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Zuflucht im Nordirak

Die Autonome Region Kurdistan mit ihren drei Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniyah im Norden des Iraks hat etwa 5,3 Millionen Einwohner. Rund 245.000 syrische Flüchtlinge und 1 Million Menschen, die innerhalb des Iraks vertrieben wurden, haben hier Zuflucht gefunden.

 

Von Anne Dreyer am

Die Autonome Region Kurdistan mit ihren drei Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniyah im Norden des Iraks hat etwa 5,3 Millionen Einwohner. Rund 245.000 syrische Flüchtlinge und 1 Million Menschen, die innerhalb des Iraks vertrieben wurden, haben hier Zuflucht gefunden. Die Kampfhandlungen im Irak sind unbeständig und unvorhersehbar, so dass immer wieder neue Fluchtbewegungen entstehen können, aktuell aus der umkämpften Stadt Mossul. Der extreme Zuwachs belastet den lokalen Arbeitsmarkt, Mieten, Markt- und Benzinpreise steigen dramatisch. Der sinkende Ölpreis und ausbleibende Zahlungen der Zentralregierung in Bagdad erschweren die finanzielle Situation. Soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sind überlastet.

In dem Ort Bazyan etwa 80 km vor der nordirakischen Stadt Suleymaniah leben etwa 7.000 Familien und 500 Flüchtlingsfamilien aus Syrien. Viele der Syrer kommen aus den kurdischen Gebieten Syrien aus Qamishli, Hassaka, Kobane, Afrin. Aber auch aus Homs und Aleppo. Die Familien sind vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen, haben Angehörige verloren und die Angst vor den Bomben nicht mehr ausgehalten. Viele hatten Verwandte in Bazyan und haben sich erhofft dort Arbeit in den Fabriken und in der Landwirtschaft zu finden. Bazyan liegt in einer Senke, es gibt Felder mit Zwiebeln und Gewächshäuser, in denen Gurken und Tomaten wachsen.

Ökonomische Krise trifft alle

Doch die meisten Familien leben bis heute von Gelegenheitsjobs. Die ökonomische Krise betrifft mittlerweile auch irakische Familien. Der stark gesunkene Ölpreis, der andauernde Krieg gegen den sogenannten IS und Budgetstreitigkeiten mit der irakischen Zentralregierung belasten die ökonomische Situation in der kurdischen Autonomieregion. Nach dem Boom 2010 bis 2013, bei dem viele Investoren in den Bau neuer Wohnungen und Bürogebäude investiert hatten, bleiben viele Gebäude unfertig stehen.  Unterricht an Schulen fällt aus, da die Lehrer nicht bezahlt werden, Krankenstationen bleiben geschlossen. Das erschwert auch die Situation der einheimischen Familien. Deshalb profitieren sie mittlerweile ebenso wie syrische Flüchtlinge und Binnenvertriebene aus anderen Landesteilen des Iraks, etwa Bagdad oder Rahmadi, von dem Gemeindezentrum das die Diakonie Katastrophenhilfe gemeinsam mit ihrer kurdischen Partnerorganisation REACH in Bazyan betreibt.

Beziehungen stärken Vertrauen und damit Integration

Aufgeregt besteigen die zehn Frauen den kleinen Bus. Es geht zum Frauensport, der heute in den Nahe gelegenen Bergen stattfindet. „Bewegung an der frischen Luft und die Ruhe der Natur wirken sich positiv aus auf den Körper und auch auf die Psyche unserer Teilnehmerinnen“, sagt Khalat Ahmed, Koordinatorin des Zentrums. „Außerdem fördern gemeinsame Ausflüge die Beziehung zwischen ihnen und das ist die wichtigste Voraussetzung für gegenseitiges Vertrauen und Integration.“ fügt sie hinzu. Und in der Tat laufen die Frauen munter schwatzend nebeneinander her. Die einheimischen Frauen aus Bazyan zeigen den Syrerinnen stolz die schöne Landschaft. Es werden Selfies mit dem Smartphone gemacht. Der Alltag der Frauen findet oft nur im Haus statt, deshalb ist es so wichtig, dass ihre Männer das Zentrum und die organisierten Aktivitäten als sicher einschätzen. Das ermöglicht den Frauen auch Kontakte außerhalb des Hauses und der direkten Nachbarschaft, es gibt ihnen Selbstvertrauen und neuen Lebensmut. Viele von ihnen haben in den letzten Jahren viel Leid erfahren. So berichtet die junge Arijan, dass ihr Vater von IS-Kämpfern in Aleppo getötet wurde. Sie floh mit ihrer Mutter und ihrer Schwester direkt danach im August 2011. Jetzt auf dem Ausflug lacht sie mit ihrer Cousine. Die beiden sind die jüngsten Teilnehmerinnen.

