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Agrarwende statt Freihandel

In einer im August 2016 veröffentlichten Studie hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die ökonomischen Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft sowie die Rolle des internationalen Agrarhandels als mögliche Anpassungsmaßnahme für den Zeitraum von 1995 bis 2095 modelliert. Die Studie legt den zweifelhaften Schluss nahe, dass bei einer „restriktiven Handelspolitik (…) ökonomische Verluste der Landwirtschaft“ zu befürchten sind und in der Folge die Nahrungsmittelpreise steigen könnten.

 

Von Francisco Marí am

In einer im August 2016 veröffentlichten Studie hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die ökonomischen Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft sowie die Rolle des internationalen Agrarhandels als mögliche Anpassungsmaßnahme für den Zeitraum von 1995 bis 2095 modelliert. Die Studie legt den zweifelhaften Schluss nahe, dass bei einer „restriktiven Handelspolitik (…) ökonomische Verluste der Landwirtschaft“ zu befürchten sind und in der Folge die Nahrungsmittelpreise steigen könnten. In einer stärkeren Liberalisierung der Agrarmärkte sehen sie eine Strategie, dass „Handel (…) auf Veränderungen der globalen Muster von landwirtschaftlicher Produktivität reagieren und so niedrigere Produktionskosten und höhere Nahrungsmittelsicherheit ermöglichen“ kann. Wichtige Aspekte im komplexen Zusammenhang zwischen Klimawandel, Agrarproduktion und Ernährungssicherheit, wie sie von Brot für die Welt seit Jahren beobachtet und analysiert werden, bleiben in der Studie jedoch unberücksichtigt. Wir möchten hier aus unserer Sicht begründen, warum die Liberalisierung der Nahrungsmittelmärkte der falsche Weg ist, um Ernährungssicherheit zu schaffen und warum es das Gebot der Zeit ist, Agrarökologie global durchzusetzen.

Nationale Nahrungsmittelmärkte stärken

Während der Nahrungsmittelkrise 2008/2009 haben wir festgestellt, dass hohe globale Nahrungspreise für AgrarproduzentInnen im Süden auch positive Effekt haben können. Lokale ProduzentInnen konnten dadurch ihre heimischen Märkte wieder kostendeckend versorgen. Importierte Lebensmittel wie Weizen, Reis, Fleisch und Milch waren für viele VerbraucherInnen zu teuer geworden. Insbesondere in den Städten begannen Menschen deshalb, sich wieder ihrer lokalen Nahrungsmittel bewusst zu werden und es wurde wieder mehr landwirtschaftlicher Anbau betrieben.

Dass es durch die Fluktuation der Weltmarktpreise 2008 zu einer akuten Hungerkrise kam, war in vielen Fällen überhaupt erst die Folge einer weitreichenden Marktliberalisierung. Vielen Ländern wurden von internationalen Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds empfohlen, sich für den Weltmarkt zu öffnen und sich auf Exporte zu konzentrieren. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sollte sich damit nicht mehr primär auf die nationale Produktion stützen, sondern auf Importe zu niedrigeren Preisen. All dies barg Risiken, die nicht bedacht worden waren: Lokale Marktstrukturen sowie die Infrastruktur für bis dahin funktionierende Stadt-Land-Verbindungen und der ländliche Raum wurden in der Folgezeit stark vernachlässigt. Die Gefahren einer abnehmenden nationalen Produktion und steigender Weltmarktpreise für Nahrungsmittel im Hinblick auf die Ernährungssicherheit wurden nicht in den Blick genommen oder hinreichend berücksichtigt.

Der Schock von 2008/2009 war nachhaltig, und heute stellen wir, u.a. durch die „Sonderinitiative für eine Welt ohne Hunger“ (SEWOH) des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), eine stärkere Rückbesinnung auf die Förderung lokaler ProduzentInnen fest, deren Erzeugnisse die Grundlage für Ernährungssicherheit sind. Das geschieht dort am besten, wo Staaten im Agrarhandel gegenüber Nahrungsimporten, die inzwischen wieder billig auf dem Weltmarkt zu haben sind, wie Milch, Fleisch und Weizen, Importrestriktionen erlassen haben. Anders gesagt, also überall dort, wo die Agrarliberalisierung wieder zurückgenommen wird.

Kritische Einwände

Vor diesem Hintergrund geraten die Studienergebnisse aus Potsdam in Schieflage, weil sie drei Dinge zu wenig berücksichtigen:

1. Zunächst basiert die Prognose der klimabedingten Preisentwicklung auf der Annahme eines Business as Usual-Szenarios. Agrarproduktion wird nicht differenziert, sondern so, wie sie in dem von den AutorInnen als Ausgangsjahr ihrer Studie angegeben Jahr 1995 bestand, fortgeschrieben. Die Risiken des Klimawandels sind aber nicht für alle Produktionsmodelle gleich! Eine einseitig auf großflächige Monokulturen und Agrarchemie ausgerichtete industrielle Agrarproduktion, die durch eine immer stärkere Ausrichtung am Weltmarkt und dem damit einhergehenden Wettbewerbsdruck vor sich her getrieben wird, ist wesentlich anfälliger für klimabedingte Extremwettereignisse als eine auf Vielfalt ausgerichtete, agrarökologischer Anbauweise. Lokal angepasstes Saatgut, geschlossene Nährstoffkreisläufe durch intelligente Mischkulturen und Fruchtfolge sowie bodenschonende Bearbeitung verbessern nachweislich die Klimaresilienz der Landwirtschaft. Eine ökologische Agrarwende, die ProduzentInnen hilft, sich an Klimaveränderungen besser anzupassen, könnte dazu beitragen, die Preise für ihre Erzeugnisse zu stabilisieren.

