittert. „Bolsonaro hat im Wahlkampf versprochen, den Aktivismus in Brasilien zu eliminieren. Das ist ein Affront gegenüber den Organisationen der Zivilgesellschaft, die in einem so ungleichen Land so viel für die Verbesserung der Lebensbedingungen und für die Entstehung der Kultur eines Respekts und der Toleranz in der brasilianischen Gesellschaft beigetragen hat“ so Darci Frigo, Vize-Präsident des Nationalen Menschenrechtrates und Direktor der brasilianischen Partnerorganisation von Brot für die Welt, Terra de Direitos. Darci spricht auch von einer „democratura“, ein über demokratische Wahlen eingesetztes autoritäres Regime, dass maßgeblich vom Militär gestützt wird.
Viele Menschen sind verängstigt. In den letzten Wochen häuften sich Drohungen gegen Politiker und staatliche Behörden sowie Übergriffe bis hin zu Morden an Aktivistinnen. Die Gewalt- und Hassbereitschaft von einigen Bolsonaro-Anhängern ist erschreckend, sie sprechen von sozialen Säuberungen. Auch Partnerorganisationen von Brot für die Welt bangen um ihre Existenz und um den Verlust der Demokratie.
Wie gefährlich der neue Messias wirklich ist, wird sich zeigen, sollte er am Sonntag die meisten Wählerstimmen der Brasilianerinnen und Brasilianer für sich vereinen. Zur Wahl steht nicht weniger als die Demokratie.