Das Zentrum bietet jungen Frauen neben dem Sport auch Computer-, Englisch und Nähkurse an. Es geht darum die Fertigkeiten zu fördern und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Kinder kommen zum Malen und Sporttreiben. In dem einfachen Containerbau mitten in Bazyan gibt es einen Kindergarten und auch gemischte Angebote für Männer- und Frauen an. Und auch psychosoziale Kurse und Beratungen, um Ängste und Traumata zu überwinden.

Wenig Perspektiven

Der 49jährige Zyad Ismael ist mit seiner Frau Nada und den vier Töchtern vor drei Jahren aus Aleppo nach Bazyan geflohen. Die älteste Tochter Silvana arbeitet als Freiwillige im Gemeindezentrum mit. Eine weiterführende Schule (über die 9. Klasse hinaus) gibt es nicht in Bazyan, der Weg in die nächstgrößere Stadt Suleymaniah ist zu weit. Im Gemeindezentrum lernt Silvana Englisch und besucht einen Computerkurs. Als Freiwillige leitet sie Jüngere an. In dieser Woche geht es zum Beispiel um Hygiene. Die Jugendgruppe lernt zum einen etwas über persönliche Hygiene, aber auch etwas zum Thema Umweltschutz. „Heute reinigen wir gemeinsam den zentralen Platz. In der Stadt,“ erklärt Silvana. Zyad war in Aleppo Elektroingenieur. Hier in Bazyan hat er nur gelegentlich Arbeit. Am Anfang 2013 war es besser, aber die schlechte wirtschaftliche Lage und der Zuzug weiterer Flüchtlinge und Binnenvertriebenen hat die Situation erschwert. Seit einigen Monaten hat Zyad kaum noch Arbeit. Die Familie zahlt etwa 200 Dollar Miete für zwei Zimmer. „In manchen Monaten müssen wir uns von Verwandten oder Nachbarn Geld leihen“, sagt Zyad. Etwa 300 syrische Familien leben in Bazyan, sieben haben sich bereits auf den Weg nach Europa gemacht. „Wenn wir hier Arbeit hätten und Schulen für unsere Kinder, würden wir nicht unser Leben auf der Flucht riskieren“, erklärt eine Nachbarin. Zyad fügt hinzu „Zurück nach Aleppo können wir nicht, dort ist alles zerstört. Wir müssten wieder ganz von vorne beginnen.“

Kleinbetriebe schaffen Einkommen

Mustafa Khalil sitzt an seiner Nähmaschine und zeigt stolz die Imkerkleidung, die er genäht hat. Früher hatte er eine Textilfabrik in Aleppo mit 14 Maschinen und hat T-Shrits und Blusen für Frauen produziert. Jetzt flickt er Hemden, Blusen, näht Hosen und auch Arbeitskleidung und Uniformen. 50 Dollar bekommt er für Jacke und Hose und das Geschäft läuft gut. Etwa 100-200 Dollar verdient er pro Woche. Mustafa ist mit seiner Frau und seinen Kindern aus Aleppo vor bald vier Jahren nach Erbil in den Nordirak geflohen. Sein Haus und seine kleine Fabrik waren im Stadtteil Sheih Masud. Er liegt etwas höher und war deshalb stark umkämpft. Alle Bewohner wurden evakuiert, doch Mustafas Familie war mit anderen Familien von den Kämpfen eingeschlossen. Gegen Geld hat sie jemand im Auto rausgeschmuggelt aus der umkämpften Stadt, brennende Autos, zerstörte Häuser. „Wie im Film“, sagt Mustafa. Ernst fügt er hinzu. „Dort konnten wir nicht bleiben.“ Jetzt lebt er mit seiner Frau und drei Söhnen in Erbil. Die Tochter lebt bei den Großeltern in der syrischen Grenzstadt Madekie, damit die 20jährige ihren syrischen Schulabschluss machen kann. „Ich möchte, dass meine Kinder studieren können. Das ist meiner Frau und mir verwehrt geblieben.“  Seine Frau Fatma leidet an Multiple Sklerose und ist auf Medikamente angewiesen. Nach der Flucht hat Mustafa als Tagelöhner gearbeitet. „Wir konnten nichts mitnehmen, hatten nur unsere Kleidung. Wir haben wieder bei Null angefangen,“ sagt er. „Meine Schwägerin ist nach Europa geflohen, aber ich habe meine Familie aus Krieg und Angst gerettet, ich will sie nicht in die Hände von Schmugglern geben“, sagt Mustafa. Vor einigen Monaten konnte er mit Unterstützung des Programms der Diakonie Katastrophenhilfe und ihrer lokalen Partnerorganisation REACH jetzt eine kleine Nähstube mit drei Maschinen eröffnen. Projektleiter Ahmed Omar erklärt: „Mustafa kam mit der Idee auf uns zu, er hat viel Berufserfahrung und seine Motivation ist hoch, denn er wünscht sich eine gute Ausbildung für seine Kinder und medizinische Versorgung für seine Frau. Ein Kleinbetrieb mit diesen Voraussetzungen hat auch in schweren Zeiten wie im Moment Aussicht auf Erfolg.“