2. Zum anderen wird in der Studie davon ausgegangen, dass sich die klimabedingten Ernteeinbrüche nur durch eine Intensivierung der Produktion oder die Ausdehnung bestehender Ackerflächen ausgleichen lassen. Auch hier wird vereinfachend die Flächennutzung, wie wir sie heute erleben, linear fortgeschrieben. Das wird mit oder ohne Klimaänderungen jedoch ohnehin nicht funktionieren. Schon heute werden durch Ackerbau, Tierhaltung und Fischfang ausreichend Kilokalorien für ca. zehn bis zwölf Milliarden Menschen produziert. Fast die Hälfte erreicht aber nicht die Nahrungsmärkte, weil sie verfüttert, verbrannt (Agrotreibstoffe) oder weggeworfen (Nachernteausfälle, Lebensmittelverschwendung) werden. Die in der Studie prognostizierten Preissteigerungen durch Ernteausfälle könnten nun aber durch einen reduzierten Fleischkonsum und den verminderten Anbau von Futtermitteln ausgeglichen werden. Daraus würde sich ein erheblicher Flächengewinn für den Anbau von Nahrungsmitteln ergeben. Hinzukommen müssen geeignete Praktiken zur Verringerung der Nachernteverluste und Lebensmittelverschwendung sowie ein Verbot der Nutzung von Ackerflächen für Agrotreibstoffe, die sich ohnehin mehr und mehr als großer Klimaschwindel entpuppen. (Link).Auch in der Fischerei könnten über 30 Prozent der weltweiten Fänge statt für Tiernahrung oder als Beifang zur Ernährung genutzt werden.

Kurzum: Statt durch Marktliberalisierung im Süden neue Märkte für seine nicht-nachhaltige Überproduktion zu schaffen, sollte der Norden zunächst seinen enormen Flächenrucksack abbauen.

Dafür wären, entgegen den Empfehlungen der Studie, sogar noch striktere Instrumente im Handel nötig, nämlich Exportverbote für Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel, die u.a. während der Hungerkrise 2008 sehr wirksam waren. Argentinien und andere Länder haben damals verboten, Weizen oder Fleisch zu exportieren. Ging es doch darum, die Bevölkerung zu ernähren, statt die großen landwirtschaftlichen Produzenten mit spekulativen Geschäften hohe Gewinne einfahren zu lassen. Die Exportrestriktionen haben damals zu höheren Weltmarktpreisen geführt, aber daran waren in erster Linie eben die brisanten Spekulationen schuld, wie heute mehrfach belegt.

3. Jegliche Erfahrungen zeigen, dass dort, wo ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, liberalisierte Agrarmärkte dazu beitragen, die kleinbäuerlichen und nachhaltigen Produktionsweisen zu zerschlagen. Die AutorInnen der Potsdamer Studie machen keine Aussage über die extrem ungleichen Machtverhältnisse auf den Agrarmärkten, dort wo die großen Agrar- und Lebensmittelkonzerne den Ton angeben und eben nicht „die Bauern“. Doch klar ist auch, dass wenn Agrarkonzerne erst einmal einen Markt erobert haben, sie den lokalen ProduzentInnen die Luft zum Atmen abschnüren. Ein verheerendes Beispiel ist die Geschichte der Eroberung des Getreidemarktes in Afrika. Heute gibt es in Westafrika kaum noch Hirse oder Sorghum-Anbau, da sich die EU-Agrarmultis vor dreißig Jahren mit Billigweizenimporten dort festgesetzt haben. Die Annahme, liberalisierte Märkte wären so flexibel, dass sie heute Hunger reduzieren und morgen wieder Raum für lokale Produktion schaffen, stammt aus dem Märchenbuch von Adam Smith und David Ricardo über die Wohlfahrtsgewinne durch Freihandel und komparative Kostenvorteile. Insbesondere die Monopolisierung der Agrarmärkte durch einige Konzerne für den Anbau, die Verarbeitung und den Handel wird den umgekehrten Effekt haben als das, was die KlimaforscherInnen der Studie erwarten: Noch mehr Liberalisierung wird die völlige Dominanz über BäuerInnen und KonsumentInnen zur Folge haben, wie wir sie heute in den Industrieländern schon erleben.