98 solche kleinen Betriebe hat die Diakonie Katastrophenhilfe mit ihrer Partnerorganisation und Finanzierung des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seit Sommer letzten Jahres hier in Erbil unterstützt. Hinzu kommen 100 in Dohuk und etwa 120 in Suleymaniah. Begünstigte sind syrische Flüchtlinge und irakische Binnenvertriebene. Die Teilnehmer werden geschult und begleitet und mit Material und Ausstattung zum Start des Betriebs unterstützt. „Wichtig ist die Geschäftsidee und Bereitschaft dafür zu arbeiten. Wir begleiten die Teilnehmer dann einige Monate, unterstützen mit Know-How oder Marketing-Ideen, um das Geschäft anzukurbeln. Es sind wirtschaftlich schlechte Zeiten, nicht alle Betriebe werden sofort laufen, aber einige tragen sofort zu Einkommen und damit zu einer Verbesserung der Situation bei,“ erklärt Ahmed Omar von REACH.

Unterstützung in der Landwirtschaft

In Gerota, einem Dorf in der Provinz Erbil, leben 45 Familien und seit Ausbruch der Kämpfe mit dem sogenannten IS zudem 16 irakische vertriebenen Familien. Das Dorf lebt von der Landwirtschaft. Um die Vertriebenen zu unterstützen, hat die Diakonie Katastrophenhilfe mit ihrer lokalen Partnerorganisation REACH ein besonderes Programm ins Leben gerufen. Es entstanden drei Gewächshäuser auf dem Grund der ansässigen Landwirte, die von vertriebenen Familien betrieben werden. Halid Malif ist vor einem Jahr mit seiner Familie aus der umkämpften Stadt Ramahdi geflohen. Er hat als Tagelöhner im Kartoffelanbau gearbeitet. Jetzt pflanzt er im Gewächshaus Gurken an. Das Land hat Karnwan Hatan gestellt. „In dem fast 500 qm großen Gewächshaus können zwei Mal im Jahr bis zu 7 Tonnen Gurken geerntet werden“, erklärt der Projektmanager Ali von REACH. „Der Besitzer des Landes erhält einen Anteil der Einnahmen und verpflichtet sich das Gewächshaus mindestens zwei Jahre mit den Neuankömmlingen gemeinsam zu betreiben.“

Markt im Arbat Camp

Im Arbat Camp etwas außerhalb von Suleymaniah leben etwa 1500 syrische Familien. Viele von ihnen sind schon vor mehreren Jahren vor dem Bürgerkrieg im eigenen Land geflohen. Das Camp besteht mittlerweile aus einfachen Steinhäusern, die die Familien selbst aufgebaut haben. Viele Familien sind bis heute auf Hilfe angewiesen, Arbeitsplätze sind rar. In einer vom UNHCR gebauten Halle am Rand des Camps hat die Diakonie Katastrophenhilfe mit ihrer Partnerorganisation REACH nun einen Marktplatz für Frauen eingerichtet. 20 kleine Geschäfte für Lebensmittel, Kleidung und ein Friseursalon haben am Weltfrauentag hier eröffnet. Die Frauen haben an Trainings für Buchführung, Marketing und Geschäftsführung teilgenommen. 20 Frauen wurden nach Bedürftigkeit und Businessidee ausgewählt. Die Frauen haben sich dann selbst eine Partnerin dazu gewählt, so dass insgesamt 40 Familien von der Unterstützung profitieren sollen. „Uns war es wichtig, dass die Frauen ihre Geschäftspartnerin selbst wählen, denn sie müssen sich gegenseitig vertrauen und von den Fähigkeiten der anderen überzeigt sein“, erklärt Projektleiter Ahmed, Omar. Rweia ist 21 Jahre. Sie hat gemeinsam mit Khada ein Geschäft für Kinderkleidung eröffnet. Die beiden stammen aus der syrischen Stadt Hassaka. Rweias Mann ist krank und kann nicht arbeiten. „Mein Einkommen muss jetzt die Familie ernähren“, erklärt Rweia. „Mich macht das Geschäft stolz. Im ersten Monat haben wir schon gut verkauft. Einen Teil der Einnahmen legen wir zurück um neue Ware zu kaufen.“ Der Markt bietet den Frauen neben Einkommen auch die Möglichkeit sich gegenseitig auszutauschen und neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. Viele haben in den Jahren seit der Flucht kaum das Haus verlassen.

 

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