Lokale Märkte schützen

Dass den AutorInnen schwant, ihre neoliberale These könnte mit Blick auf die Ärmsten und Verletzlichsten vielleicht doch einen Haken haben, zeigen sie in ihrem Schlusswort „Discussion“:

“Moreover, this damage is unequally distributed between consumers and producers and among different sociogeographic regions. Even in the case of liberal trade, certain consumers and producers will be worse off. There is a clear tendency that consumers in all regions will end up paying more for agricultural products. On the other hand, given that many subsistence and smallholder farmers live in developing regions, policies will have to be advanced to help them to adapt their production under changing market conditions.

Given the amplifying effect of climate change on the gradient between developed and developing countries, trade policies will also have to be accompanied by measures for poverty reduction in developing countries. Food security measures have to be actively supported, and the agents’ adaptive capacity to the dynamics of liberalization has to be taken into account.”

Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es allenfalls eine Minderheit von ProduzentInnen und KonsumentInnen, der es in der Folge der liberalisierten Märkte in der Zukunft schlechtergehen wird. Die bisherigen Erfahrungen mit der Globalisierung der Agrarmärkte zeigen aber das Gegenteil: Es geht nicht nur um kleine Minderheiten von Subsistenzbauern und -bäuerinnen, Alten und Kranken auf dem Lande. Wie beispielsweise das Programm zur Nahrungsmittelhilfe in Indien, das bei den Verhandlungen der Welthandelskonferenz 2013 in Bali von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten entschieden bekämpft wurde, belegt, sind dort alleine 800 Millionen Menschen betroffen. Sie brauchen einen geschützten Markt, damit sie Weizen und Reis anbauen können, der staatlich subventioniert an die Bevölkerung, die in ärmeren Verhältnissen lebt, zu niedrigen Preisen weitergegeben wird. Aber auch in Afrika, Südostasien, Lateinamerika oder selbst in der VR China können kleinbäuerliche ProduzentInnen und KonsumentInnen auf lokalen Märkten Produkte anbieten und kaufen und so voneinander profitieren, weil sie noch von Agrarimporten geschützt sind. Das wird durch bilaterale Handelsverträge, aber auch durch die neuen Instrumente von CETA und TTIP in Zukunft schwieriger werden.

Handelsinstrumente wirksam gestalten

Die Empfehlungen der KlimaforscherInnen aus Potsdam sind auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Klimaschutz und Klimaanpassung in der Landwirtschaft problematisch. Sie spielen dem globalen Agrobusiness samt seiner Ideologie des „We feed the world“ und seinen vermeintlich klimasmarten technischen Lösungsansätzen in die Hände. Dabei ist es das exportorientierte, industrielle Landwirtschaftsmodell, bei dem Agrarprodukte aus Kostengründen um die halbe Welt gefahren werden, das einen wesentlichen Anteil am Klimawandel hat. Um eine klimafreundliche und klimaresiliente Landwirtschaft zu unterstützen und KleinproduzentInnen vor einem unfairen Wettbewerb auf den globalen Agrarmärkten zu schützen, ist es wichtig, die handelspolitischen Instrumente zum Schutz vor Überflutung von Märkten des Südens wirkungsvoller zu gestalten. Dazu gehört ausdrücklich auch, um einen Vorschlag der Autoren aus Potsdam positiv aufzugreifen, die regionalen Handels- und Austauschbeziehungen deutlich zu fördern und nicht, wie gegenwärtig in Afrika, durch unfaire Einzelverträge (EPAs) den regionalen Handel zu zersplittern.

In der Hungerkrise von 2008/2009 haben viele Staaten gezeigt, dass sie die bestehende Zollflexibilität, die die Welthandelsorganisation (WTO) bietet, durchaus nutzen können, um kurzfristige Preiskrisen aufzufangen. Solche Maßnahmen müssen aber flexibel rückgängig gemacht werden können, um die lokale Produktion wieder zu schützen. Das wäre bei einer globalen Liberalisierung der Agrarmärkte, wie in der Studie vorschlagen, nicht mehr möglich, weil solche bei der WTO kodifizierten Maßnahmen nur schwer zurückzunehmen wären.

Agrarökologie statt Agrarliberalisierung

Freie Märkte sind, so zeigt unsere Erfahrung mit den Projektpartnern im Süden, ein gänzlich ungeeignetes Mittel, um das Grundrecht auf Nahrung für alle Menschen durchzusetzen, auch nicht in Zeiten der Klimakatastrophe. Eine verlässliche, flexible und nachhaltige Agrarproduktion, eine hohe Anzahl an Saatgutsorten, verschiedene Anbaumethoden und hohe Variabilität an angebauten Produkten kann nachhaltiger mit den bereits sichtbaren Folgen des Klimawandels umgehen. Agrarökologie global durchzusetzen ist das Gebot der Zeit. In Deutschland und Europa ist eine Agrarwende genauso wichtig wie radikale Klimaziele durchzusetzen, damit es gar nicht erst zum „worst case“-Szenario kommt. Die Potsdamer KlimaforscherInnen scheinen nicht mehr daran zu glauben. Aber die Erfahrung zeigt, dass einmal liberalisierte Märkte nur ganz schwer wieder zu regulieren sind.

Francisco Marí und Eike Zaumseil

 

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